"Gegen arglistige Täuschung wächst kein Kraut" - darüber war man sich im Busecker Parlament einig. Das Handeln des Bürgermeisters wurde aber sehr unterschiedlich bewertet.
BUSECK. Zwei Stunden und elf Minuten lang beschäftigte sich die Busecker Gemeindevertretung am Donnerstagabend mit den Ergebnissen des Akteneinsichtsausschusses rund um die Betrugsfälle in der Gemeindeverwaltung. Zumindest in einem Punkt waren sich dabei alle einig: Gänzlich verhindern lassen sich derartige Taten nicht. "Gegen arglistige Täuschung wächst kein Kraut", fasste es Alexander Zippel, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler (FW), zusammen. Keine gemeinsame Linie fand man jedoch bei der Frage, wie das Handeln von Bürgermeister Dirk Haas (SPD) im Anschluss an das Bekanntwerden des ersten Betrugsfalls zu werten ist. Dieser informierte zudem darüber, dass die Gemeinde weitere Informationen an die Polizei gegeben und unter anderem den Verlust eines digitalen Endgerätes gemeldet habe. Bis die Ermittlungsbehörden zu einem Ergebnis kommen, werde es jedoch noch dauern.
Seitens des Bürgermeisters und des Gemeindevorstands habe es "nicht geringe Defizite" etwa in der Führung, der arbeitsrechtlichen und kommunalrechtlichen Bearbeitung sowie in der Kommunikation gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit gegeben, urteilte CDU-Fraktionsvorsitzender Frank Müller. Juristisch sei "nahezu alles schiefgelaufen, was schieflaufen konnte". Weiter kritisierte er: "Die wichtigsten Informationen haben wir aus der Presse erfahren." Öffentlich geworden war der erste Betrugsfall Anfang Oktober 2020 nach einem Bericht im Gießener Anzeiger. Zuvor hatten die Beigeordneten von CDU und FW ihre Ämter niedergelegt: Die Erste Beigeordnete Angelique Grün (CDU) in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Gemeindevorstands, Heinz Seibert (CDU), Peter Fischbach und Renate Münch (beide FW) 17 Tage später am Rande einer Parlamentssitzung.
"Nicht ernst genommen"
Die Bedenken der Ersten Beigeordneten hätten ernst genommen werden müssen, kritisierte Zippel. Nachdem im August 2020 zunächst ein Aufhebungsvertrag mit dem Mitarbeiter geschlossen worden war - laut Haas "auf Vorrat" für den Fall, dass weitere Betrugsfälle bekannt würden - beantragte der Rathauschef Mitte September im Gemeindevorstand die Auflösung dieses Vertrags. Rechtsanwältin Grün vertrat jedoch die Ansicht, dass ein einmal geschlossener Aufhebungsvertrag wirksam sei und nicht widerrufen werden könne. Der von Grün eingebrachte Änderungsantrag wurde knapp abgelehnt, die Beuernerin erklärte anschließend ihren Rücktritt.
Nach dem Aufdecken des Betrugs hätten arbeitsrechtliche Schritte eingeleitet werden müssen, "auch dann, wenn man dem Mitarbeiter wohlwollend gegenübersteht", sagte Zippel. So hätte auch ein Heraustragen in die breitere Öffentlichkeit und eine "große Belastung für die Verwaltung" verhindert werden können. "Solche Vorfälle können passieren. Aber es ist die Frage, was man daraus macht."
Die SPD-Fraktion wolle keinen Bericht abgeben, meldete sich Wolfgang Dörr zu Wort. Als ehemaliges Gemeindevorstandsmitglied habe er sich jedoch gefragt: "Wie hätte ich und wie hätte der frühere Bürgermeister Erhard Reinl in einem solchen Fall entschieden?" Dörr ist sich sicher: "Wir hätten auch nicht gleich gekündigt, sondern hätten alles versucht, um den Mitarbeiter zu halten. Weil wir stets den Menschen gesehen haben." Es sei "nicht gut gelaufen, das wissen wir alle", argumentierte Dörr. Im Nachhinein sei man jedoch immer schlauer. Dass man "kurz vor dem Ziel von Bord geht, verstehe ich bis heute nicht", sagte er mit Blick auf die Rücktritte der Beigeordneten und erhielt dafür Gelächter aus den Reihen der CDU.
Nicht die Kontrollmechanismen der Gemeinde hätten den Betrug aufgedeckt, sondern "eine Mitarbeiterin, die ihre Zahlen kannte", sagte Dominik Panz (CDU). Zudem sei der Betrug nicht sonderlich komplex gewesen: "Gefühlt ging das zu einfach." Dem Bürgermeister warf er vor, "keine schlüssige Gesamtstrategie" verfolgt und die Gemeindevertreter nicht informiert zu haben. Fraktionskollege Eckhard Neumann sprach von einem "Schlamassel", wie es ihn noch nie in Buseck gegeben habe und zitierte einen Facebook-Post, wonach Haas zurücktreten und sein Gehalt zurückzahlen solle.
Da platzte dem Vorsitzenden der Gemeindevertretung, Norbert Weigelt (SPD), schließlich der Kragen. Die Wortmeldung von Neumann zeige, "dass es hier nicht um die Sache geht, sondern nur darum, zu verurteilen". Der Gemeindevorstand habe menschlich gehandelt, als er zunächst entschieden hatte, den Mitarbeiter weiter zu beschäftigen. Denn dieser habe glaubhaft versichert, dass er die Tat aus einer finanziellen Not heraus begangen habe. Die Entscheidung des Gremiums habe sich im Nachhinein zwar als Fehler herausgestellt, sie zeige aber, dass der Gemeindevorstand menschlich sei - "und das ist gut".
Vielleicht sei er "zu weich, zu naiv" gewesen, räumte Bürgermeister Haas ein. Seine damalige Entscheidung, dem Täter eine zweite Chance geben zu wollen, sei auch in der Verwaltung kritisch gesehen worden. "Ich möchte mich heute bei meinen Mitarbeitern dafür entschuldigen, dass sie unter meiner Entscheidung leiden mussten." Er habe "viel gelernt" in den vergangenen Monaten und würde heute andere Konsequenzen ziehen. "Aber ob ich ohne das Wissen von heute anders entscheiden würde, bezweifle ich."
Der Rathauschef betonte, dass kein anderer Mitarbeiter an dem Betrug beteiligt gewesen sei und dass weder der direkte Vorgesetzte noch die Finanzabteilung diesen hätten erkennen können. "Wenn genügend kriminelle Energie da ist, findet man immer eine Lücke." Das bisher von Vertrauen geprägte Betriebsklima sei durch die Ereignisse der vergangenen Monate gestört - er wolle jedoch daran arbeiten, das Vertrauen der Belegschaft zurückzugewinnen. Er hoffe, dass die noch im Raum stehenden Verdachtsfälle gegenüber dem früheren Mitarbeiter aufgeklärt werden können.
"Nicht zu Ende gedacht"
Der Rathauschef habe seine Entscheidung für eine Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters nicht zu Ende gedacht, befand der Vorsitzende des Akteneinsichtsausschusses, Uwe Kühn (FW). Gerade die Botschaft nach innen sei "eine Katastrophe" für die Autorität des Bürgermeisters. Dieser hatte unmittelbar nach dem Aufdecken des ersten Betrugs mindestens acht Verwaltungsmitarbeiter in die Aufklärung einbezogen und so "eine relativ breite Öffentlichkeit" hergestellt. "Welcher Eindruck entsteht, wenn ein Betrug keine Folgen hat?", fragte Kühn. Zudem sei es falsch, die Rücktritte der Beigeordneten als "Fahnenflucht" darzustellen. Es stehe den Parlamentariern nicht zu, die Entscheidung der Beigeordneten zu kritisieren.
Ähnlich sah dies Kay-Achim Becker (CDU): Jeder erkenne, dass es "Ungereimtheiten" rund um die Gemeindevorstandssitzungen im vergangenen Herbst gebe. "Hier werden Opfer zu Tätern gemacht." Der Ex-Mitarbeiter hätte die Chance nutzen und "vollumfänglich gestehen" müssen. Stattdessen habe er das Vertrauen des Bürgermeisters "auf das Schändlichste missbraucht".
Als Weigelt die außerordentliche Sitzung nach über vier Stunden um 23.36 Uhr schloss, bekam Bürgermeister Haas dies übrigens nicht mehr mit. Er hatte das Kulturzentrum kurz zuvor verlassen.
Von Eva Pfeiffer