Was tut Gießen für Obdachlose? So einiges!

Wenn die Temperaturen sinken, wird das Leben "auf der Platte" besonders hart, zumal in Corona-Zeiten.  Symbolfoto: dpa

Oberbürgermeisterin Grabe-Bolz will mehr Sachlichkeit in emotional aufgeladener Debatte. Es gibt viele Hilfsangebote auch in der Pandemie und ausreichende Übernachtungskapazitäten.

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GIESSEN. Nicht zuletzt eine Mahnwache am heutigen Samstag für mehr Solidarität mit wohnsitzlosen Menschen, aber auch etliche Briefe und Anfragen, die sie in den vergangenen Tagen erhalten hatte, veranlassten Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz zu einer Pressekonferenz, in der sie gemeinsam mit den Verantwortlichen von Stadt und Sozialverbänden das umfangreiche Angebot der Stadt Gießen für obdachlose und sozial abgehängte Menschen vorstellte.

Es sei gut, dass sich so viele Menschen für Obdachlose einsetzten, sagte das Stadtoberhaupt. Man wolle das wichtige Thema aber nicht im emotionalen Bereich lassen, sondern stattdessen Rationalität und Sachlichkeit in die Debatte bringen und über die wichtige Arbeit informieren, die schon seit Jahrzehnten täglich für Obdachlose geleistet werde. "Da werden Bilder gezeichnet, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben", kritisierte Grabe-Bolz.

Jens Dapper, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Gießen, betonte denn auch, dass man nicht nur zur Winters- und Weihnachtszeit ein professionelles System von Hilfsangeboten habe. Deshalb könne man auch in der aktuellen Corona-Lage unaufgeregt in die Zukunft schauen. Derzeit habe man 24 offizielle Übernachtungsmöglichkeiten im städtischen Obdachlosenheim, die im Winter durch Notbetten auf bis zu 40 aufgestockt werden könnten. Zwar sei die Platzkapazität durch Corona-bedingte größere Abstände in den Zimmern gesunken, doch habe man zusätzliche Lösungen gefunden, etwa durch das Anmieten einer Vier-Zimmer-Wohnung in unmittelbarer Nähe des Obdachlosenheims, sodass man derzeit 34 Übernachtungsplätze anbieten könne. "Und damit sind wir bislang noch nie an die Kapazitätsgrenzen gekommen", betonte Dapper. Derzeit seien 18 Wohnsitzlose in städtischen Einrichtungen untergebracht. Einer davon sei mit Corona infiziert und stehe ebenso wie zwei Verdachtsfälle unter Quarantäne. Jeder Neuankömmling müsse sich einem Corona-Schnelltest unterziehen, ergänzte Christian Garden, Leiter des Awo-Wohnheims, zudem würde bei Verdachtsfällen jeden Tag die Temperatur gemessen. Die Einhaltung der Quarantäne gestalte sich wider Erwarten problemlos. Erkrankte Obdachlose würden die Unterbringung in einem geheizten Zimmer mit Fernsehen, Verpflegung und ärztlicher Versorgung sogar schätzen. Garden hofft, dass sich die Lage in den Notunterkünften ab März entspannt. - vorausgesetzt, der Impfstoff stehe in ausreichenden Mengen zur Verfügung.

Etwas schwieriger gestalte sich die ambulante Versorgung von Obdachlosen am Tage, führte Holger Claes, der Leiter des Diakonischen Werks Gießen, aus. Der Tagesaufenthalt "Die Brücke" komme schon länger an seine Kapazitätsgrenze. Corona hab die Lage noch verschärft. Allerdings würden in der Stadt auch falsche Zahlen kursieren. "Dass jeden Tag 300 Menschen die ,Brücke' aufsuchen, das ist Quatsch. Es sind 50 bis 70." Claes richtete sein Augenmerk auf eine Gruppe, die weitgehend durchs Raster des Sozialstaats fiele, nämlich die bis zu 200 Menschen, die nicht hier geboren seien und keinen Anspruch auf Sozialleistungen hätten. Überwiegend handele es sich dabei übrigens um EU-Bürger, nämlich Osteuropäer, die hier zwar Freizügigkeit genießen würden, aber ohne Arbeit von Sozialtransfers ausgeschlossen wären. "Das ist ja auch so gewollt, um keine Anreize für eine Binnenmigration innerhalb der EU zu schaffen, aber ein echtes Problem für diese Menschen", betonte Claes. Umso wichtiger sei das ehrenamtliche Engagement gerade von Medizinern für die Betroffenen. In Gießen ständen dafür ein Allgemeinmediziner, eine Anästhesistin, ein Zahnarzt und eine ehemalige Gemeindeschwester zur Verfügung.

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Diakonie-Mitarbeiter Andreas Schmidt rückte ein weiteres Problem in den Fokus. So gebe es in Gießen Menschen, die "unter prekärsten Bedingungen" mehr hausen als wohnen und dabei noch von ihren Vermietern finanziell ausgebeutet würden. Das Projekt "Housing first", das versucht, obdachlos gewordene Menschen über eine Wohnung wieder zu stabilisieren, sei dagegen ein großer Erfolg. Von 14 Klienten seien mittlerweile 13 in ein reguläres Mietverhältnis gewechselt. Viele hätten ihre Suchtproblematik in den Griff bekommen und einige sogar wieder Arbeit gefunden.