Gießens Bürgermeister Alexander Wright ist ein Jahr im Amt

Würde es wieder tun Bürgermeister Alexander Wright blickt auf ein bewegtes erstes Amtsjahr zurück.

Klotzen statt kleckern: Das scheint das Motto von Alexander Wright zu sein. Seit einem Jahr ist der Grüne Bürgermeister in Gießen.

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Gießen. Beim Thema Straßenverkehr in der Innenstadt gibt Alexander Wright von den Grünen richtig Gas. Aber nicht bloß dabei: Verkehrsversuch, Eritrea-Proteste, Haushalt – unterbeschäftigt ist der Nachfolger von Peter Neidel offensichtlich nicht. Im Interview blickt der Bürgermeister auf sein erstes Amtsjahr zurück.

Wie stehen Sie zu dem Spruch »Klotzen, nicht kleckern«?

Spontan: Machen ist wie wollen - nur viel krasser. Wir haben uns im Wahlprogramm und im Koalitionsvertrag viel vorgenommen. Der Auftrag von den Wählern ist klar, dem möchte ich gerne nachkommen. Ich möchte nicht dem Vorwurf ausgesetzt sein: Ihr versprecht viel und tut dann nichts.

Ludwigstraße, Neuen Bäue, Anlagenring: Der Straßenverkehr in der Innenstadt verändert sich. Steckt eine Gesamtidee dahinter?

Ja! Wir wollen den Menschen die Stadt wiedergeben. Wir wollen eine menschengerechte Stadt, in der es mehr Platz gibt, auch zur freien Entfaltung. Wir wollen eine höhere Aufenthaltsqualität: Durch Corona haben wir gemerkt, dass die Leute sich draußen treffen wollen. Dazu brauchen wir den Platz.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ja, den Lindenplatz. Mich würde nichts mehr freuen, als zu sehen, dass dort Kinder spielen. Die Eltern stehen am Rand und trinken vielleicht einen Kaffee. Kurz, die Familien haben sich diesen Platz zurückerobert. Das würde unsere Bemühungen bestätigen.

Wann beginnt der Verkehrsversuch? Erwarten Sie Schwierigkeiten?

Im Frühsommer geht es los. Die Umstellung wird das Spannende. Denn wir können den Anlagenring ja nicht über Nacht auf Stand bringen. Wir müssen ziemlich viel an Markierungen arbeiten. Darum haben wir eine längere Umstellungsphase. Das wird ganz klar eine Herausforderung. Auch in Bezug auf die Kommunikation: Ab wann kann man wo fahren? Aber danach wird es gut funktionieren. Gießen ist dann auf neuen Wegen unterwegs.

Was sagen Sie Kritikern von Maßnahmen wie der Erhöhung der Parkgebühren?

Denen, die sagen, dass es jetzt gar keinen Platz mehr gibt, sage ich: Fahrt ins Parkhaus. Da sind die Gebühren weiterhin günstig. (...) Wir haben über 4000 Plätze in den Parkhäusern und die sind auch preisgünstig. Dann ist natürlich die Frage, wozu die Parkplätze in der Innenstadt sind. Sie sind da, wenn jemand mal schnell was im Blumenladen oder in der Apotheke holen möchte. Dann kann man diese Plätze nutzen und der Preis ist entsprechend.

Ist ein wirklich kostenloser Parkplatz denkbar?

Nein, das gibt es nicht. Es gibt Parkplätze, die umsonst zur Verfügung gestellt werden, die aber die Allgemeinheit bezahlt. Ich finde, den Platz sollten die bezahlen, die sich ein Auto leisten können und den Platz beanspruchen. Es sollten nicht die zahlen, die sich kein Auto leisten können oder ganz bewusst darauf verzichten.

Was ist Ihre Vision für Gießen?

Wir wollen eine Stadt mit mehr Aufenthaltsflächen, die für alle gleichermaßen da ist, grüner wird und die Mobilität für alle schafft. Das bedeutet: für das Auto, aber auch für Rad- und Fußverkehr und den ÖPNV. Wir wünschen uns, dass wir eine innovative Stadt sind, die auch mal einen Versuch wagt. Und dass wir eine junge Stadt bleiben, die attraktiv ist für Arbeitgeber und für Arbeitnehmer. Wir wünschen uns, dass man hier nicht nur gut arbeiten kann, sondern auch wohnen, einkaufen und studieren.

Nach dem Eritrea-Festival sind die Wogen im vergangenen Jahr hochgeschlagen. Wie bewerten Sie die Vorgänge in der Rückschau?

Das habe ich schon sehr früh gesagt: Das war eine Zäsur, weil wir diese Gewalt, noch dazu am Rand des Stadtfestes, erleben mussten. Gewalt hat keinen Platz in unserer Gesellschaft. Und den darf sie nie haben. Das hat auch der Magistrat deutlich gesagt, und dazu stehen wir weiterhin. Eine zweite Zäsur war der Umgang der Stadtpolitik mit dem Fall.

Inwiefern?

Man kann sich schon fragen, warum das passiert ist. Wieso können Menschen hier ein diktatorisches Regime feiern und dafür auch noch Gelder einsammeln? Warum ist das legal? Wieso wählen die anderen das Mittel der Gewalt? Warum waren wir als Gesellschaft, aber auch institutionell - da meine ich auch Staats- und Verfassungsschutz - so unvorbereitet? Gesellschaft und Institutionen hatten nicht auf dem Schirm, was da abgeht. Das ist doch die spannende Frage. Aber wir haben lieber über einen gelöschten Post gesprochen und uns über den Urheber aufgeregt.

Wollen Sie Ihre Kritik vertiefen?

Klaus-Dieter Grothe ist die einzige Person, die sich in diesem Vorgang ihres Fehlers bewusst war, ihn eingestanden, sich distanziert und sich auch entschuldigt hat. (...) Man hat eher geschaut, wie man politisch daraus Kapital schlagen kann, statt sich zu fragen: Was bedeutet es für unsere Gesellschaft und unsere Demokratie, wenn diktatorische Regime sich hier breit machen können und Gelder einsammeln? Und was bedeutet es für Gesellschaft und Demokratie, wenn wir hier Menschen haben, die Gewalt als Mittel ansehen?

Rechnen Sie in diesem Jahr wieder mit einem Eritrea-Festival? Ist die Stadt vorbereitet?

Ich fürchte ja. Eine Anmeldung liegt mir noch nicht vor. Wenn es passiert, werden wir wieder die enge Absprache mit der Polizei suchen. Bei der Demonstration von Regime-Unterstützern am 6. Oktober hat man gesehen, dass sie von Sicherheitsbehörden mit hoher Personenanzahl und strengen Auflagen ganz eng begleitet wurde. Es gab keine Zwischenfälle. Nach den Vorfällen am 20. August an den Hessenhallen haben wir sofort Maßnahmen ergriffen und weitere Gewalt verhindern können. Mit ähnlichen Konzepten würden wir wieder auftreten.

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Jüngst gab es Kritik vom Regierungspräsidium am Haushalt. Wie gehen Sie damit um?

Sie ist ein Stück weit hart, weil wir gesunde Finanzen haben. Ich denke, dass wir 2022 wieder positiv abschließen werden. Allerdings muss man auch sagen, dass das RP den Finger schon in einen wunden Punkt legt.

Was heißt das konkret?

Wir planen unseren Haushalt selbst immer schlechter als er tatsächlich ist. Das ist auch in Ordnung. Wir schauen natürlich schon, was wir an Einnahmen bekommen und wollen nicht zu euphorisch sein. Auf der anderen Seite schauen wir, was wir ausgeben. Das schätzen wir eher höher - das nennt man haushalterische Vorsicht. Darüber hinaus beschreiben wir Aufgaben und Projekte, die wir angehen wollen. Wir schaffen aber nicht immer alles. Das ist der wunde Punkt, an dem wir arbeiten müssen: stärker priorisieren und realistischer sein.

Ihr erstes Jahr als Bürgermeister ist rum. Würden Sie es wieder machen?

Eindeutig ja. Ich habe nicht einen Tag gezweifelt.