Fraktionen "Gießener Linke" und "Piraten/Bürgerliste" sind mit dem Akteneinsichtsausschuss "Bahndurchstich Dammstraße" unzufrieden. Sie kündigen eine Gegendarstellung an.
GIESSEN. Brutto-Netto-Verwechslung, Baukostensteigerung, heftige Kritik der Opposition - der Bahndammdurchstich von der Dammstraße zur Bootshausstraße hat in den vergangenen Jahren immer wieder Schlagzeilen gemacht. Wie ist es zu den Mehrkosten gekommen? Wann waren sie bekannt? Um diese Fragen zu klären, hat ein Akteneinsichtsausschuss auf Antrag der Fraktionen "Gießener Linke" und "Piraten/Bürgerliste" im Juli 2019 die Arbeit aufgenommen. Nun endete der Ausschuss mit dem Abschlussbericht von Gerhard Merz (SPD). "Hinweise auf sach- oder gar rechtswidriges Verhalten der Verwaltung und/oder des Magistrats in Fragen der Planung, Vergabe und Durchführung der Maßnahme und im Hinblick auf die Unterrichtung der Öffentlichkeit haben sich nach Überzeugung des Berichterstatters nicht ergeben", informiert Merz in dem Papier. Bei Gegenstimmen von "Gießener Linken" und "Piraten/Bürgerliste" stimmte der Ausschuss dem Bericht und damit auch seiner Auflösung zu. Die Initiatoren kündigten eine Gegendarstellung an.
Durchstich-Kosten: Am Ende sind es 3,6 Millionen Euro statt erwarteter 2,5 Millionen Euro. Zu Beginn war sogar die Zahl von rund zwei Millionen Euro zu hören. Hinzu kommen 800 000 Euro Ablöse an die Bahn, die allerdings bei Maßnahmenbeginn bereits feststanden. Neben der Frage, wie es zu der erheblichen Steigerung kommen konnte, habe der Ausschuss klären sollen, ob Stadtparlament und Öffentlichkeit gezielt falsch informiert und die Kosten bewusst zu niedrig angesetzt worden seien, führt Michael Janitzki von der "Gießener Linken" in einer Mitteilung aus. Mehrfach kritisieren der Stadtverordnete und die weiteren Antragssteller in Sitzungen des Ausschusses, dass die vorgelegten Akten unvollständig seien.
"Teile fehlen"
In einem Schreiben Janitzkis für die Sitzung des Ausschusses am 7. Dezember 2020 heißt es: "Bei meiner eingehenden Akteneinsicht in der Stadtverwaltung am 5. und 10. November habe ich festgestellt, dass in den vom Tiefbauamt zur Einsicht bereitgestellten 16 Ordnern wichtige Teile fehlen, dass also das Tiefbauamt offensichtlich nicht alle den Vorgang 'Bahndurchstich Dammstraße' betreffende Akten vollständig dem Akteneinsichtsausschuss vorlegt." Für die Sitzung am 2. Februar erneuert der Stadtverordnete seine Kritik - in beiden Fällen mit Aufstellungen, welche Unterlagen aus seiner Sicht nicht vorhanden sind.
Gerhard Merz gelangt zu einem anderen Ergebnis. Gemäß Abschlussbericht hat er als Berichterstatter "keinen Zweifel daran, dass dem Ausschuss alle zur sorgfältigen Erfüllung seines Auftrags notwendigen Unterlagen zur Verfügung standen und dass ausreichend Zeit für deren Prüfung gegeben war." Unter anderem argumentiert Merz damit, dass Stadträtin Gerda Weigel-Greilich auf zweimalige Nachfrage erklärt habe, dass "alle erforderlichen Unterlagen dem Ausschuss vorgelegt worden seien beziehungsweise, dass es in ihrem Hause keine Unterlagen zur Maßnahme Dammdurchstich gebe, die dem Ausschuss nicht vorgelegt worden seien".
Auch einen weiteren Vorwurf weist Merz zurück. In der Sitzung am 7. Dezember 2020 hatten Janitzki und Matthias Riedl von der "Gießener Linken" sowie Thomas Jochimsthal von der Fraktion "Piraten/Bürgerliste" moniert: "Eine Erkenntnis bleibt aber und wird als Tatsache auch nicht in den Antworten des Magistrats auf Anfragen bestritten, dass das Tiefbauamt, die zuständige Dezernentin und die Kämmerei Ende 2015, als die Realisierung des Projektes begann, öffentlich die Kosten dafür mit zwei Millionen bezifferten, im Haushalt für 2016 aber - von der Öffentlichkeit unbemerkt - mehr als drei Millionen Euro inklusive der damaligen Finanzplanung verfügbar machten." Aus Sicht des Berichterstatters gehe dieser Hinweis und insbesondere die Unterstellung, diese Mittelanmeldung sei von der Öffentlichkeit unbemerkt geschehen, ins Leere. Merz: "Es sei darauf hingewiesen, dass es keine öffentlicheren und verbindlicheren Aussagen des Magistrats gibt als den von diesem vorgelegten Haushalt, der allen Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlung und der Ortsbeiräte zur Beratung vorgelegt wird, und der darüber hinaus selbstverständlich ein öffentliches Dokument ist." Alles in allem kommt der Sozialdemokrat zu dem Ergebnis, dass sich Hinweise auf sach- oder rechtswidriges Verhalten nicht ergeben haben.
"Der Ausschuss ist aus unserer Sicht gescheitert. Seinen Auftrag konnte er nicht erfüllen - bis auf einen Punkt", meint dagegen Janitzki. Denn er habe in einer der E-Mails den "Verfasser der Fehlinformation" zum Bahndurchstich im Kommunalen Investitionsprogramm (KIP) gefunden. In dieser E-Mail habe gestanden, dass der Finanzbedarf für das Bauvorhaben auf zwei Millionen Euro geschätzt werde und die Mittel in dieser Höhe zur Verfügung stünden. In Wirklichkeit seien zu dieser Zeit längst Mittel in Höhe von drei Millionen Euro bereitgestellt gewesen. "In dieser E-Mail schlug das Tiefbauamt der Dezernentin unter anderem eine Anmeldung des Projektes zum Kommunalen Investitionsprogramm (KIP) mit genau dem gleichen Text vor, der später in der Vorlage der Kämmerei dazu zu lesen war", berichtet der Stadtverordnete. Demnach sei bewiesen, dass die Kosten "bewusst zu niedrig angesetzt worden waren". Am 4. März beschäftigt sich die Stadtverordnetenversammlung mit dem Abschlussbericht. "Gießener Linke" und "Piraten/Bürgerliste" wollen dann ihre Gegendarstellung präsentieren.