Anita Schneider will ein drittes Mal bei der Landratswahl antreten. Am Freitag soll sie bei einem SPD-Unterbezirksparteitag offiziell zur Kandidatin bestimmt werden.
KREIS GIESSEN. Für den Fall, dass Anita Schneider am 26. September die Landratswahl gewinnt, hat sie es die nächsten Jahre im Kreistag mit einer Koalition zu tun, zu der ihre Partei, die SPD, nicht gehört. Für die Landrätin scheinbar kein Grund, nach zwölf Jahren im Amt nicht erneut zu kandidieren. "Wahlen finde ich immer spannend. Ich mache den Bürgern ein konstruktives Angebot und rechne mir auch Chancen aus. Es wäre aber kein gutes Angebot, sechs Jahre Oppositionspolitik zu machen", sagt sie am Dienstagmittag bei der Pressekonferenz in der SPD-Geschäftsstelle, dem Henriette-Fürth-Haus.
Pragmatismus ist also das Motto der Stunde. Den Koalitionsvertrag von CDU, Grünen und Freien Wählern hat die 59-Jährige abgewartet, bis sie sich endgültig entschied. Darin gibt es nach Ansicht von Schneider vieles zu konkretisieren und mit Projekten zu versehen. Besonders der Aspekt der Teilhabe fehlt ihr und dass man die Menschen bei Projekten zum Beispiel zum Klimaschutz auch mitnehmen müsse. Doch der Vertrag der neuen Partner bestätige auch vieles, was die alte Koalition aus SPD, Grünen und Freien Wähler gemacht habe.
Wie bereits am Dienstag berichtet, hat der SPD-Unterbezirksvorstand Schneider am Montagabend einstimmig nominiert. Ihre formelle Wahl bei einem Parteitag steht am Freitagabend an.
Große Freude
Beim Unterbezirksvorsitzenden Frank-Tilo Becher, dessen Stellvertreter Gerald Dörr und Sabine Scheele-Brenne, der Fraktionsvorsitzenden im Kreistag, steht die Freude über Schneiders Bereitschaft zur Kandidatur für eine dritte Amtszeit im Mittelpunkt. Dörr würdigt den Breitbandausbau und den sozialen Wohnungsbau als zwei wichtige Projekte und lobt Schneiders Bürgernähe.
"Die Partei hat sich das gewünscht", meint Becher zur Kandidatur. Dies sei "eine sehr gute Entwicklung für den Landkreis" und eine "Garantie, dass die soziale Perspektive im Blick bleibt". Scheele-Brenne bezeichnet sich als "personifizierte Freude aus der Kreistagsfraktion". Schneider sei eine Macherin und in der Pandemie auch eine Krisenmanagerin.
Die Landrätin betont erneut, dass sie sich die Entscheidung nicht leicht gemacht habe. "Ich habe überlegt, ob ich noch die Lust, die Kraft und die Ideen habe, nach zwölf Jahren und Unmengen von Erfahrungen erneut zu kandidieren. Und das habe ich für mich mit Ja beantwortet." Ein wichtiger Punkt im Abwägungsprozess sei auch gewesen, dass die Familie hinter ihr stehe. "Ich habe Lust auf eine sachliche und konstruktive Politik", betont Schneider, um zum Programm der neuen Koalition überzuleiten.
Sie ist froh, dass Themen wie der soziale Wohnungsbau oder der Breitbandausbau bestätigt werden. Der Klimaschutz müsse intensiv beackert werden. "Interkommunale Zusammenarbeit ist mein Steckenpferd", meint Schneider zu einem anderen Punkt.
Die von der Koalition genannten Themen Digitalisierung, Klimaschutz und sozialer Zusammenhalt seien "Megatrends". Bei den konkreten Projekten könne es aber gut tun, unterschiedliche Ansätze in der Politik zu diskutieren. "Am Ende geht es nicht um den Kreistag, sondern um die Bürger." Schneider ist die Teilhabe aller Bürger wichtig, sei es bei benötigten Kompetenzen in einer sich wandelnden, zunehmend digitalen Welt, oder bei der Frage, wie alte Häuser energetisch saniert werden können und Wohnraum geschaffen werden kann. Schade sei, dass im Koalitionsvertrag bei der Wirtschaftsförderung nichts dazu stehe, dass Gewerbegebiete sozial-ökologisch sein müssten.
Nach zwölf Jahren im Amt und 14 Monaten Krisenbewältigung in der Corona-Pandemie wäre es auch verständlich gewesen, wenn Schneider nicht erneut kandidieren würde. Auf eine entsprechende Frage verweist die SPD-Politikerin zunächst auf die Flüchtlingskrise 2015/16. Das habe man im Landkreis gut hinbekommen. Corona sei ein Punkt für jeden in der Kreisverwaltung, der bei der Bewältigung mithelfen müsse.
In knapp vier Monaten ist die Wahl. Wenig Zeit, falls anstelle von ihr ein anderer SPD-Kandidat antreten würde. Schneider sieht das nicht so. "Auch ohne mich hätte die SPD die gleichen Chancen wie alle anderen Parteien. Alle stehen an der Startlinie." Beim Zeitpunkt der Entscheidung sei das Programm der Koalition "ein Meilenstein" gewesen. "Ich will nicht sechs Jahre gegen Themen arbeiten, die die Mehrheit beschließt. Da muss es ein gemeinsames Denken geben, um konstruktiv zu arbeiten."
Ein Gespräch mit der Führung der neuen Koalition hat es noch nicht gegeben. "Ich bin eigentlich bekannt dafür, mit jedem zu reden, um Dinge voranzubringen", sagt sie zum Schluss des Pressetermins.
Von Volker Böhm