Eklat am Rande des AfD-Wahlkampfauftaktes Vogelsberg/Gießen

Aggressive Stimmung beim AfD-Wahlkampfauftakt: Ein Teilnehmer nennt sich Nationalsozialist. Ein anderer diffamiert einen SPD-Bundestagsabgeordneten. Der „Hessencam“-Reporter filmt.
VOGELSBERGKREIS/REGION. Aggressive Stimmung hat ein Videofilmer am Rande des AfD-Wahlkampfauftaktes in Rabenau-Geilshausen (Kreis Gießen) ausgelöst. Die AfD hat sich am Montagmorgen von im „Hessencam“-Video festgehaltenen Aussagen von Veranstaltungsbesuchern distanziert. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Felix Döring hat Anzeige erstattet.
Ulrichsteiner AfD-Bürgermeisterkandidat schreit in die Kamera
Auf dem bei X (vormals Twitter) kursierenden Video wird auch der Ulrichsteiner AfD-Bürgermeisterkandidat und Schwalmtaler Gemeindevertreter Gert Morgenthaler laut. Zunächst schreit dieser: „Sie sollen nicht fotografieren, ich will nicht fotografiert werden, haben Sie mich verstanden.“ Dabei läuft Morgenthaler mitten auf den „Hessencam“-Filmer im öffentlichen Raum zu. Später, als ein Veranstaltungsbesucher in die Kamera sagt, dass er Nationalsozialist ist, geht Morgenthaler erneut dazwischen. „Sie sollen hier weggehen, weg, raus, raus!“, schreit Morgenthaler mit erhobenem Zeigefinger, keine 30 Zentimeter von der Kamera entfernt tritt er dem Kameramann aggressiv gegenüber. Immer wieder betont er „raus“, obwohl sich der Filmer ganz offensichtlich im öffentlichen Raum auf einer Straße befindet.
Eingeladen hatte am vergangenen Samstag die AfD Vogelsberg gemeinsam mit der AfD Gießen zum Wahlkampfauftakt um 19 Uhr ins Dorfgemeinschaftshaus Geilshausen. Redner waren der Co-Landesvorsitzende und Landtagsabgeordnete Andreas Lichert, die Landtagskandidaten Sandra Weegels und Gerhard Bärsch, Direktkandidat im Vogelsberger Wahlkreis 20, der Landtagsabgeordnete Arno Enners, und Bundestagsmitglied Uwe Schulz.
Draußen hatte sich eine Gegendemonstration mit etwa 100 Teilnehmern gebildet, wozu die Initative „Das Lumdatal bleibt bunt“ aufgerufen hatte. Unter den Teilnehmern auch SPD-Bundestagsabgeordneter Felix Döring, berichtet die Gießener Allgemeine Zeitung. Die AfD selbst spricht von 110 Teilnehmern der Wahlveranstaltung und etwa 40 Gegendemonstranten.
Auf dem Video ist zu sehen, wie Döring im Wahlkampfbus vorfährt und damit nun den Skandal auslöst. Ein AfD-Veranstaltungsbesucher sagt in die Kamera: „Guckt mal, der Dr. Mengele ist auch da.“ Auf Nachfrage, wer damit gemeint ist, bestätigt der Teilnehmer, Döring gemeint zu haben. Mengele war als Lagerarzt im KZ Auschwitz-Birkenau tätig. Seinen Vergleich begründet der Mann, weil Döring für die Impfpflicht gestimmt habe.
SPD-Bundestagsabgeordneter Felix Döring meldet sich zu Wort
Döring meldete sich am Montag zu Wort: „Wer solche Vergleiche anstellt, hat den demokratischen Diskurs verlassen, das steht außer Frage. Anfeindungen wie diese müssen weder ich noch andere sich gefallen lassen. Ich werde daher umgehend Anzeige erstatten und mich von meinem Einsatz gegen Rechts und für unsere Demokratie nicht abbringen lassen.“ Die zunehmende Verrohung der politischen Debatten, ob im Netz oder auf der Straße, beobachte er mit Sorge, so Döring weiter. Zugleich zeigten diese und weitere im Video dokumentierten Aussagen von Besuchern der AfD-Veranstaltung, dass die Partei zurecht als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft werde.
Bereits am Montagmorgen hatte der Vogelsberger Landtagskandidat der AfD, Gerhard Bärsch, Stellung zu den Vorfällen am Samstagabend bezogen. „Über entsprechende Veröffentlichungen bei Twitter wurde uns inzwischen bekannt, dass zwei Besucher der Veranstaltung für uns nicht zu tolerierende Aussagen gegenüber diesem, als Journalisten auftretenden Herren getroffen haben. Ein uns komplett unbekannter Mann bezog sich offenbar auf das Corona-Abstimmverhalten eines mittelhessischen SPD-Bundestagsabgeordneten und verglich diesen mit einem NS-Funktionär. In einem anderen Falle wurde ein ebenfalls älterer Mann zu seinen Beweggründen befragt, die ihn zu unserer Veranstaltung führten, was ihn wiederum zu einer für uns ebenfalls inakzeptablen Aussage veranlasste.“
Kreisverbände der AfD aus dem Vogelsberg und Gießen distanzieren sich
Die Kreisverbände Vogelsberg und Gießen sagen, dass es sich bei beiden Männern nicht um Mitglieder der AfD handele. „Wir verurteilen die getroffenen Aussagen ausdrücklich und haben in Ermangelung von Namen und Adressdaten unserem Sicherheitsdienst die Videosequenzen übergeben, um diesen Personen den Zugang zu unseren Veranstaltungen zukünftig zu verwehren“, teilen die beiden Kreisverbände Vogelsberg und Gießen mit. Zum auf dem Video zumindest aggressiv wirkenden Auftritt ihres Bürgermeisterkandidaten in Ulrichstein äußerten sich die beiden Kreisverbände in ihrer Stellungnahme nicht und nehmen stattdessen den Videofilmer ins Visier. Der offenbar mit einem Presseausweis ausgestattete Kirchenmitarbeiter habe bereits in der Vergangenheit immer wieder versuchte, „Interviews“ mit Passanten oder AfD-Besuchern zu erlangen. So habe er auch am Samstag eine dunkelhäutige junge Frau, die Mitglied der AfD ist und auf dem Weg zu der Veranstaltung war, auf eine von ihr so empfundene äußerst unangenehme Weise angesprochen.
Bei dem Kameramann handelt es sich im Übrigen um Joachim Schaefer vom Projekt „Hessencam“. Ein Jugendprojekt der katholischen Kirche, das der 61-jährige Wetzlarer betreut. Für sein Engagement bekam der katholische Pastoralreferent im vergangenen Jahr die höchste Auszeichnung der Stadt Dillenburg verliehen. Dass dieser in gewissen Gesellschaftskreisen nicht unumstritten ist, zeigte sich im Rahmen der Preisverleihung. Knapp 50 Demonstranten aus der Corona-Impfkritiker-Szene und Vertreter rechter Gruppierungen demonstrierten lautstark gegen die Auszeichnung des „Hessencam“-Reporters. Mit Videoreportagen über die Corona-Demonstrationen hatte Schaefer den Zorn und Hass dieser Gruppierungen auf sich gezogen.
„Hessencam“-Kameramann aus Wetzlar hat Hausverbot bekommen
Schaefer zeigt sich im Gespräch mit unserer Zeitung davon überrascht, dass sein Video auf X am späten Montagnachmittag bereits 700.000 Aufrufe hatte. Damit habe er nicht gerechnet. Auch nicht damit, dass es sich bei der Veranstaltung zuspitzen könne. Er habe eigentlich die Wahlkampfveranstaltung im Bürgerhaus begleiten wollen, was ihm vom Veranstalter im letzten Moment untersagt worden sei. Ein Hausverbot sei ihm gegenüber dann bis zur Einfahrt ausgesprochen worden. Das habe er dann auch akzeptiert, sei aber, als der Senior gesagt habe, dass er Nationalsozialist sei, ihm gefolgt. „Da musste ich einfach nachfragen“, so Schaefer.
Jedoch sei er dann direkt von Morgenthaler vertrieben worden. Das sei schade, weil eine solche Aussage des offenbar sehr betagten Seniors zeitgeschichtliche Fragen aufwerfe, die er ihm gerne gestellt hätte. Auch bei den anderen Personen habe er ganz normale Fragen gestellt, wie etwa, was sie von der AfD erwarten, welche Befürchtungen und Hoffnungen sie haben? Dabei seien ihm die Menschen zunächst auch offen gegenübergetreten. „Ich wäre ganz normal mit ihnen ins Gespräch gekommen. Das hat aber dann der Herr Morgenthaler immer wieder unterbunden“, sagt Schaefer.
Vorwürfe auf Social Media gegen den Kameramann aus Wetzlar
Da ihm in den Sozialen Medien vorgeworfen worden sei, er habe das Video zu seinen Gunsten geschnitten, lade er gerade ungeschnittenes Video-Material auf Youtube hoch, damit sich jeder selbst ein Bild machen können. Das kurze Video auf X ist unter http://bitly.ws/SG7B abrufbar. Die längere Version wird unter https://www.youtube.com/@HessenCam/videos zu finden sein.