Vorwürfe gegen Professor der JLU Gießen: "Etliche Leute...

Spurensuche: In dem Verfahren gegen den Wissenschaftler wird es am Amtsgericht noch einen dritten Prozesstag geben.  Foto: Mosel
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Ein Wissenschaftler der JLU Gießen muss sich wegen versuchter Nötigung einer Doktorandin vor dem Amtsgericht verantworten. Seine Kollegen geben als Zeugen bemerkenswerte...

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. GIESSEN. Die junge Frau hatte offenbar panische Furcht. Deshalb sollte auch niemand von dem Treffen erfahren. Und zu ihrer eigenen Sicherheit ließ sie sich obendrein von zwei Männern zu der Verabredung begleiten. "Ich war davon überzeugt, dass es sich um eine Zivilstreife handelt", berichtet der Wissenschaftler, den die Doktorandin der Justus-Liebig-Universität (JLU) an jenem Abend aufsuchte. "Erst später hat sie mir bestätigt, dass sie den Personenschutz privat organisiert hat." Unverkennbar aber war für den 72-Jährigen ihr unruhiges und verstörtes Auftreten. "Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so verängstigt war." Womöglich war es vor allem "die Angst vor der eigenen Courage", vermutet der inzwischen emeritierte Hochschullehrer vor dem Amtsgericht.

Ganz sicher aber habe die 32-Jährige sich vor ihrem Doktorvater gefürchtet. Und sie hatte wohl ebenso große Sorge, dass ihre Promotion gefährdet ist - und damit die erhoffte Karriere. Die junge Frau hatte nämlich die Staatsanwaltschaft über etliche Ungereimtheiten am Institut ihres Betreuers informiert. Und der habe im Herbst 2012 geradezu verbissen nach dem "Judas" gefahndet, der ihn "angeschwärzt hat". Dabei soll der Professor seine Mitarbeiterin massiv dazu gedrängt haben, eine eidesstattliche Versicherung zu unterschreiben. Aus diesem Grund muss sich der kleingewachsene Lehrstuhlinhaber nun wegen versuchter Nötigung vor Strafrichter Dr. Dietrich Claus Becker verantworten.

"Blöde Stimmung"

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Die Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft hatten ab Sommer 2012 die wohl "entspannte und gute Arbeitsatmosphäre" am Institut des Angeklagten beendet. "Das war danach eine blöde Stimmung. Es hat keinen Spaß mehr gemacht, dort zu arbeiten", schildert ein früherer Doktorand des 60-Jährigen am zweiten Verhandlungstag. An die meisten Details vermag er sich nicht zu erinnern, allenfalls an Gerüchte und Informationen vom Hörensagen. "Ich habe versucht, mich da rauszuhalten und mein Projekt abzuschließen." Diese Taktik haben an dem Fachbereich, an dem verschiedene Institute in räumlicher Nähe untergebracht sind, offenbar unzählige Mitarbeiter und Hochschullehrer verfolgt. Obwohl die Berichterstattung in den Medien für reichlich Aufsehen sorgte und der sich immer deutlicher abzeichnende Skandal wenig schmeichelhaft für die Gießener Hochschule war, will sich kaum jemand für Einzelheiten interessiert haben. Doch wenngleich so manche Frage der Prozessbeteiligten unbeantwortet bleibt, vermitteln die Zeugen einen bemerkenswerten Einblick in das Innenleben des Wissenschaftsbetriebs.

Ein Forscher hatte "nur hin und wieder Kontakt" zu dem Angeklagten, ein anderer stand dem nichts weniger als selbstbewussten Agieren des 60-Jährigen "neutral" gegenüber, da es ohnehin "eine tiefergehende Beziehung nicht gab". Allerdings hatte dieser Kollege als Dekan dafür gesorgt, dass die Promotionsstudentin schnellstens einen anderen Betreuer fand. "Ich habe mich bemüht, eine Lösung zu finden und habe das vermittelt", betont der Forscher. Ein Grund, deshalb ein klärendes Gespräch mit dem Angeklagten zu suchen, sei das aber nicht gewesen.

Bei einer Weihnachtsfeier am 11. Dezember 2012 hatte sich der Doktorvater neben die 32-Jährige gesetzt und bei dieser Unterredung soll er sie mit erheblichem Nachdruck aufgefordert haben, eidesstattlich zu erklären, dass keinerlei Informationen aus dem Institut an Dritte weitergegeben werden. Ansonsten hätte sie beruflich keine Zukunft und würde "in der Branche kein Bein mehr auf den Boden bekommen". Dass zwischen beiden an jenem Abend "etwas los war", haben natürlich etliche Anwesende wahrgenommen; irgendwelche Formulierungen oder nur Wortfetzen kann vor Gericht indes keiner wiederholen.

Der emeritierte Professor, den die Doktorandin samt Personenschutz seinerzeit in seinem Wohnhaus konsultiert hat, gibt ebenfalls an, dass er wegen der "Sicherung der Promotion" um Rat gefragt worden sei. "Etliche Leute im Umfeld des Kollegen hatten Angst vor ihm." Und die junge Frau habe gar gefürchtet: "Wenn er mich auf der Straße sieht, überfährt er mich."

Der 72-Jährige galt einst als "Ziehvater" des Angeklagten. Fachlich und menschlich waren die beiden eng verbunden. Der Jüngere folgte dem Älteren gar von Göttingen nach Gießen und wurde entschieden gefördert. Inzwischen wechseln die Forscher kein Wort mehr miteinander, der Emeritus dreht dem 60-Jährigen selbst auf dem Zeugenstuhl demonstrativ den Rücken zu und rutscht erst auf Bitten des Strafrichters - wegen der besseren Akustik - zur Seite.

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Die Schilderungen der Lehrstuhlinhaber aber machen nur zu deutlich, dass im Herbst 2012 längst auch das Präsidium der JLU Nachforschungen angestellt hatte. Während der Angeklagte hartnäckig nach dem "Verräter" in den eigenen Reihen gesucht habe, sollten die Kollegen jede Anfrage oder Beschwerde von Studierenden und Mitarbeitern des 60-Jährigen unverzüglich an die Rechtsabteilung weiterleiten. Dort gab es offenbar auch mehrere Zusammenkünfte, um das weitere Vorgehen abzusprechen. "Ich hatte aber den Eindruck, dass die Rechtsabteilung sehr zurückhaltend reagierte", stellt der alte Herr fest.

"Anonymer Anruf"

Die besorgte Frau konnte letztlich ihre Promotion bei einem anderen Professor beenden, für einen jungen Nachwuchswissenschaftler hatten die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden indes einschneidende Konsequenzen. "Ich brannte für das Algenprojekt", berichtet er. Neben seiner Doktorarbeit war er von dem Angeklagten sogar - obwohl erst 25 Jahre - zum Geschäftsführer des von ihm gegründeten Unternehmens ernannt worden. Allerdings habe er "keinen Einblick in die tatsächlichen Geschäfte erhalten". Der mittlerweile emeritierte Forscher habe ihn darauf hingewiesen, dass das für ihn "ein gewisses Risiko sei". Und als ihn danach auch noch ein anonymer Anruf mit deutlichen Drohungen erreicht habe, zog er die Notbremse. Er schmiss die Promotion sowie den Job als Geschäftsführer hin und kehrte der Universität den Rücken. Der junge Mann ist überzeugt, dass die Doktorandin für das anonyme Telefonat verantwortlich ist. Zumal sie damals einen Privatdetektiv eingeschaltet hatte, der offenbar im Unimilieu recherchiert hat. Der soll bei der Fortsetzung des Prozesses als Zeuge befragt und der illegale Mitschnitt einer Besprechung zwischen dem Angeklagten und der Doktorandin angehört werden.