Interimsgerichtssaal des Landgerichts Gießen einsatzbereit

Blick vom Richterpult: Links finden bis zu neun Angeklagte neben ihren Verteidigern Platz. In der Saalmitte ist ein großer Monitor im Boden verankert. Fotos: Mosel

In nur zwei Wochen ist auf dem Gelände im ehemaligen US-Depot ein externer Gerichtssaal hochgezogen und moderne Technik verbaut worden. Ein Rundgang vor Start des ersten Prozesses.

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. Giessen. Kein Strom, kein Wasser und unebener Boden. "Vor zweieinhalb Wochen war hier gar nichts, außer einer Wiese." Die Begeisterung über die schnellen Veränderungen ist Landgericht-Präsidentin Sabine Schmidt-Nentwig anzuhören. Inzwischen sieht die Fläche auf dem Gelände der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung (HEAE) nämlich ganz anders aus. In kurzer Zeit hat die Justizbehörde hier auf 800 Quadratmetern einen Interimsgerichtssaal hochziehen und ausstatten lassen (der Anzeiger berichtete). Am heutigen Freitag startet hier der erste Prozess.

Zerlegt in 30 000 Einzelteile waren die Baumaterialien ab Mitte August angeliefert worden. 15 Sattelzüge kamen dafür zum Einsatz, rechnet Tobias Jeuck, Verantwortlicher des ausführenden Festservice Much, vor. Ein halber Kilometer Kabel ist verlegt und verkleidet worden, bis zu 20 Mitarbeiter waren täglich zeitgleich eingesetzt. "Eine schnelle Lösung für die Corona-Zeit musste gefunden werden", erläutert Schmidt-Nentwig. Unter Einhaltung der Abstände gibt es im Landgericht zu wenig Raum für große Verfahren. Bis zu neun Angeklagte können nun in der Aluminiumkonstruktion neben ihren Verteidigern Platz nehmen. 32 000 Euro Miete kostet die Halle nach Angaben des stellvertretenden Geschäftsleiters Christian Schombert im Monat - geplant ist die Auslagerung großer Prozesse zunächst für ein Jahr.

Bei der Suche nach einem geeigneten Standort war vor allem wichtig, dass das Gelände ausreichend gesichert werden kann. "Bei den meisten Großverfahren handelt es sich um Haftsachen", verdeutlicht Schmidt-Nentwig. Das Regierungspräsidium hatte das Areal zuvor als Parkplatz genutzt, eine Bewachung ist durch den Security-Dienst der HEAE bereits gegeben. "Natürlich unterstützen wir die Justiz", betont Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich. "Wenn wir etwas können, dann Zelte stellen. Das haben wir 2015 ausreichend gemacht", sagt er mit Blick auf die Flüchtlingskrise.

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Dabei ist der Gießener Interimsgerichtssaal - anders als sein Pendant in Limburg - gar kein Zelt. Die Leichtbauhalle ist frostsicher und isoliert, verfügt über Heizungs- und Klimageräte. "Die Sicherheitsmaßnahmen sind wie am Landgericht auch", erläutert Schombert, der die Projektleitung innehat. Der Einlass für Zuschauer und Zeugen erfolgt durch eine Schleuse mit Metalldetektor. Im - durch eine Glaswand abgetrennten - Publikumsbereich finden 26 Interessierte Platz. Die Wände sind mit dickem Molton verkleidet worden. Was im Gerichtssaal gesprochen wird, darf außen nicht hörbar sein. Lediglich "ein Nuscheln" dringe dank Schallschutz noch in den Vorraum, sagt Tobias Jeuck. Im Saal selbst sind die einzelnen Plätze durch verschiebbare Plexiglasscheiben abgeteilt. Damit die Akustikanlage sowie die Kameraübertragung auf die großen Bildschirme reibungslos funktionieren, wird ein Medientechniker am eigens eingerichteten Mischpult stehen. Die beiden Plätze für die Dolmetscher sind technisch so ausgestattet, dass simultane Übersetzungen möglich sind.

Richter und Schöffen gelangen über einen separaten Eingang in den Saal. Im schmucklosen Beratungszimmer stehen schon die Akten für den ersten Prozess - es geht vor der Siebten Großen Strafkammer um die Sprengung von Geldautomaten - bereit. Die Angeklagten werden direkt aus dem Transporter in sechs, dauerhaft von Polizisten bewachte, Container-Zellen geführt. Nach Vorgaben des Landeskriminalamtes (LKA) sind unter anderem die Kanten abgerundet und Türspione eingebaut worden.

Knapp 50 Verhandlungstage sollen bis zum Jahresende in der Leichtbauhalle abgehalten werden. Wie Sabine Schmidt-Nentwig erklärt, kann aber auch das Amtsgericht bald in den Genuss des modernen Saals kommen. Dessen Präsident Meinrad Wösthoff hatte erst kürzlich bei einem Pressegespräch berichtet, dass auch in der Justizbehörde in der Gutfleischstraße Platznot herrscht. Insbesondere für Zwangsvollstreckungen, zu denen teils bis zu 60 Interessenten ins Amtsgericht strömen, fehlt unter Corona-Bedingungen ein geeigneter Raum.

Von Jasmin Mosel