Eine massive Attacke auf einen Essener nach einem Streit um Drogen in Reiskirchen wurde vor dem Schöffengericht in Gießen verhandelt.
KREIS GIESSEN. Drei Jahre und sechs Monate muss ein 21-jähriger Licher hinter Gitter. "Sie haben bewusst dem Opfer von oben nach unten den Hals aufgeschlitzt. Und Sie sollten noch froh sein, dass Sie sich hier nur vor dem Amtsgericht wiedergefunden haben. Es hätte auch ein Tötungsvorsatz angenommen werden können, dann wären Sie vor dem Schwurgericht gelandet." Deutliche Worte fand die Vorsitzende Richterin Sonja Robe am Freitag in ihrer Urteilsbegründung.
Dem jungen Mann war zugutegehalten worden, dass er nicht weitergemacht hatte und von seinem Opfer abließ. Dies sei als strafbefreiender Rücktritt vom versuchten Totschlag gewertet worden. Deshalb hatte Staatsanwalt Thomas Hauburger den 21-Jährigen nur wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Ein versuchter Totschlag hätte den Angeklagten gleich ab fünf Jahre aufwärts vor dem Schwurgericht eingebracht. Das unterstrich auch Hauburger, dessen gefordertes Strafmaß für die Tat vom Schöffengericht voll übernommen wurde.
Seit Mai sitzt der junge Mann bereits in Untersuchungshaft. Er und vier weitere Bekannte und Freunde waren zu einer illegalen Corona-Party in Reiskirchen zusammengekommen, die in einer Ein-Zimmer-Wohnung plötzlich eskalierte. Der Angeklagte äußerte sich nicht selbst zum Vorfall, sondern ließ durch seinen Anwalt erklären, dass es um ein Drogengeschäft gegangen sei. Er habe für einen 50-Euro-Schein nicht die ausreichende Menge Marihuana vom 30-jährigen Opfer erhalten. Es sei von ihm in jedem Fall nicht beabsichtigt gewesen, dem Opfer die schwere Verletzung zuzufügen. Er habe sich im Streit bedroht gefühlt und aus Notwehr gehandelt.
Daher forderte sein Pflichtverteidiger Alexander Hauer in seinem Plädoyer auch einen Freispruch. Falls es aber zur Verurteilung käme, könne nur ein mittelschwerer Fall angenommen werden, der mit zwei Jahren Bewährungsstrafe genügend gesühnt werde, weil auch das Opfer ordentlich zugeschlagen habe, erklärte er alternativ. Dem widersprach jedoch in der Urteilsbegründung Richterin Robe.
"Mit Wucht"
Eine Freundin - die Wohnungseigentümerin -, die als Zeugin aussagte, hatte sich zunächst zwischen die beiden Streithähne gestellt. Sie war vom Angeklagten weggeschubst worden. Das bestätigte ein weiterer Partygast vor Gericht. Direkt danach habe der 21-jährigen Täter das sichelförmige Klappmesser gezogen und bewusst "mit Wucht" über die rechte Gesichtshälfte gezogen, so Robe. Von Notwehr gebe es da keine Spur.
Ein Rechtsmediziner, dessen Gutachten verlesen wurde, äußerte, dass bei der Tiefe der Wunde, die ordentlich blutete, auch lebensbedrohlich eine Vene hätte verletzt werden können. Es wäre dann zu einer Luftembolie gekommen. Davon blieb das Opfer verschont, das sich allerdings auch nicht als Waisenknabe erwies. Der 30-Jährige erwähnte freiwillig Körperverletzungs- und Drogendelikte in seinem Vorstrafenregister. Der 21-jährige Täter war bereits 2016 wegen sexueller Nötigung und räuberischer Erpressung zu einer sechsmonatigen Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Hier war ein imaginäres Messer im Spiel, mit dem er eine 15-Jährige bedroht hatte. Sein Pflichtverteidiger wollte die Verlesung dieses Urteils verhindern, weil es nichts mit der aktuellen Tat gemein habe. Doch sein Antrag wurde vom Gericht abgewiesen.
Im aktuellen Fall erklärten alle Partygäste unisono, dass der Licher sein Sichel-Messer immer dabei gehabt habe und damit habe imponieren wollen. Staatsanwalt Hauburger sprach später ebenfalls plastisch davon, dass er dem Opfer "das Messer in den Hals gerammt habe". "Mit massiver Gewalt und wuchtigen Bewegungen" sei die Attacke durchgeführt worden. Der psychiatriche Gutachter, der gehört wurde, habe dem Angeklagten eine Impulsstörung attestiert.
Der Licher wies auf Lichtbildern kleinere Wunden auf, sodass das Gericht zumindest zugunsten des Angeklagten davon ausging, dass auch das Opfer einmal zugeschlagen hatte. Aber bei Weitem nicht so, dass eine Straftatbestand ausschließende Notwehrhandlung anzunehmen gewesen wäre.
Dem Opfer wurde mit der massiven Attacke immerhin eine 30 Zentimeter lange Schnittwunde zugefügt. Sie hinterlässt bei dem aus Essen stammenden Drogenverkäufer eine sichtbare dauerhafte Entstellung im Gesicht. Beim Angriff wurden Muskeln und der Ohrnerv durchtrennt. Noch heute fühlt das Opfer, das nach Anwaltsaussage zudem eine Borderline-Störung aufweist, einen brennenden Schmerz. Zwei gute Freunde bestätigen als Zeugen, dass der 30-Jährige jetzt öfter als zuvor für kurze Zeit ohnmächtig werde. Er habe sich auch sehr zurückgezogen. Davon bemerkte man allerdings nichts in einer Gerichtspause, in der das Opfer und die Zeugen munter vor dem Amtsgericht Flaschenbier tranken.
Opfer verhöhnt
Strafverschärfend wertete das Gericht in jedem Fall das Verhalten des Angeklagten. Zeugen bestätigten, dass der Licher nach der Messerattacke, die vier Verletzungen, darunter die schwere, zur Folge hatten, das Opfer noch verhöhnte. "Jetzt hast du bekommen, was du verdienst" sei dem Schwerverletzten, der von Freunden gestützt wurde, zugerufen worden. Ein Polizeibeamter, der den Täter nach seiner Festnahme befragte, bezeichnete dessen Verhalten als "frech". Er habe immer wieder erklärt, dass er nicht verstehe, warum er hier sei und er nichts gemacht habe, außer sich zu verteidigen. Auch hier habe der Täter immer noch so getan, als ob nichts gewesen wäre, betonte die Vorsitzende Richterin.
Der Licher hatte zum Tatzeitpunkt selbst nur 1,13 Promille im Blut, allerdings auch Ecstacy und Spuren von THC, das in Marihuana enthalten ist. Alle anderen Partygästen hatten an dem schicksalhaften Abend Pfefferminzlikör und Bier getrunken, aber wohl auch Marihuna geraucht.