Der Leiter der Jugendbetreuung der Awo in Gießen, Nader Madjidian, geht nach 23 Jahren und 400 Jugendlichen, denen er den Weg ins Leben ebnete, in einen Ruhestand, der für ihn...
GIESSEN. Mehr als 60 Kollegen, Freunde, Jugendliche und ehemalige Jugendliche, denen er den Weg ins Leben geebnet hat, sowie Familienmitglieder verabschiedeten mit einer Feier auf dem Schiffenberg den langjährigen Einrichtungsleiter der Jugendhilfe Gießen, Nader Madjidian. Nach 23 Jahren im Dienst der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Gießen geht er in den Ruhestand.
Lange ist es her, dass Madjidian 1974 als einer der ersten minderjährigen unbegleiteten Migranten in Gießen ankam. Der Onkel hatte den damals 17-Jährigen aus seiner Heimatstadt Teheran zum Lernen und Studieren nach Deutschland geschickt, damit er später als Agrarexperte nach Persien zurückkehren sollte. Madjidian blieb auch auf seinem weiteren Lebensweg einer der ersten Pioniere. Er und der heutige SPD-Stadtverordnete sowie Vorsitzende des Gießener Ausländerbeirats, Zeynal Sahin, waren die ersten Migranten, die in Gießen ihr Abitur machten.
Zwar schloss Madjidian sein Studium als Diplom-Agraringenieur noch ab, doch dann kam alles ganz anders. Das lag zum einen an der Islamischen Revolution eines Ajatollah Khomeini, zum anderen aber auch an Madjidians Willen, seinen eigenen Weg zu gehen.
"Statt die Tierproduktion voranzubringen, wollte ich lieber jungen Menschen helfen, ihren Weg zu finden; Menschen, die genauso allein gelassen und orientierungslos in diesem Land ankommen, wie ich damals." Das hat er auch ein langes, intensives Berufsleben lang getan, in dem er mehr als 400 aus sozial schwächeren und meist migrantischen Milieus stammenden Kindern und Jugendlichen nicht nur Ansprechpartner, sondern oft auch Seelsorger und väterlicher Freund war. 92 Prozent von diesen Kindern hätten später eine Ausbildung absolviert, bilanziert er stolz, und es sei für ihn die größte Freude, wenn er einen früheren Zögling in einer Arztpraxis, in einer Gaststätte oder in einem Handwerksbetrieb wiedersehe.
Dieses Kapitel im Leben des 63-Jährigen ging nun auf dem Schiffenberg mit seinem Eintritt in die passive Phase der Altersteilzeit zu Ende, doch zu Ende ist sein Lebensbuch noch lange nicht. Im Gespräch strotzte Madjidian nur so vor Zukunftsplänen und auch der Arbeiterwohlfahrt wird er als - vermutlich sehr rühriger - ehrenamtlicher Mitarbeiter erhalten bleiben. Der ausgebildete Musiktherapeut hat sich vorgenommen, künftig mehr zu musizieren. Der Vater von zwei Kindern und stolze Opa von zwei Enkeln will Spanisch lernen, weil ein Teil seiner Familie mittlerweile spanischsprachig ist, und dann plant er auch noch, deutsche Standardwerke für Musiktherapie in seine Muttersprache Persisch zu übertragen. "Was ich auch immer tun werde, auf die Uhr werde ich dabei nicht mehr sehen", kündigte er schmunzelnd an.
Gemeinhin ist es bei solchen Abschiedsfeiern üblich, den Scheidenden zu überraschen. Aber Madjidian ging auch hier eigene Wege, indem er jedem, der ihn auf seinem Lebensweg begleitet hatte - ob das nun Jahre oder Wochen waren - eine Rose überreichte. Im langen Reigen der Preisungen und der Anerkennung ragten die Statements der von ihm betreuten Kinder und Jugendlichen heraus, die in ihrer aufrichtigen Bewunderung der Arbeit des Betreuers wohl das beste Zeugnis ausstellten. "Ich wusste nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte und Sie haben mir eine Ausbildung empfohlen und immer hinter mir gestanden. Am 13. August habe ich nun meine letzte mündliche Prüfung. Und dafür danke ich Ihnen", sagte einer. Und eine junge Frau fügte hinzu: "Sie sind ein wundervoller Mensch mit einem großen Herzen, wie ich noch keinem begegnet bin."
Matthias Pfeil, der gemeinsam mit Klaus Ernst-Günzel Madjidians direkter Vorgesetzter in der Awo Perspektiven gGmbH war, fand nicht weniger bewundernde - aber auch sehr deutliche - Worte. Menschen wie Nader Madjidian seien das wahre Gesicht der Awo und nicht die korrupte Clique in Frankfurt und Wiesbaden.
Ernst-Günzel erinnerte an Madjidians ersten Arbeitgeber, die Stephanusgemeinde, in der dieser zuvor schon lange unglaublich engagierte Arbeit geleistet habe. Er sei noch immer dankbar, dass dann das Herz für ihn eine größere Anziehungskraft gehabt habe als das Kreuz, sagt Ernst-Günzel in Anspielung auf die Logos von Awo und Diakonie. Dass Madjidian jetzt in die passive Phase der Altersteilzeit eintrete, halte er für ein Gerücht: "Ich kann mir Dich nicht anders als aktiv in Bewegung vorstellen."
Sein designierter Nachfolger Georg Dorausch machte in seinen sehr persönlichen Abschiedsworten deutlich, wie groß für ihn persönlich die Fußstapfen sind, die sein Vorgänger hinterlassen wird. Nader Madjidian sei für ihn, der ihn bereits als Praktikant bei der Awo kennengelernt habe, nie nur ein Kollege und Vorgesetzter gewesen, sondern vor allem ein Mentor, der ihn gerade in jungen Jahren immer wieder geerdet habe. "Einen wie Dich werde ich nicht mehr finden", schloss Dorausch seine Referenz an den Amtsvorgänger.
Voller Vorfreude war dagegen Madjidians älterer Bruder. "Jetzt haben wir endlich mehr Zeit, über alles zu reden, vor allem über Frauen." Er dankte auch "einer Gesellschaft, die meinem Bruder ermöglicht hat, das zu werden, was er ist". Er schloss seine Ausführungen mit mahnenden Worten an die Jugendlichen, die sein Bruder betreut hat. "Wenn Ihr den Nader liebt, dann sollt Ihr auf dem rechten Weg bleiben und das, was Ihr bei ihm gelernt habt, an die, die nach Euch kommen, weitergeben."
Nach all diesen Lobeshymnen fiel die Bilanz des Vielgeehrten sehr bescheiden aus. "Ich konnte viele meiner Ideen verwirklichen", fasste Madjidian sein Lebenswerk knapp und lächelnd zusammen.