Der Gießener Verein "Gefangenes Wort" schildert die Erlebnisse von Phillip Norton von der BBC, der mit seinem Team von Impfgegnern und Corona-Leugner bedroht wurde.
GIESSEN. Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht - und dennoch wird dieses Recht noch immer in vielen Teilen der Welt unterdrückt. Hervorgegangen aus einer studentischen Initiative, hat es sich der Gießener Verein "Gefangenes Wort" zur Aufgabe gemacht, auf die Gefährdung der Meinungs- und Pressefreiheit aufmerksam zu machen. Seit der Gründung im Jahr 2012 stellen Studierende und Alumni der Justus-Liebig-Universität (JLU) einmal im Monat im Gießener Anzeiger ein Schicksal zensierter, bedrohter, inhaftierter und ermordeter Journalisten und Schriftsteller vor. Diesmal berichtet Dennis Klose über den britischen Journalisten Phillip Norton und die Bedrohung der Pressefreiheit durch Impfgegnerinnen und Impfgegner. Neben den Schäden an der Gesundheit von Millionen von Menschen wirkt sich die Corona-Pandemie auch negativ auf die Pressefreiheit aus: Diktatoren benutzen sie als Vorwand, um unliebsame Journalisten an ihrer Arbeit zu hindern. In demokratischen Ländern bestärkt die Unübersichtlichkeit der Pandemie die Erzählung einer angeblich mit der jeweiligen Regierung gleichgeschalteten "Lügenpresse," die Gegner einer demokratischen Konsenspolitik über etablierte Zeitungen und Fernsehsender verbreiten wollen. Zunehmend versuchen sie dabei auch, Journalistinnen und Journalisten durch Einschüchterung an ihrer Arbeit zu hindern und so durch körperliche oder verbale Gewalt die öffentliche Meinungsbildung zugunsten ihrer eigenen - meist kaum faktenbasierten - Realitätsdeutungen zu manipulieren. Dies mussten der britische BBC-Journalist Phillip Norton und sein Team am 28. August dieses Jahres am eigenen Leib erfahren.
Norton befand sich an diesem Sonntag in der nordenglischen Küstenstadt Scarborough, um darüber zu berichten, wie die dortige Bevölkerung das zu einem Brückenfeiertag hin verlängerte Wochenende angesichts steigender Inzidenz-Zahlen verbrachte. Während der Dreharbeiten wurden Norton und sein Team auf einem öffentlichen Platz von mehreren Impfgegnern eingegrenzt und bedrängt. Sie bezeichneten die Medienmitarbeiter als Mörder und Pädophile und skandierten Parolen wie "Die Schlingen für Euch sind gelegt", "Hängen werdet Ihr" oder "Im September beginnen für Euch die Nürnberger Prozesse". Einzelne Mitglieder der wütenden Menge stellten zudem in ihren Gesten durchgeschlitzte Kehlen dar. Teil des Mobs war ein Mann namens Jay Costello, der schon früher durch verbale Gewalt bei Protesten gegen Corona-Maßnahmen aufgefallen war.
Durch sein Megafon erklärte Costello, man beobachte Norton und seine Kollegen schon länger und bald würden sie sich nicht mehr so frei in der Öffentlichkeit bewegen können. Er sei an diesem Tag 50 Meilen gefahren, "um euch Pack zu erwischen". Später setzte Costello hinzu, man werde zwar keine Gewalt anwenden, aber Norton und seine Kollegen hätten an diesem Ort nichts verloren. Die spätere Anfrage einer Lokalzeitung, seine Sicht auf den Vorfall zu schildern, lehnte Costello ab. Norton und sein Team überstanden den Angriff körperlich unbeschadet. Norton sah sich jedoch gezwungen, einen Mitschnitt des Vorfalls auf Twitter zu veröffentlichen, da derartige Einschüchterungsversuche von Journalisten im Vereinten Königreich zunehmend auftreten würden, und es mittlerweile nahezu ein normaler Teil des Jobs sei, auf der Straße angefeindet und bedroht zu werden. In der Tat hatte sich in derselben Woche eine Gruppe von Impfgegner widerrechtlich Zugang zur Londoner Zentrale der "Independent Television News" verschafft und die Redaktionsmitglieder dazu gezwungen, sich in ihren Büros zu verschanzen. Die meisten Twitter-Kommentare zu Nortons Post zeigten sich bestürzt und forderten strafrechtliche Konsequenzen für den Vorfall in Scarborough.
Phillip Norton betont, er sei stolz auf seine Arbeit und die hohe Akkuratheit sowie die Qualitätsstandards, die er und seine Kollegen ihren Berichten zugrunde legten. Auf Twitter erklärt er: "Wir erkennen jede Meinung an, aber so bringt man die Leute nicht zum Zuhören."