Rund ein Jahr nach der Schließung gibt es Interessenten für das Haus im Tiefenweg. Dessen Geschichte will Adolf Wallbott in einem Buch zusammenfassen.
ANNEROD. 47 Jahre lang haben Günter und Marianne Stiebing die "Krone" in Annerod betrieben - bis der Wirt nach schwerer Krankheit im März 2020 verstarb. Zu diesem Zeitpunkt war das Ehepaar schon länger auf Nachfolgersuche: "Ich werde 79, wir hätten irgendwann zugemacht", erzählt Marianne Stiebing im Gespräch mit dieser Zeitung. Nun, rund zehn Monate nach der Schließung, ist ein Käufer für das Gebäude im Tiefenweg gefunden. Genau genommen sind es fünf Käufer: "Es ist eine Gruppe von fünf Personen, die im Ort bekannt sind", bestätigt die langjährige Wirtin. Einzig die Unterschriften unter dem Kaufvertrag stehen noch aus, der Notar-Termin habe wegen der Corona-Pandemie auf sich warten lassen. Was die neuen Eigentümer mit dem Gebäude vorhaben, ist nicht bekannt. Die Chancen, dass im Erdgeschoss auch weiterhin eine Gaststätte angesiedelt sein wird, stehen aber offenbar nicht schlecht. "Ich hoffe inständig, dass die Gaststätte bleibt", betont Stiebing.
Darauf hofft auch Adolf Wallbott. Der Fernwalder Ehrenbürger hat eine ganz besondere Beziehung zu der Traditionsgaststätte - denn vor fast auf den Tag genau 85 Jahren, am 21. Januar 1936, erblickte er in dem denkmalgeschützten Fachwerkhaus im Tiefenweg 31 das Licht der Welt. "Die 'Krone' prägt das Dorfbild, es ist wichtig, sie zu erhalten", findet der Anneröder. Zu seinem Geburtstag nimmt Wallbott ein neues Projekt in Angriff: Die Geschichte der "Krone" soll verschriftlicht werden. Dafür sucht er Zeitzeugen, die ihm mehr über die Gaststätte und das Drumherum oder von Begegnungen, die sie dort hatten, erzählen können. "Es soll kein reines Anekdotenbuch werden, sondern mit Fakten unterlegt", betont Wallbott, der 16 Jahre lang Erster Beigeordneter in Fernwald war.
Einiges über die "Krone" hat Wallbott bereits in der Festschrift anlässlich der 700-Jahr-Feier von Annerod zusammengetragen. Darin erfährt der Leser, dass die Geschichte der "Krone" 1912 begann, als Karl Wallbott - der Vater von Adolf Wallbott - beim Gemeinderat beantragte, in der Hofreite im Tiefenweg eine Gastwirtschaft betreiben zu dürfen. Dem Gesuch wurde am 26. Januar 1912 entsprochen, denn da "seither eine Wirtschaft betrieben wurde, kommt die Bedürfnisfrage außer Betracht". Vor der "Krone" war im Tiefenweg die Gaststätte "Weller" beheimatet. An die ersten Wirtsleute der "Krone" erinnert noch heute das Schild mit dem alten Hausnamen, das neben dem großen Holztor hängt: "Wallbotts" ist darauf zu lesen.
Wallbotts eröffneten neben der Gastwirtschaft auch eine Metzgerei, beides blieb bis 1956 im Familienbesitz, danach bekam das Gießener Brauhaus das Eigentumsrecht. Am 3. Oktober 1961 übernahm Ferdinand Dittmann Metzgerei und Gastwirtschaft, ehe 1973 das Ehepaar Stiebing das Zepter in die Hand nahm: Günter Stiebing stand am Herd, Marianne Stiebing kümmerte sich um die Gäste. 1976 wurde die Metzgerei geschlossen, die Gaststätte nach und nach vergrößert. "47 Jahre sind eine lange Zeit. Es gab viel Freude, aber auch Frust - eben ganz normal", erinnert sich Marianne Stiebing an die zurückliegende Zeit.
Von den von Wallbott gesuchten Zeitzeugen dürfte es einige geben. Denn die "Krone" war nicht nur beliebter Treffpunkt der Anneröder Vereine - der Tennisclub wurde hier sogar gegründet, die Versammlung leitete damals Wallbott -, sondern wurde auch aus den umliegenden Orten angesteuert: So machten sich etwa Gießener zu Fuß über den Butterweg auf den Weg und stärkten sich in Fernwald angekommen in der Traditionsgaststätte. Wallbott erinnert sich zudem daran, dass auch die ehemalige Kelterei in der Borngasse zur Geschichte der "Krone" gehört. Sie stand viele Jahre den Anneröder Obstbauern zur Verfügung. Und sogar dass Annerod nicht wie Albach und Steinbach die Vorwahl 06404, sondern wie Gießen die 0641 hat, hat mit der "Krone" zu tun. "Als in den 1930er Jahren die Telefonmasten auf dem Land gesetzt wurden, machten die Arbeiter Pause in der 'Krone'", erzählt Wallbott. Um erreichbar zu sein, sorgten sie dafür, dass eine direkte Leitung vom Gießener Telefonamt in die Anneröder Gaststätte gelegt wurde.
Von Eva Pfeiffer