Ausbildung zum Schäfer: Kein Beruf, sondern Berufung

Nachwuchs-Schäfer Jürgen Enders mit einem einen Tag alten Lämmchen.  Foto: Schäfer

Jürgen Enders aus Hüttenberg geht bei Hungens Stadtschäfer Ralf Meisezahl in die Lehre. Herden sind ein wichtiger Beitrag für Landschaftspflege und Naturschutz.

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RABERTSHAUSEN. Am späten Mittwochmorgen tummeln sich in einer umzäunten Koppel auf einer Anhöhe zwischen Hof Ringelshausen und dem kleinen Ort Rabertshausen rund 550 Merino-Mutterschafe inklusive Nachwuchs, zwei Böcke und zwölf Ziegen. Der Großteil sucht sich auf der grünen, saftigen Wiese sein Futter zusammen, während der Rest gemächlich wiederkäuend in der wärmenden Sonne liegt. Vor dem Zaun patrouilliert ruhig, alles im Auge behaltend, der Hütehund. Die Herde gehört dem Hungener Stadtschäfer Ralf Meisezahl. Seit genau 30 Jahren ist er ohne Wochenende, ohne Urlaub, bei jedem Wetter egal ob brütende Hitze, eisige Kälte, Sturm oder Regen, an fast jedem Tag mit seiner Herde unterwegs, zieht von Weide zu Weide.

Seit 1. September aber ist er nicht mehr allein, denn Jürgen Enders, ein kräftiger, rustikaler junger Mann aus Hüttenberg, hat seine Umschulung zum Tierwirt der Fachrichtung Schäferei bei ihm begonnen. Enders hilft nun beim Hüten der Schafe, muss sich Wissen über Ablammen und Aufzucht sowie Züchtung, Anatomie, Physiologie, Hygienemaßnahmen und Tierkrankheiten aneignen. Weiter stehen Weidewirtschaft, Futtergewinnung, Produktion von Wolle, Fleisch und Milch, aber auch der Umgang und die Ausbildung von Hüte- und Herdenschutzhunden auf dem Plan. Die Ausbildung dauert normalerweise drei Jahre, als Umschüler jedoch finanziert die Agentur für Arbeit die Ausbildung und Enders darf schon nach zwei Jahren die Tierwirt-Prüfung ablegen.

Zur Begrüßung hatte sich sogar Bürgermeister Rainer Wengorsch zu den Schafen aufgemacht und freute sich: "Die Schäferei gehört zwar zu den ältesten Gewerben der Welt, hat aber in der heutigen Zeit enorme Nachwuchsprobleme. Wir freuen uns deshalb, mit der Ausbildung von Herrn Enders einen Beitrag zum Erhalt der Schäferei leisten zu können. Unsere Schafherde weidet vor allem auf Magerrasengebieten und leistet damit einen wichtigen Beitrag für Landschaftspflege und Naturschutz".

1982 in Wetzlar geboren wurde die Schafhaltung Jürgen Enders sozusagen in die Wiege gelegt. Sein Urgroßvater hatte eine Schafherde, mit der er als Kind aufwuchs. Als es nach der Mittleren Reife an die Berufswahl ging, stand Schäfer ganz oben auf der Liste. Der lebenserfahrene Uropa jedoch mahnte "Bub, lern was Gescheites, wo du gut Geld verdienst". Also absolvierte er eine Bäckerlehre und arbeitet sechs Jahre in diesem Beruf. Wegen der besseren Bezahlung wechselte er dann als Lagerfacharbeiter in den Bereich Logistik und Lager, aber in Gedanken spielte er immer noch mit der Idee, Schäfer zu werden. Als seine Firma Corona geschuldet im Februar die Hälfte der Belegschaft entließ, war für Enders klar: "Wenn nicht jetzt, wann dann". Der Startschuss zur Umschulung zum Tierwirt der Fachrichtung Schäferei war gefallen. Während seiner Berufstätigkeit hat er sich als Hobby eine Schafherde mit rund 200 Schafen aufgebaut, die er vielleicht nach Abschluss der Ausbildung zur gewerblichen Nutzung ausbauen will. Aber das ist noch Zukunftsmusik. Jetzt lernt er erst mal bei Meister Meisezahl sein Handwerk, besucht im Blockunterricht die Berufsschule in Weidenbach-Triesdorf in Bayern und freundet sich mit den sehr unregelmäßigen Arbeitszeiten an, denn die Tiere müssen rund um die Uhr versorgt werden. Dafür gibt es dann auch mal zwei Tage mitten in der Woche frei, freut er sich. "Für mich ist die Weidehaltung die beste Form der Tierhaltung. Ich liebe den Umgang mit Tieren. Schäfer ist für mich kein Beruf, sondern Berufung", erklärt er seinen Entschluss. Sorgen um seine Zukunft als Schäfer macht er sich nicht, denn zur Landschaftspflege durch Schafe gebe es keinerlei Alternativen.

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Stadtschäfer Ralf Meisenzahl berichtet: "Ich bin einer von sechs Wanderschäfern im Landkreis Gießen. Mit meinen Schafen wandere ich im Herbst einerseits bis nach Ulfa/Stornfels und andererseits bis Birklar. Mit Erlaubnis der Bauern dürfen meine Schafe auf deren Äckern die Überreste von Raps und Getreide abweiden, das heißt drei Monate kostenloses Futter. Der hohe Eiweißgehalt sorgt dann im Frühjahr für vermehrte Zwillingsgeburten. Eine Win-win-Situation. Zudem müssen sich die Schafe eine Fettschicht anfressen, um ihre Lämmer ernähren zu können". Im Frühjahr/Sommer werden Magerrasenflächen im Umkreis von rund acht Kilometer beweidet und im kalten Winter ab Januar sind die Schafe im Stall, um dort ihre Lämmer zu bekommen und geschoren zu werden. Die Ziegen sind in der Herde, weil sie Buschwerk besser verbeißen als Schafe. "Schafhaltung ist nicht mehr rentabel, für ein Kilo Wolle gibt es gerade mal 40 Cent. Schäfer leben zu 70 Prozent von Subventionen, dabei ist die Flächenprämie kein geschenktes Geld. Die Landschaftspflege mit Schafen ist harte körperliche Arbeit", sinniert Meisezahl.