Zwei Wissenschaftler aus Gießen wollten das Christentum von...

Sitz der ersten Geschäftsstelle des späteren "Entjudungsinstituts" in Eisenach in den 1920er Jahren.  Foto: Stiftung Lutherhaus Eisenach

Elf evangelische Landeskirchen hatten im Mai 1939 das "Entjudungsinstitut" mit dem Ziel gegründet, eine "artgemäße", "germanische" Nationalkirche zu schaffen.

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. GIESSEN. Sein Amt als wissenschaftlicher Leiter des "Instituts zur Erforschung (und Beseitigung) des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben", das er seit 1943 bekleidet hatte, legte der Gießener Theologieprofessor Georg Bertram vor 75 Jahren - am 8. Juni 1945 - nieder. Kurze Zeit später wurde dann auch dieses sogenannte Entjudungsinstitut geschlossen, das sechs Jahre zuvor am 6. Mai 1939 von elf evangelischen Landeskirchen im Hotel auf der Wartburg mit dem Ziel gegründet worden war, das Christentum von allen angeblichen jüdischen "Verfälschungen" zu befreien und somit eine "artgemäße", "germanische" Nationalkirche zu schaffen.

Den Plan für eine solche Forschungseinrichtung hatte der Jenaer Theologieprofessor Walter Grundmann (1906-1976) im November 1938 unmittelbar nach den antisemitischen Exzessen der "Reichspogromnacht" entwickelt. Er verstand diese als Signal, die Kirche ebenfalls umfassend zu 'entjuden'. Mit dem "Entjudungsinstitut" sollte dem zunehmend kirchenfeindlichen NS-Regime zugleich unzweifelhaft bewiesen werden, dass das Christentum kein "Judentum für Nichtarier" sei. Zwar hatte der Großteil der evangelischen Landeskirchen schon 1933 freiwillig einen "Arierparagraphen" eingeführt, der die Versetzung aller Pfarrer mit "nichtarischen" Vorfahren in den Ruhestand vorsah - doch das genügte nicht: Auch die christliche Lehre und Frömmigkeit sollte von allen jüdischen Bezügen "befreit" werden. Elf protestantische Landeskirchenleiter, darunter Paul Kipper, der Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Nassau-Hessen, nahmen Grundmanns Vorschlag begeistert auf und bekannten im März 1939 in einer gemeinsamen Erklärung nicht nur ihre "unwandelbare Treue zu Führer und Volk", sondern auch, dass der Nationalsozialismus das Werk des Reformators Martin Luther fortführe und zwischen Christentum und Judentum ein "unüberbrückbarer religiöser Gegensatz" bestehe.

Als erste gemeinsame Maßnahme beschlossen sie die Gründung eines "Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben", deren Arbeit sie gemeinsam finanzierten. Und diese Arbeit gestaltete sich überaus erfolgreich. Bereits in den ersten beiden Jahren wurden drei für eine breite Öffentlichkeit bestimmte Publikationen vorgelegt: ein 'entjudetes' Neues Testament ("Botschaft Gottes", 1940), ein 'entjudetes' Gesangbuch ("Großer Gott wir loben dich", 1941) und ein 'entjudeter' Katechismus ("Deutsche mit Gott", 1941). Jesus Christus wurde hierin als ein erbitterter Kämpfer gegen das Judentum dargestellt und alle Hinweise auf seine jüdische Abstammung getilgt. Die "Botschaft Gottes" und "Großer Gott wir loben dich" erschienen in hohen Auflagen, die bald vergriffen waren. Seine Produktivität verdankte das Institut einem außerordentlich großen Stab von über 200 ehrenamtlichen Mitarbeitern, die aus dem gesamten damaligen Reichsgebiet stammten.

Zwei der aktivsten von ihnen kamen aus Gießen. Dr. habil. Karl Friedrich Euler (1908-1986) lehrte seit 1933 am Seminar für Orientalische Sprachen an der Gießener Universität und absolvierte parallel dazu sein Vikariat in Dutenhofen. Bereits kurz nach Hitlers Machtübernahme wurde Euler Mitglied der SA, 1937 trat er der NSDAP bei. Im "Entjudungsinstitut" arbeitete Euler gleich in drei der knapp 50 Arbeitskreise mit und publizierte 1942 zusammen mit Grundmann eine wissenschaftliche Abhandlung über "Das religiöse Gesicht des Judentums". Darin behauptete er in unverhohlen antisemitischer Diktion: "Nur ein einziger Anspruch ist für das Judentum, wenn es Judentum sein will, möglich: der Anspruch auf die Weltherrschaft". Und: "Die Heimat des Judentums ist das Getto."

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Nicht minder engagiert zeigte sich Prof. Georg Bertram (1896-1979), der in Gießen seit 1925 den Lehrstuhl für Neues Testament innehatte. Auch er arbeitete wie Euler, mit dem er - wie sich jüngst herausstellte - verschwägert war, in drei Arbeitskreisen mit, zudem hielt er zahlreiche Vorträge auf verschiedenen Tagungen des 'Entjudungsinstituts'. Nachdem Grundmann 1943 zur Wehrmacht eingezogen worden war, übernahm Bertram die kommissarische Leitung des Instituts und unternahm in dieser Funktion noch 1944/45 zwei lange Vortragsreisen, um die "kriegswichtige" Arbeit des Instituts zu propagieren. Konkret leistete Bertram theologische Legitimationsarbeit für den Holocaust, wenn er proklamierte: "Dieser Krieg ist der Kampf des Judentums gegen Europa. Dieser Satz enthält eine Wahrheit, die sich bei der Forschungsarbeit des Instituts immer neu bestätigt." Noch deutlicher äußerte er sich im selben Jahr in einem Arbeitsbericht zu den Institutsaktivitäten: "Im Judentum ist endlich der Fäulniserreger erkannt, der alle Lebenskräfte der Völker, ihr ursprüngliches Wesen und all die Kulturgüter, die daraus geflossen sind, zersetzt und zerstört."

Nach Kriegsende wurden sowohl Euler als auch Bertram aus dem Universitätsdienst entlassen, doch es gelang ihnen schnell, sich in die deutsche Nachkriegsgesellschaft einzufinden. Euler war von 1949 bis zu seiner Verabschiedung in den Ruhestand 1967 als Pfarrer an den Gießener Universitätskliniken tätig, nebenbei engagierte er sich im Oberhessischen Geschichtsverein (OHG) mit Forschungen zu mittelalterlichen Themen. Der in den Mitteilungen des OHG erschienene Nachruf auf ihn erwähnt seine parteipolitischen Aktivitäten in der NS-Zeit ebenso wenig wie seine Mitarbeit im 'Entjudungsinstitut'.

Bertram versuchte nach Kriegsende zunächst erfolglos, das Institut unter neuem Namen weiterzuführen. Daraufhin kehrte der vormalige Professor nach Hessen zurück, wo er als Pfarrverwalter eine Anstellung fand. Seit 1955 erhielt er wieder kirchliche Lehraufträge für Altes Testament an der Universität Frankfurt, obwohl er seine Thesen zum Judentum nie grundsätzlich revidierte, sondern lediglich abmilderte.

Das Wirken der beiden Wissenschaftler in der NS-Zeit ist weitgehend vergessen, aber die von ihnen vertretenen Positionen und Ressentiments erleben derzeit eine bestürzende Wiederkehr. Die kritische und offene Auseinandersetzung mit diesem dunklen Kapitel der Lokal-, Universitäts- und Kirchengeschichte erscheint daher dringend geboten.

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Michael Weise ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Lutherhaus Eisenach und Mit-Kurator der Sonderausstellung "Erforschung und Beseitigung. Das kirchliche 'Entjudungsinstitut' 1939-1945", die noch bis Ende 2021 im Lutherhaus Eisenach zu sehen ist.

Von Michael Weise