Lena Frewer vom Verein "Gefangenes Wort" Gießen befasst sich mit der Entwicklung der Meinungs- und Pressefreiheit in Afghanistan. Was bleibt nach der Machtübernahme der Taliban?
GIESSEN. Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht - und dennoch wird dieses Recht noch immer in vielen Teilen der Welt unterdrückt. Hervorgegangen aus einer studentischen Initiative, hat es sich der Gießener Verein "Gefangenes Wort" zur Aufgabe gemacht, auf die Gefährdung der Meinungs- und Pressefreiheit aufmerksam zu machen. Seit der Gründung im Jahr 2012 stellen Studierende und Alumni der Justus-Liebig-Universität (JLU) einmal im Monat im Gießener Anzeiger ein Schicksal zensierter, bedrohter, inhaftierter und ermordeter Journalisten und Schriftsteller vor. Diesmal befasst sich Lena Frewer mit der künftigen Entwicklung der Meinungs- und Pressefreiheit in Afghanistan und der Situation der Betroffenen, nachdem nun die Taliban das Land wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben.
Während diese Kolumne entsteht, hat vor wenigen Tagen die letzte deutsche Maschine den Flughafen von Kabul verlassen und auch die USA wird am 31. August ihre Truppen vollständig abgezogen haben. Was bleibt also nach Ende des NATO-Einsatzes, nach der Machtübernahme der Taliban und den Evakuierungen im August? Wie wird sich die Lage der Meinungs- und Pressefreiheit in Afghanistan entwickeln und was bedeutet das für Medienschaffende im Land?
Der österreichisch-afghanische Journalist Emran Feroz, dessen Buch "Der längste Krieg. 20 Jahre War on terror" gerade erschienen ist, beobachtet die Lage der Meinungs- und Pressefreiheit im Land mit großer Sorge. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte er, dass eine große Meinungsvielfalt in Afghanistan gerade verloren ginge und sich viele Menschen schon in den ersten Tagen der Taliban-Herrschaft selbst zensierten, indem sie etwa ihre Social-Media-Profile löschten, SIM-Karten zerstörten und Dokumente verbrannten.
Nach Angaben von "Reporter ohne Grenzen" haben etwa 100 private Medien den Betrieb eingestellt, besonders betroffen sind lokale Radio- und Fernsehsender. Diejenigen, die noch arbeiten, mussten ihr Programm schon teilweise einstellen. Es häufen sich auch Berichte von Journalisten, die von den Taliban aktiv an ihrer Arbeit gehindert werden. Sie werden gezwungen, Propaganda-Material zu senden, nicht wenige Sender beschränken sich aus Angst vor Repressionen nur noch auf genehmigte Nachrichteninhalte und Archivbeiträge. Die öffentliche Verlautbarung der Taliban vom 17. August, es werde keine Drohungen gegen Journalisten geben, ist erwartbar nichts wert - dennoch veranlasst dies die Bundesregierung nicht zum Handeln.
Bereits am 15. August forderten deutsche Medienhäuser und Verlage gemeinsam mit "Reporter ohne Grenzen" in einem offenen Brief unbürokratische Visaverfahren und Evakuierungen für Journalisten und alle Menschen, die Berichterstattung vor Ort erst ermöglichen - mit Übersetzungen, logistischen Unterstützungen und vor allem Kontakten in die Provinzen. Ohne diese afghanischen Ortskräfte wäre auch eine unabhängige Meinungsbildung in Deutschland über den Bundeswehreinsatz nicht denkbar. Wolfgang Bauer, Mitinitiator des offenen Briefes, erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung, die sich noch immer nicht um die Ausreise von Journalisten aus Drittstaaten und deren Mitarbeitern bemüht hat. Eine kommende Gefährdung von Meinungs- und Pressefreiheit hätte sich laut Bauer schon vor Jahren abgezeichnet, als die NATO einen mittelfristigen Truppenabzug erstmals ins Gespräch brachte. Der Tod von Journalisten wie Danish Sidiqqi oder Amdadullah Hamdard und die Gefährdung der Leben von vielen weiteren Medienschaffenden hätten bei rechtzeitigen Evakuierungen verhindert werden können.
Es ist zu erwarten, dass Unterstützungskräfte wie Übersetzer in Zukunft besser geschützt werden müssen und ihre Arbeit massiv kontrolliert wird - insbesondere, wenn sie für Journalisten tätig sind. Denn wenn Interviewpartner auf kritische Fragen kritisch antworten, leben nicht nur sie selbst gefährlich, sondern auch ihre Familien und das Umfeld all derer, die für Medien arbeiten. Vorausgesetzt, sie können es noch.