Der 37-Jährige erweckt am Amtsgericht Dillenburg den Eindruck eines nicht integrierbaren Mannes. Was spricht für eine Haft und gegen eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt?
DILLENBURG/ESCHENBURG/ SINN/GIESSEN. Ein 37-jähriger Flüchtling muss sich vor dem Amtsgericht Dillenburg wegen dreier Tatkomplexe, darunter Brandstiftung und Messerstecherei, verantworten. Nach der Beschreibung des Mannes durch einen Gutachter kommt dessen Urteil dem Begriff "hoffnungsloser Fall" sehr nah. Richter Matthias Gampe vernahm mit seinen beiden Schöffen fast ein Dutzend Zeugen. Der Prozess soll am Freitag, 30. September, mit dem Urteil enden.
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In der Anklage durch Amtsanwalt Christian Messerschmidt geht es um drei Tatorte: das Erstaufnahmelager in Gießen, eine Wohnung in Sinn und die Asylunterkunft des Angeklagten in Eibelshausen.
Pro Tag eine Flasche Wodka und zwei bis drei Dosen Bier
In Gießen waren vier Taten angeklagt, wobei der Asylsuchende den Diebstahl von Parfüm einräumte. Er nahm trotz des Hinweises seiner Verteidigerin Monika Tropp, sich nicht äußern zu müssen, zu einigen Anklagen Stellung, offenbarte dabei Wissenslücken gut drei Jahre nach den Taten, die er mit Alkoholkonsum begründete: "Ich trinke nur eine Flasche Wodka pro Tag und zwei bis drei Dosen Bier."
Seine augenscheinliche Abhängigkeit, die sich schon als Heranwachsender in der Hauptstadt seines Heimatlandes entwickelt habe, begründete er damit, dass er seine auch in Deutschland bei seiner Ex-Frau lebenden Kinder nicht sehen dürfe.
In der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen beleidigte er am 14. August 2019 eine Mitarbeiterin schwer - sie verstand seine arabischen Worte. Zwei Wochen später soll er Sicherheitspersonal damit gedroht haben, dieses aufzuschlitzen. Nur fünf Tage später habe er sich mit einer Rasierklinge am Arm und im Gesicht selbst verletzt, um mehr als die ihm zugestandene Medikamentenmenge zu erhalten. Danach, so ein Zeuge, habe er versucht, mit dem Messer auf ihn loszugehen. Der Angegriffene habe aber mit einem Stuhl die entscheidende Distanz zu dem damals 34-Jährigen schaffen können, ehe Security-Mitarbeiter ihn haben fixieren können.
Betretungsverbot für das medizinische Zentrum
Kräfte der Einrichtung beschrieben den Flüchtling als "schwierigen Fall". Ein Arzt sagte, dass der Angeklagte ein Betretungsverbot für das medizinische Zentrum erhalten habe und deshalb am Tor behandelt worden sei.
Ein Wachmann erzählte, nach den Vorfällen sei er nach dem Verlassen seines Zimmers rund um die Uhr bewacht worden, "damit er sich selbst und anderen nichts antut". Von den damals rund 2500 Bewohnern sei nur er so extrem gewesen. Sein Kollege sagte, dass solche Bedrohungen nicht normal seien.
Am 12. Januar 2020 war der Angeklagte zu einer Feier in Sinn, wo er inzwischen wohnte, gestoßen. Dort habe man Rauschgift mithilfe eines zusammengerollten 50-Euro-Scheins konsumiert. Als der Geldschein verschwunden gewesen sei, habe es Streit mit anderen Gästen gegeben, die schon vorher da waren. Das tschechische Opfer hatte bei der Polizei ausgesagt, "dass der Gegner "von oben herab auf meinen rechten Arm gestochen hat". Im Entlassungsbrief des Krankenhauses war eine zwölf Zentimeter tiefe Schnittwunde beschrieben.
Der Angeklagte hatte zuvor von Erinnerungslücken gesprochen und gesagt, die Polizei habe ihm berichtet, dass er in Sinn gewesen sei. Die Ordnungshüter hatten bei ihm ein Handy konfisziert, das in Sinn gestohlen worden war. Die Aussagen der verschiedenen Zeugen unterschieden sich zwar hier und da, doch der Messerstich kam in allen Varianten vor.
Am 10. August 2020 wohnte der von einem Dolmetscher unterstützte Angeklagte, der kein Deutsch spricht, in einer Asylunterkunft in der Eibelshäuser Hauptstraße. Dort brach am frühen Abend ein Brand aus. Ein Zeuge berichtete, der Asylsuchende sei auf dem Bürgersteig hin- und hergelaufen. Es seien Flammen aus dem Fenster gekommen.
Sachverständiger geht von Brandstiftung aus
"Als Hausbesitzer hätte er sich anders benommen", schilderte der Zeuge seinen Eindruck. Er nannte die zu einer Asylunterkunft umgebaute Scheune einen "Holzverschlag".
Eschenburgs Gemeindebrandinspektor Joachim Pfeiffer schilderte den Feuerwehreinsatz, der mit der Alarmierung um 18.37 Uhr begonnen habe. Vier Minuten später seien erste Kräfte eingetroffen, um 19.18 Uhr habe man den Brand unter Kontrolle gehabt.
Auch er berichtete von dem Angeklagten: "Er war etwas zerstreut und aggressiv - die Menschen verhalten sich bei solchen Bränden zumeist anders." Pfeiffer sprach von zwei Brandstellen in einem Abstand von acht Metern, die nicht zusammengepasst hätten. Deshalb vermutete er Fahrlässigkeit oder Vorsatz als Ursache für das Feuer.
In dieser Einschätzung wurde er von einem von einer Versicherung beauftragten Sachverständigen für Brand- und Explosionsursachen unterstützt. Dieser nannte sogar drei Brandstellen, schätzte den Abstand eher auf zehn als acht Meter. Weder in der Wohnung noch im herausgeräumten Brandschutt hatte er eine technische Zündquelle als Ursache erkennen können. Deshalb lautete sein Fazit: "Aus meiner Sicht war es Brandstiftung."
Shisha-Pfeife mit Wodka und Haschisch gefüllt?
Hierzu hatte der Angeklagte zu Beginn gesagt, er habe statt Wasser Wodka und statt Tabak Hasch in die Shisha-Pfeife gefüllt, was zu einer Explosion geführt habe. Die Scheune mit der nicht wieder sanierten Wohnung fiel übrigens am 4. August dieses Jahres einem Vollbrand zum Opfer.
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Gutachter Martin Stein aus Limburg sieht bei dem Angeklagten trotz des regelmäßigen Alkoholkonsums keine verminderte Steuerungs- und damit Schuldfähigkeit, aber auch "keine positiven Prognosekritierien" bei einer gerichtlich angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Er habe eine "höchste Gefährlichkeit" mehrfach unter Beweis gestellt, "wenn ihm was passiert, was ihm nicht gefällt". Der Experte sprach von einer "hohen statistischen Rückfallwahrscheinlichkeit" sowie einem "hohen Anspruchsniveau". Die fehlenden Deutschkenntnisse seien ein Problem. Man müsse sich genau überlegen, ob man das Risiko eines Zwangsentzugs eingehe.