Jugendpolitik zur Chefsache machen

(paz). Gute Perspektiven für junge Menschen zu schaffen, ist eine wichtige Aufgabe kommunaler Politik. Gerade im Hinblick auf den demografischen und strukturellen Wandel wird...

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KREIS GIESSEN. (paz). Gute Perspektiven für junge Menschen zu schaffen, ist eine wichtige Aufgabe kommunaler Politik. Gerade im Hinblick auf den demografischen und strukturellen Wandel wird es immer wichtiger, ihnen eine Stimme zu verleihen. „Mitsprache und wirkungsvolle Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen, sind zentrale Bestandteile einer aktiv gestalteten Jugendpolitik in unseren Städten und Gemeinden“, bestätigte Ingrid Macht, Teamleitung Jugendförderung beim Landkreis Gießen. Während einer virtuellen Informationsveranstaltung stellte sie Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung der Initiative „Jugendgerechte Städte und Gemeinden – jugendgerechter Landkreis Gießen“ vor.

Das Aufwachsen habe sich in den vergangenen Jahren eklatant verändert. Bedingt durch Ganztagsschulen und strengere Studienregeln gebe es weniger Freiräume für junge Menschen. Das bekämen vor allem Vereine und das Ehrenamt zu spüren. Während Kinder bis zur fünften Klasse im Fokus ständen, würde man die Zwölf- bis 25-Jährigen immer mehr aus dem Blick verlieren.

Die Tatsache, dass mehr Menschen über 50 Jahre in kommunalen Gremien sitzen, führe dazu, dass deren Interessen eher durchgesetzt werden könnten. So würde beispielsweise ein barrierefreies Bauprojekt schneller vorangetrieben als der Bau eines Jugendzentrums. „Es liegt in der Verantwortung der Erwachsenen, dass die Interessen der Jugendlichen gehört werden“, unterstrich Ingrid Macht und forderte alle Städte und Gemeinden auf, aktiv auf diese Zielgruppe zuzugehen, sie ernst zu nehmen und an Entscheidungen zu beteiligen.

Nach Paragraf 4 c der Hessischen Gemeindeverordnung hätten Kommunen den Auftrag, bei allen Belangen, die junge Menschen angehen, diese auch in angemessener Weise mit einzubeziehen. „Hierzu sind Kommunen in der Pflicht, geeignete Verfahren zu entwickeln und durchzuführen“, heißt es darin. Mit der Initiative „Jugendgerechte Städte und Gemeinden – jugendgerechter Landkreis Gießen“ macht der Landkreis ein Kooperationsangebot, das viele Leistungen umfasst.

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Jugendbeauftragte

Hierzu zählt neben Qualifizierungsworkshops und der Förderung von Maßnahmen zur Jugendbeteiligung mit bis zu 2500 Euro pro Maßnahme unter anderem auch die Benennung eines/einer ehrenamtlichen, überparteilichen Jugendbeauftragten.

„Es liegt an jeder Stadt oder Gemeinde, das Angebot anzunehmen“, betonte Winfried Pletzer, Referent für kommunale Jugendpolitik und jugendgerechte Kommunen. Beteiligung überall dort zu ermöglichen, wo junge Menschen aufwachsen, sei ein wichtiges Prinzip, um sie für Demokratie zu gewinnen. „Dort, wo junge Menschen verwurzelt sind, und mitgestalten dürfen, wollten sie auch bleiben oder zurückkommen“, erklärte er. Kaum ein anderer Landkreis mache seinen Kommunen ein so breites Angebot wie der Landkreis Gießen.

„Die Lebenswelt der Jugend ist der Sozialraum Gemeinde“, akzentuierte Pletzer. In diesem Zusammenhang verwies der Experte auf Regelungen im Sozialgesetzbuch, in dem es heißt: „Positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt erhalten und schaffen“ sei Aufgabe der Gemeinden.

Der Landkreis Gießen erfreue sich gerade bei Familien einer hohen Attraktivität. Allerdings sei laut Demografieatlas mit einer Abwanderung der 19- bis 24-Jährigen zu rechnen. Ziel sollte sein, eine Bildungsabwanderung abzuwenden und sich zu fragen, wie man diese Personengruppe zurückgewinnen könne. „Oftmals sind es Herzschlagfaktoren, die darüber entscheiden, ob man in einer Gemeinde bleiben will.“

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Einen Baustein zur aktiven Mitgestaltung sieht Pletzer in der Wahl von Jugendbeauftragten. Diese „politischen Impuls- und Ankerpunkte der Jugendpolitik“ würden aus der Mitte der Kommunalparlamente gewählt und würden für eine partizipative Jugendpolitik in ihrer Kommune stehen. Zu ihren Aufgaben gehöre es unter anderem, Kontakte zu pflegen sowie Ideen und Impulse aufzunehmen.

Standortfaktor

„Jugendbeauftragte leisten wichtige Beiträge zur Entwicklung einer gelingenden kommunalen Jugendpolitik“, fasste er zusammen. Jugendgerechte Städte und Gemeinden seien ein wichtiger Standortfaktor für die Wirtschaft. Laut Armutsbericht 2019/2020 gehöre die Region Mittelhessen mit einer Armutsquote von 19,5 Prozent zu den zwölf ärmsten Regionen in Deutschland. „In Hessen wachsen ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen in Armut auf“, gab Pletzer zu bedenken. Die Quote der unter 18-Jährigen beziffere der Armutsbericht mit 21,1 Prozent. „Machen Sie kommunale Jugendpolitik zur Chefsache“, forderte er abschließend auf.