Der gefeierte Countertenor Valer Sabadus hätte heute Abend im Stadttheater singen sollen: Ein Gespräch über Technik, Schulchor-Erlebnisse und seine Faszination für "Rammstein".
. Giessen. Eigentlich sollte der weltweit erfolgreiche Countertenor Valer Sabadus heute Abend gemeinsam mit dem Klassikensemble "Sparks" auf der Bühne des Gießener Stadttheaters stehen. Das Coronavirus macht dem Musikereignis nun einen Strich durch die Rechnung. Wir haben mit dem 34-Jährigen kurz vor der Absage gesprochen - über seine Technik, seinen einstigen Oberstufenchor und sein Interesse an Heavy Metal.
Herr Sabadus, wie erklären Sie sich die derzeitige Renaissance von Counter-Tenören?
Da gibt es mehrere Faktoren. Zunächst einmal die wesentlich größere Akzeptanz beim Publikum. Es wird heute nicht mehr erwartet, dass Männer nur wie Männer und Frauen nur wie Frauen zu klingen haben. Noch vor nicht allzu langer Zeit gab es dagegen viele Vorbehalte. Ein Counter war ein Novum und hat eine Nische besetzt.
Haben Sie selbst Vorbehalte gespürt?
Bei Wettbewerben, an denen alle Stimmen teilgenommen haben, haben meistens Tenöre oder Soprane die Preise gewonnen, bei mir lag die Messlatte wohl etwas höher. Ich führe das aber auf Unsicherheit und auch Ignoranz zurück.
Wie haben Sie Ihre außergewöhnliche Begabung entdeckt?
Das war meine Mutter. Ich habe im Unterstufenchor den Knabensopran gesungen. Viele junge Sänger pausieren im Stimmbruch erst einmal, bei mir gab es einen fließenden Übergang. Ich kam in den Oberstufenchor und habe einfach inmitten der Mädchen mit meiner Sopranstimme weitergesungen. Das hat die Mädchen amüsiert, aber der Chorleiter hat mich zu den Männerstimmen gesetzt. Ich habe gemerkt, dass meine Stimme nicht die erforderliche Tiefe für einen Bass hat, ich aber auch mit den Höhen im Tenor Schwierigkeiten hatte. Dann habe ich im Falsett gesungen. Meine Mutter hat einmal gehört, als ich Andreas Scholl imitiert habe und war völlig perplex. Da war ich 17 Jahre alt und seitdem singe ich als Countertenor.
Wie muss man sich Ihre Technik vorstellen?
Beim Singen im Falsett muss man den ganzen Körper aktivieren, sodass mehr Resonanzraum zum Singen entsteht. Ich habe die Funktion meiner Kopfstimme intensiviert, aber natürlich ist auch ein gewisser Anteil Bruststimme dabei, die vor allen beim Lagenwechsel ins tiefere Passaggio unabdingbar ist. Da man als Countertenor mit einem höheren Atemdruck, als beispielsweise ein Tenor singt, besteht zudem das Risiko, sich selbst zu überschätzen und die sensible Stimme zu druckvoll zu führen. Das eigene innere Ohr verführt einen dabei, ständig lauter zu singen, weil man sich selbst leiser hört, als es tatsächlich der Fall ist. Die Stimme ist ein Muskel, der ständig trainiert werden muss, sonst erschlafft sie. Im Falsett singen ist eine Mischung aus Veranlagung, Technik und Fleiß.
Wie kam es zum gemeinsamen Projekt mit "Spark", bei dem Sie Barockmusik, französische Impressionisten, französische Chansons bis hin zu "Depeche Mode" und "Rammstein" auf die Bühne bringen?
Der Kontakt ist über meine Frau entstanden, die als Bratschistin und Geigerin mal bei "Spark" mitgespielt hat. Ich habe das gehört und war begeistert von der Energie eines doch kleinen Ensembles und wie sie lustvoll ihre Stile mixen. Vor zwei bis drei Jahren ist dann die Idee entstanden, dass wir etwas gemeinsam machen. Mit dem Programm "Closer to paradise" wollen wir ganz unterschiedliche Facetten von Sehnsucht zeigen: nach innerem und äußerem Frieden, nach der Natur und nach Liebe. Ich war schon immer ein Fan von Rockmusik und höre auch mal Heavy Metal. "Apocalyptica", Nina Hagen oder "Metallica" haben mich beeindruckt.
Wie wurde das Programm entwickelt?
Als "Spark" mich gefragt haben, was ich gerne mal außer Barock singen möchte, war meine spontane Antwort der "Seemann" von Rammstein. Damit waren die Eckpfeiler gesetzt: Ein Programm von Barock bis "Rammstein", in dem es immer um die Sehnsucht geht. Zu der düsteren Art von "Rammstein" passt Robert Schumann, der sich für schwarze Romantik interessiert hat und dann auch geisteskrank wurde.
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