Mit markanter Feinzeichnung

Kantor Christof Becker an der "Königin der Instrumente". Foto: Schultz

Es gibt sie noch, diese seltenen Ausnahmen im grauen Nebel der kulturellen Lockdown-Zeit. Eine war die Orgelvesper am Ewigkeitssonntag in der Marienstiftskirche Lich. Neben...

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LICH. Es gibt sie noch, diese seltenen Ausnahmen im grauen Nebel der kulturellen Lockdown-Zeit. Eine war die Orgelvesper am Ewigkeitssonntag in der Marienstiftskirche Lich. Neben geistlichen Worten von Pfarrerin Barbara Lang gab es auch Orgelwerke von Bach, Walther, Brahms und Rinck zu hören, musiziert von Kantor Christof Becker. Die Kombination der Elemente und die musikalische Qualität erwiesen sich als äußerst wohltuend.

An die 80 Besucher hatten im krisengerechten Abstand Platz genommen, das war fast das Maximum des Möglichen. Schon mit Johann Sebastian Bachs einleitendem Präludium und Fuge in b-Moll aus dem "wohltemperierten Clavier I" legte sich eine angenehme Ruhe über das Gotteshaus und die Besucher. Die Musik des Präludiums war ein poetisches Schweben, mit ruhiger, sanfter Energie; Erinnerungen an herrliche musikalische Zeiten stellten sich ein. In der Fuge musizierte Kantor Becker dann etwas temporeicher, blieb jedoch in der Ruhe verhaftet. So waren weiche Bögen und eine sanfte Spannung zu genießen - eine tolle Einstimmung auf das weitere Programm, zu dessen Besuchern zahlreiche regelmäßige Konzertbesucher gehörten.

Pfarrerin Langs Predigtelemente (Kernpunkte: "Musik, Gedanken und Stille") bewirkten Ähnliches, man fühlte Elemente von Geborgenheit, ja Zuwendung, und selbst der nüchterne Zeitgenosse spürte eine gewisse Entschleunigung.

Kantor Becker hatte erwartungsgemäß ein kontrastreiches musikalisches Programm zusammengestellt. Johann Gottfried Walthers Partita aus "Jesu, meine Freude" klang nach Aufbruch und Unternehmungslust. Becker gestaltete eine tolle Dynamik, wodurch sich die Elemente klar voneinander abhoben und ihren individuellen Charakter eröffneten. Auch klanglich wurde einiges geboten. Zu hören waren etwa Trompeten, ein kräftiger, markanter Kontrast und weiche, atmende Töne. Am Ende stand die Rückkehr des großen Klangs, mit drängenden Bässen, kräftigem Druck und viel Temperament. Der Abschluss blieb im Format, fiel jedoch fast sachlich aus.

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Erster Höhepunkt

Ein erster großer Höhepunkt in diesem hochrangigen Konzert war dann Max Regers "Benedictus"aus op. 59. Mit wahrlich zauberhaften Tiefbässen, enorme Ruhe verströmend, spürte man eingangs erst den Umfang des Klangspektrums. Sodann öffnete sich die Musik, erhielt mehr Volumen und entfaltete sich zu machtvoll drängenden sakralen Harmonien. Hier zeigte sich erneut Beckers große gestalterische Kompetenz. Auf gleichem Niveau musizierte der Organist Johannes Brahms' "Selig sind, die, da Leid tragen" in einer Orgelbearbeitung des ersten Satzes des Deutschen Requiems. Zunächst ganz tief, mit schreitendem Rhythmus, schwang sich das musikalische Geschehen ruhig weiter empor, sparsam und wirkungsvoll instrumentiert. Dann blitzte kurz ein fast popmusikartiger, später an Walzer erinnernder Schwung auf. Becker gelang diese Umsetzung mit meisterlicher Feinzeichnung. Ergebnis war ein hochästhetischer, kompakter und dabei transparenter Klang.

Auch Christian Heinrich Rincks "Christus ist mein Leben" begann sanft mit typisch atmenden Klängen und einer kontrastreich abgesetzten Solostimme. Das klang ruhig und vertraut, war aber zugleich mit sanfter Frische musiziert. Fast vorsichtig wirkte das, das Ende der Komposition bewiesen dann sakrale Schönheit.

Auch der Ausklang dieses Programms stammte von Johann Sebastian Bach: sein kurzes "Wachet auf, ruft uns die Stimme". Vor einem hochdifferenzierten, mäandernden Hintergrund erhob sich abrupt eine hochmarkante, anders klingende Hauptstimme. Das reizvolle Wechselspiel erwies sich als sehr anregend; ein toller Abschluss setzte den Punkt unter ein hocherfreuliches Ereignis.