Trotz aufgestocktem Personal ist das Gesundheitsamt nicht mehr in der Lage, kurzfristig alle positiv Getesteten und deren enge Kontaktpersonen anzurufen.
KREIS GIESSEN. Die stark ansteigende Zahl der Corona-Infektionen bringen das Gesundheitsamt des Landkreises an seine Belastungsgrenze. Trotz aufgestocktem Personal und Unterstützung durch die Bundeswehr ist man nicht mehr in der Lage, kurzfristig alle positiv Getesteten und deren enge Kontaktpersonen anzurufen. Wer positiv auf das Virus getestet wurde, wird aufgefordert, sich sofort und zunächst ohne offizielle Anordnung in Quarantäne zu begeben. Dies gilt auch für alle Personen im Hausstand. Stattdessen will man sich auf Corona-Fälle in Einrichtungen wie Altenheime und Krankenhäuser zu konzentrieren, wo es um anfällige Risikogruppen geht. Der Landkreis hat zudem eine neue Allgemeinverfügung veröffentlicht, die die Maskenpflicht in Fußgängerzonen und in Schulkassen verschärft. An der Adolf-Reichwein-Schule in Pohlheim läuft nach mehreren Corona-Fällen ein großer Reihentest mit rund 600 Schülern. Ergebnisse werden nächste Woche erwartet.
Bei einer Pressekonferenz am Freitagnachmittag verwies Dr. Anja Hauri, die Leiterin des Sachgebiets "Hygiene" im Gesundheitsamt, auf die "exponentielle Wachstumsphase", die ungebrochen ist. Seit vergangenen Freitag ist die Zahl der aktiven Corona-Fälle von 301 auf 529 gestiegen. Die Bürger müssten dazu beitragen, dass es keine weiteren Übertragungen gibt. Folglich müsse jeder mit einem positiven Testergebnis sofort in Quarantäne. Wer Symptome habe, die zu einer Corona-Erkrankung passen, dürfe nicht zur Arbeit gehen, dies wäre "unverantwortlich". Auch nach Abklingen der Symptome müsse man noch 48 Stunden in Quarantäne bleiben.
Ihr Kollege Niklas David Grün ergänzte, dass es früher innerhalb von zwei Tagen gelungen sei, positiv Getestete und deren engste Kontaktpersonen anzurufen. Mittlerweile sei dies angesichts der Zahlen schwierig gewordne, auch wenn man sich dank der Bundeswehrsoldaten beim Abarbeiten verbessert habe. Grün, der für Corona an Schulen zuständig ist, berichtete von 53 bestätigten Infektionen bei Schülern und Lehrern. Für 45 Klassen sei Quarantäne angeordnet worden.
Zur Adolf-Reichwein-Schule erklärte er, dass die Jahrgänge neun und zehn am Mittwoch, die siebten und achten Klassen am Donnerstag und die fünften und sechsten Jahrgänge am Freitag getestet wurden - zusammen rund 600 Schüler. Dafür hatte das DRK auf dem Schulgelände ein mobiles Testlabor aufgebaut. Nächste Woche hofft man auf Ergebnisse.
Landrätin Anita Schneider ergänzte, dass diese Reihentests von Personen ohne Symptome eine Aufgabe des Öffentlichen Gesundheitsdienstes - sprich des Landkreises - seien. Dazu soll es Verträge mit dem DRK und den Johannitern geben.
Hilfe vom Land
Schneider hatte zu Beginn über die personelle Situation berichtet. Zum "Corona-Team" gehören inklusive der Bundeswehrsoldaten 108 Personen. Es soll um 30 weitere Personen aus der Kreisverwaltung verstärkt werden. Da das Land den Personalschlüssel für die Fallermittlung von fünf auf zehn Personen je 20 000 Einwohner verdoppelt hat, will man auch ein Unterstützungsgebot durch Mitarbeiter der Landesverwaltung annehmen. 135 Personen wären in Gänze erforderlich, Ziel ist, eher in Richtung 160 zu gehen. Die Bürgermeister wurden gebeten, Mitarbeiter aus ihren Verwaltungen bereitzustellen. Zudem habe ein Unternehmen aus der Tourismusbranche, dessen Mitarbeiter in Kurzarbeit sind, Hilfe angeboten, berichtete Schneider.
Wer auf Corona hindeutende Symptome hat, kann im neben der Kreisverwaltung angesiedelten Testcenter einen Abstrich machen lassen. Am Montagvormittag gab es dort 400 Tests. "Wie am Fließband", meinte Schneider. Angesichts von teilweise langen Warteschlangen sei mit der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung vereinbart worden, dass jeder, der sich zwischen 9 und 13 Uhr dort einreiht, einen Abstrich bekommt.
Ab Montag, 2. November, gilt eine neue Allgemeinverfügung des Landkreises. Dies regelt unter anderem, dass Maskenpflicht in Fußgängerzonen während der Ladenöffnungszeiten von 9 bis 20 Uhr gilt, ebenso auf Parkplätzen von Einkaufsmärkten, in Warteschlagen und an Bushaltestellen. Masken sind ebenfalls verpflichtend bei allen öffentlichen Veranstaltungen, bei Zusammenkünften von Glaubensgemeinschaften und Trauerfeiern - auch am Sitzplatz. Wenn an Sitzungen und Versammlungen in einem geschlossen Raum - auch bei kommunalen Gremien - mehr als fünf Personen teilnehmen, muss ebenfalls eine Maske getragen werden.
In Schulen besteht gemäß Landesverordnung ab Klasse fünf generell Maskenpflicht auch während des Unterrichts. Der Landkreis ergänzt dies für die Erst- bis Viertklässler, wenn diese nicht im Klassenverband, sondern übergreifend Unterricht haben.
Sport, auch Schulsport, in geschlossenen Räumen ist nur noch zulässig, wenn pro Person mindestens zehn Quadratmeter Fläche zur Verfügung stehen.
Dr. Lara Stein vom Gesundheitsamt verwies auf umfangreiche Informationen rund um Corona (FAQ Corona), die direkt auf der Startseite unter www.lkgi.de zu finden sind. Dort gibt es auch ein Formular zur Selbstregistrierung für Kontaktpersonen, womit automatisiert eine Quarantänebescheinigung ausgestellt wird, die man dem Arbeitgeber vorlegen kann. Schneider appellierte grundsätzlich, die Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren, um die Infektionszahlen zu senken.
Von Volker Böhm