Es gilt als "Paukenschlag in der Synthetischen Biologie": Marburger Bioingenieure haben künstliche Zellen konstruiert, die Photosynthese besser betreiben als ihre natürlichen...
MARBURG. Es gilt als "Paukenschlag in der Synthetischen Biologie": Marburger Bioingenieure haben künstliche Zellen konstruiert, die Photosynthese besser betreiben als ihre natürlichen Vorbilder. Die von Stadt, Universität und Unternehmen gegründete Marburger Initiative für Bio- und Nanotechnologie honoriert dies mit einem Preis für die Biochemikerin Dr. Tarryn Miller.
Wenn die Wissenschaftlerin bei den Biobauern auf dem Marburger Markt Spinat kauft, ahnen die Händler nicht, dass die grünen Blättchen mitnichten im Kochtopf landen. Die 32-jährige Biochemikerin vom Marburger Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie braucht den frischen Baby-Spinat für ihre Forschung. Spinat eignet sich nämlich - ähnlich wie Blaualgen - besonders gut dafür, die Chloroplasten zu isolieren. Diese Pflanzenteile dienen als eine Art Sonnenkollektoren.
Was dann im Labor passiert, erinnert aber zumindest anfangs noch ein wenig an Küchenarbeit: Die Forscherin schneidet die Spinatstängel heraus, gießt eine Lösung über die Blättchen und mixt das Ganze so lange durch, bis es wie ein grüner Smoothie aussieht.
Schneller als die Natur
Der wird dann durch ein klassisches Käsetuch gefiltert. Die grüne Flüssigkeit wird in einer Zentrifuge geschleudert, um das feste Material zu sammeln, das wiederum über eine Flüssigkeit mit einer höheren Dichte gegeben wird. Erneut in der Zentrifuge, trennen sich die Teile der Zelle. Und daraus entnimmt Tarryn Miller die Teile der Spinatzelle, die als eine Art Solarkraftwerk für die Kohlendioxid-Fixierung dienen. Diese kombiniert sie dann mit 18 verschiedenen Enzymen, die zusammen das Treibhausgas schrittweise umwandeln. Der so aus dem Spinat isolierte Biokatalysator ist aber nur ein Bauteil der künstlichen Zellen, die das Kohlendioxid mittels Licht einfangen. Der Forscherin ist es gelungen, die von französischen Kollegen entwickelte Technik der Mikrofluidik auf das Projekt anzuwenden. Dazu verbrachte sie mehrere Monate am Centre de Recherche Paul Pascal in Bordeaux. "Damit können wir eine Vielzahl identisch ausgestatteter Tröpfchen herstellen oder einzelne mit spezifischen Eigenschaften versehen", erklärt Miller.
Das hat wichtige Vorteile: Die künstlichen Pflanzenkraftwerke arbeiten zehn- bis 20-mal schneller als die Natur. Das Team um den Marburger Max-Planck-Forscher Prof. Tobias Erb konnte auch bereits zeigen, dass mit den Chloroplasten die Grundbausteine des Antibiotikums Erytromycin hergestellt werden können. Allerdings zerfallen die künstlichen Zellen bislang sehr schnell. Erst in etwa zehn Jahren rechnen die Forscher mit einem stabilen künstlichen Chloroplasten, der dann in größerem Maßstab in der Industrie eingesetzt werden kann. Dennoch feiert die Fachpresse die Forschung als "spektakulären Meilenstein". Schließlich träumen die Forscher schon seit Jahren davon, den Prozess der Photosynthese nachzubilden. Die aus den USA stammende Tarryn Miller ist nun die Erstautorin der Veröffentlichung im renommierten Wissenschaftsmagazin "Science". An der Entwicklung beteiligt ist aber ein ganzes Team. Deswegen würde Miller zumindest ein Teil des Preisgeldes von 5000 Euro gern dazu verwenden, mit ihren Kollegen ein Fest zu feiern - sofern Corona dies wieder zulässt.
Oberbürgermeister Thomas Spies - zugleich Vorsitzender der Initiative Bio- und Nanotechnologie - überreichte den Preis vor dem Marburger Rathaus. Tarryn Miller ist bereits die siebte Preisträgerin des Förderpreises Bio- und Nanotechnologie, mit dem junge Forschende ausgezeichnet werden. Der Hintergrund: Marburg ist ein wichtiger Standort für diese Technologie. Deshalb hat es sich die von Stadt, Universität und Unternehmen gemeinsam gegründete Initiative Bio- und Nanotechnologie zum Ziel gesetzt, Wirtschaft und Wissenschaft durch Gespräche, Seminare und Treffen besser zu vernetzen und zugleich junge Forschende zu fördern.