Bundesgesundheitsminister Jens Spahn besuchte am Dienstag gemeinsam mit Ministerpräsident Volker Bouffier und Sozialminister Kai Klose das Uniklinikum in Gießen. Ein...
GIESSEN. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist offenbar im Umgang mit Atemschutzmasken noch nicht ganz so geübt. Als er eine solche am Dienstag bei seinem Besuch am Uniklinikum Gießen (UKGM) aufsetzen musste, hatte Spahn sie zunächst falsch herum angelegt. Änderte das aber wieder, nachdem ihn jemand darauf aufmerksam gemacht hatte. Neben dem Gesundheitspolitiker nahmen auch Ministerpräsident Volker Bouffier, Kanzleramtschef Prof. Helge Braun (beide CDU) und Hessens Sozialminister Kai Klose (Bündnis 90/Grüne) an dem Besuch teil, der trotz Corona-bedingten Einschränkungen und Schutzmasken-Pflicht von einem großen Medienecho mit mehreren Kamerateams begleitet war. Was dazu führte, dass es des Öfteren ziemlich eng zuging und Abstandsregeln nicht eingehalten wurden, zumal auch Ärzte und Mitglieder der UKGM-Geschäftsführung sowie Personenschützer und Mitarbeiter der Politiker zugegen waren. Darüber hinaus warnten Mitglieder des Aktionsbündnisses "Gemeinsam für unser Klinikum" mit Plakaten wie "Löhne rauf, Konzerne raus" vor einer Übernahme des UKGM durch den Asklepios-Konzern.
"Viele sind verängstigt"
"Mir war es wichtig, mich vor Ort zu informieren", nannte Spahn später als Grund für seine etwa eineinhalbstündige Stippvisite am UKGM, das wie andere Uniklinika ein Haus der medizinischen Maximalversorgung ist, also für Corona-Patienten die bestmögliche Ausstattung inklusive Beatmungsplätzen bietet. Der Bundesminister wollte aber auch Helfer abseits der Stationen kennenlernen und so machte der Tross seinen ersten Halt am Corona-Sichtungspunkt im Eingangsfoyer des Klinikhauptgebäudes. Nina Thon und Martin Langelage, beides Medizinstudierende der Justus-Liebig-Universität (JLU) in höheren Semestern, erklärten den Politikern in einem kurzen Gespräch ihre Aufgabe, die auch ihre Kommilitonen hier haben: nämlich mögliche Erkrankte vorm Betreten des Hauses abzufangen und sie nach Rücksprache mit einem Arzt, falls nötig, einem Test auf das Coronavirus zuzuführen. "Viele Menschen, die zu uns kommen, sind verängstigt", wusste die Studentin auf Nachfrage Bouffiers zu berichten.
Nächster Halt war in der zweiten Etage die Pneumologische Intensivstation. Hier warteten vor dem Eingang, mit Spezialmaske und Spritzschutzscheibe vor dem Gesicht, bereits Internist Dr. Björn Kemmerling, einer der Stationsärzte, und Intensivpflegekraft Lena Müller. Bevor sie den Gästen einen Einblick in ihren Klinikalltag bei der Betreuung der aktuell 19 auf Intensivstationen liegenden und beatmeten Corona-Patienten gaben, musste Prof. Werner Seeger, Ärztlicher Geschäftsführer am Standort Gießen, eine schlechte Nachricht verkünden: Das Virus hat bislang zwei Todesopfer unter den Patienten gefordert.
Wie Seeger weiter ausführte, werden viele der schwerkranken Corona-Fälle "bereits in der dritten Woche beatmet, und auch dann haben wir noch immer einen Virusnachweis". Der Mediziner hält es für möglich, dass die Beatmung bei solch kritischen Fällen "über die vierte Woche hinaus" notwendig werden könnte. Volker Bouffier wollte dann wissen, wie viele aller bisherigen beatmeten Coronapatienten am UKGM seit Start der Pandemie als geheilt entlassen werden konnten. Leider sei das noch in keinem Fall möglich gewesen, entgegnete der Ärztliche Geschäftsführer, jedoch habe man mehrere Betroffene nach positivem Heilungsverlauf auf Corona-Normalstationen verlegen können. In diesem Pneumologischen Intensivbereich wiederum werden derzeit elf Erkrankte betreut, wusste Björn Kemmerling zu berichten. Die acht Übrigen liegen auf einer anderen Corona-Intensivstation. Zwei Fachärzte seien ständig für die elf Patienten da, maximal ließe sich bei dieser Besetzung die Patientenzahl für diese Station auf 14 erhöhen, ergänzte er.
Kritik an Aufzug-Foto
Jeweils eine Intensivpflegekraft kümmert sich um zwei Patienten beziehungsweise ein Krankenzimmer. Zusätzlich seien ein bis zwei Kräfte auf dem Flur unterwegs, um den Kollegen in den Zimmern Dinge anzureichen. "Der Betreuungsaufwand ist deutlich größer als bei sonstigen Beatmungspatienten", betonte Kemmerling. "Daher zieht sich alles unglaublich in die Länge." Zudem müsse man sich jede medizinische Maßnahme "zweimal überlegen". Gilt es doch, bei einer künstlichen Beatmung ein sogenanntes Barotrauma zu vermeiden, also "gleichzeitig die schädigende Wirkung auf die Lunge zu vermindern", wie Seeger erläuterte. Und so sei letztlich jeder Mitarbeiter am Ende des Tages "fix und fertig", sagte Lena Müller. Zumal die Schutzmaßnahmen inklusive ständig zu tragendem Atemschutz auch eine starke körperliche Belastung darstellen. "Jeder Weg muss daher wohlüberlegt sein", so Müller.
Im Anschluss zogen sich die Politiker und UKGM-Vertreter in einen großen Besprechungsraum zurück, wo unter Ausschluss der Öffentlichkeit und bei Beachtung der Abstandsregel weitere Dinge erörtert wurden.
Der Besuch von Spahn & Co. am Gießener Klinikum könnte auch noch anderweitig Folgen haben. Kurz danach fand nämlich über Twitter und andere Onlinekanäle ein Foto rasend schnell Verbreitung, auf dem zu sehen ist, wie sich etwa ein Dutzend Politiker und Mediziner gemeinsam in einen Aufzug zwängen. Vom seit Wochen empfohlenen Abstandhalten - auch mit Atemschutzmaske, die hier zwar alle tragen - ist nichts zu sehen. Entsprechend kritisch fielen online die Kommentare dazu aus, in denen viele User ihr Unverständnis über dieses Verhalten ausdrückten.
Von Frank-O. Docter