Grünberger Mörder muss nicht lebenslang in Haft

Ein ehemaliger Bauunternehmer hat seine von ihm getrennt lebende Frau getötet. Doch das Urteil bleibt hinter den Forderungen der Staatsanwaltschaft zurück.

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Grünberg . Die fünfte Strafkammer des Landgerichts Gießen verurteilte einen 66-jährigen ehemaligen Bauunternehmer wegen Mordes zu zwölf Jahren Haft. An sich hätte es auch lebenslänglich geben können. Doch das Gericht konnte des Angeklagten  eine verminderte Schuldfähigkeit nicht völlig ausschließen. Er hatte Ende 2021 seine getrennt lebende Ehefrau mit einem Schuss aus einer Maschinenpistole hinterrücks in den Kopf geschossen. Nach der Tat im Grünberger Stadtteil Harbach stellte er sich, gab aber vor, zum Tatzeitpunkt stark alkoholisiert gewesen zu sein.

Im Prozess gehörte Experten konnten nicht eindeutig feststellen, ob der gebürtige Kasache nicht doch im Nachhinein immense Mengen an Alkohol getrunken haben könnte. Nach der Tat hatte der Angeklagte Kontakt mit einem Anwalt. Ein Rechtsbeistand meldete sich bei der Polizei und kündigte an, dass sich sein Mandant noch in der Nacht stellen werde. Beide warteten dann vor dem Haus in Harbach auf die Beamten. Zumindest der Staatsanwalt ging vom Nachtrunk aus, und hatte vergangene Woche lebenslänglich für den Rentner gefordert.

»Eine verminderte Schuldunfähigkeit ist nicht auszuschließen«, erklärte letztlich die Vorsitzende Richterin Regine Enders-Kunze in ihrem Urteil.

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Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass der Rentner seine Frau am 29. Dezember 2021 nachts zwischen 21 und 22 Uhr im Wäscheraum des gemeinsamen Hauses heimtückisch mit einem Maschinengewehr erschossen hat. Das eigentliche Motiv für die Tat habe sich nicht feststellen lassen können. So kämen mehrere Motive wie die Trennungssituation, Eifersucht und ein möglicher Streit in Betracht.

Sehr ausführlich ging die Richterin auf 16 Jahre Vorgeschichte der tragischen Tat ein. »Es war eine Beziehung mit Höhen und Tiefen«, führte sie aus. Auch auf die diversen Gewaltausbrüche des Angeklagten verwies sie, die über ein gewöhnliches Maß hinaus gingen. Trotz einer Trennung 2016 habe er das spätere Opfer immer wieder zurückgewinnen können. 2017 folgten Hochzeit und der Bau eines neuen, gemeinsamen Hauses. Im Juli 2021 erfolgte eine erneute Trennung und der Auszug des Angeklagten aus dem Haus. »Die Scheidung stand im Raum.«

Verurteilter schien unter Trennung zu leiden

Während sie sich schnell mit der neuen Situation zurechtfand, auch Kontakte zu anderen Männern knüpfte, schien er weit mehr unter der Trennung zu leiden. Sie blieb in dem Haus, während er Unterschlupf bei einem Freund fand. In dieser Zeit habe er auch durchaus Alkohol getrunken. Am 27. Oktober 2021 kam es zu einem Zwischenfall als er Unterlagen in dem Haus suchte. Er beschimpfte sie »Du Hure, ich schlage Dich tot« und stieß sie derart, dass sie Prellungen am Oberschenkel davontrug.

Nachdem sie dies ihrer Tochter berichtet hatte, erstattete sie einen Tag später Anzeige gegen ihren Ehemann, dem im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes ein Annäherungsverbot auferlegt worden war. Am 14. Dezember kam es dann zu einem Vergleich der beiden Parteien, die besagte, dass er sich in der Garage und im Hauswirtschaftsraum aufhalten dürfe. »Daran hat sich der Angeklagte auch weitgehend gehalten.«

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Am 24. Dezember kam es dann für alle Außenstehenden zu einer plötzlichen Wendung. Das Ehepaar versöhnte sich, alle machten einen glücklichen Eindruck. Sie planten und buchten einen gemeinsamen Kurzurlaub über Silvester. An dem Tattag fuhr die Ehefrau noch einmal kurz zu ihrer Tochter, um sich zu verabschieden.

Täter behauptet, er habe nachmittags getrunken

Was genau zwischen ihrer Ankunft zu Hause und tödlichen Schuss geschah, das wurde nicht abschließend geklärt, denn die Einlassung des Ehemanns hält das Gericht für wenig glaubhaft. Dieser behauptet, dass er nachmittags, als er alleine war, begonnen habe zu trinken.

Als seine Frau nach Hause kam habe sie diverse Flaschen auf dem Tisch stehen sehen und daraufhin mit ihm geschimpft. Er sei dann in die Garage gegangen, trank weiter und rauchte dort. Sie hätten weiter gestritten, daraufhin habe er mehrere Warnschüsse abgegeben, damit sie endlich Ruhe gebe. Einer dieser Schüsse habe sie tödlich verletzt.

Dieser Darstellung schenkte das Gericht keinen Glauben, denn die Beweise würden etwas anderes sagen. Die Ehefrau beugte sich lediglich mit einem Kimono bekleidet im Wäscheraum über einen Koffer, um etwas dort hineinzulegen, als der tödliche Schuss sie von hinten am linken Ohr traf. Der Schuss habe sie getroffen, als sie sich in einer gebeugten Haltung befand, daher hält das Gericht es für abwegig, dass ein möglicher Streit zu dem Zeitpunkt der Tat noch andauerte. Somit war das Opfer arglos und wehrlos, da es zu diesem Zeitpunkt nicht mit einem Angriff rechnen konnte.

Richterin widerspricht dem Angeklagten

Zu den Ausführungen des Angeklagten meinte die Richterin: »Es ist schon lebensfremd und schlichtweg ausgeschlossen, dass sie sich hinstellt und ihn auslacht«, zumal sie sich bei früheren Angriffen eher passiv verhalten habe. Auch habe man weder Kampfspuren und Fluchtspuren gefunden.

Die Position des Opfers belegen, dass die Schüsse schnell und unmittelbar hintereinander abgegeben wurden. Nicht glaubhaft erscheint es dem Gericht zudem, dass der Angeklagte zwar sehr genau die Tat beschreiben konnte, jedoch bei vielen anderen Angaben wie viel Alkohol er wirklich vorher getrunken und was er genau im Anschluss daran gemacht habe. Er dies nicht mehr so genau wusste. So vergingen mehrere Stunden zwischen der Tat und der Meldung an die Polizei, die von seinem Anwalt erfolgte.

Daher hält es das Gericht für erwiesen, dass der Angeklagte mit Vorsatz gehandelt habe, zumal er früher schon Tötungsgedanken gehabt und auch schon zu anderen gesagt habe: »Ich bringe sie um«. Wenn er sie nur habe erschrecken wollen, dann hätte es die Schreckschusspistole, die sich auch in der Garage befand, auch getan, betonte die Richterin.

2,46 Promille bei der Festnahme

Ein nicht unerhebliches Gewicht bei der Strafzumessung war die Frage, wie viel Alkohol der Angeklagte bei der Tat getrunken hatte. Bei der Festnahme wies er einen Alkoholspiegel von rund 2,46 Promille auf. Auf die Tatzeit zurückrechnet, ergebe sich daraus ein Wert von mehr als drei Promille, bei dem verminderte Schuldfähigkeit in Betracht zu ziehen sei.

Die Staatsanwaltschaft hingegen ging davon aus, dass der Angeklagte erst nach der Tat begonnen hatte, Alkohol zu konsumieren. Dies konnte jedoch nicht eindeutig geklärt werden. Dies war zu seinen Gunsten anzurechnen.

Zu den Angehörigen, die als Nebenkläger den Prozess verfolgt hatten, sagte die Richterin in Bezug auf die Tat: »Damit ist keinesfalls der Tod eines lieben Menschen gesühnt, allerdings ist das eine Aufgabe, die die Strafjustiz nicht leisten kann«. Der Angeklagte nahm das Urteil regungslos zur Kenntnis.

Sein Anwalt Dr. Ulrich Endres bezeichnet das Urteil als sehr weise. »Wir wollten keine lebenslange Haft. Das haben wir erreicht«. Auch Staatsanwalt Friedemann Vorländer begrüßte in einer ersten Stellungnahme das Urteil. Ihm sei wichtig gewesen, dass der Angeklagte wegen Mordes verurteilt wird. Das Gericht habe seinen Spruch sehr sorgfältig begründet, sodass der Angeklagte in einem sehr hohen Bereich verurteilt wurde. Dies sei durchaus angemessen, da er nicht vorbestraft sei.

Die Angehörigen gingen unterschiedlich mit dem Urteilsspruch um, einigen war das Strafmaß zu niedrig. »Wir müssen lernen, damit umzugehen und damit zu leben«, sagte eine Tochter der Ermordten abschließend.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.