Stolpersteine in Biebertal verlegt

Künstler Gunter Demnig verlegt den Stolperstein für Emma Bellof vor deren letztem freigewählten Wohnsitz in der Burgstraße 29 in Vetzberg. Foto: Theis

Stolpersteine in Rodheim-Bieber und Vetzberg erinnern an zwei Opfer des NS-Regimes: Emma Bellof und Wilhelmine Bechlinger.

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BIEBERTAL. Mitten in Vetzberg und Rodheim-Bieber hatten sie einst gelebt, bevor sie aus ihrer Heimat gerissen und schließlich ermordet wurden. Emma Bellof aus Vetzberg und Wilhelmine Bechlinger aus Rodheim-Bieber fielen dem NS-Regime zum Opfer. Damit ihre Namen niemals in Vergessenheit geraten, wurde am gestrigen Dienstag vor ihrem letzten frei gewählten Wohnsitz - in der Fellingshäuser Straße 20 und in der Burgstraße 29 - je ein Stolperstein, hergestellt vom Bildhauer Gunter Demnig, verlegt.

"Diese Steine können uns im Alltag nicht allzu oft daran erinnern, was geschen ist", sagte Bürgermeisterin Patricia Ortmann (parteilos) im Anschluss an die Verlegung bei einer kleinen Gedenkfeier. Man könne nicht ungeschehen machen, was passiert ist, aber man müsse Gesicht zeigen und sich dafür einsetzen, dass es nicht wieder passiert. "Wir müssen uns erinnern an das Vergessene", erklärte die Bürgermeisterin. Oftmals sind die kleinen Mahnmale der einzige Erinnerungsort für ein Opfer des NS-Regimes, für die es keine anderen Gedenkstätten gibt.

Emma Bellof, geboren am 23. Juli 1875 in Vetzberg, wurde zu einem unbekannten Datum in die Anstalt Herborn aufgenommen. Herborn war ab 1941 eine sogenannte "Zwischenanstalt" für die Tötungsanstalt Hadamar. Von Januar bis August 1941 war Hadamar eine von sechs "Euthanasie"-Tötungsanstalten der "Aktion T4". Das heißt, Patienten wurden in "Zwischenanstalten" zunächst gesammelt und bald darauf nach Hadamar verlegt.

Von Herborn kam Emma Bellof in einem Transport mit 49 weiteren Patienten am 24. Januar 1941 nach Hadamar. Die Frauen und Männer eines solchen Transports wurden in der Regel noch am Tag der Ankunft in die im Keller der Anstalt befindliche Gaskammer geschickt und ermordet. Ihre Leichname wurden anschließend verbrannt. Das Todesdatum und die Todesursache wurden falsch angegeben, um Angehörige und Behörden zu täuschen.

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Wilhelmine Bechlinger, geboren am 22. Februar 1908 in Rodheim, wurde am 3. September 1943 in die Anstalt Weilmünster aufgenommen. Von dort kam sie 16. August 1944 nach Hadamar. Hier verstarb sie am 18. Oktober 1944 vorgeblich an "Herzschwäche".

Hadamar war zwischen August 1942 und März 1945, dem Zeitpunkt des Einmarsches US-amerikanischer Truppen, keine herkömmliche Heil- und Pflegeanstalt. In dieser Zeit wurden die NS-Euthanasie-Morde wieder aufgenommen. Im Gegensatz zu 1941 wurden die Patienten nun nicht mehr durch Gas, sondern durch überdosierte Medikamente, gezielte Mangelernährung und unterlassene medizinische Versorgung getötet. Die Angabe der Todesursache war in der Regel falsch, um Angehörige und Behörden zu täuschen. Die Patientenakte von Wilhelmine Bechlinger ist in der Gedenkstätte in Hadamar erhalten.

Biebertaler Charta

"Unser Werteverständnis muss geprägt sein von Vielfalt, Respekt und Toleranz", betonte Ortmann. Deshalb habe die Gemeinde Biebertal eine Charta erarbeitet, die in Zukunft für solche Werte steht. Die Charta soll in alle Biebertaler Ortsteile gebracht werden und kann von Bürgern unterschrieben werden, die für Demokratie, Toleranz, Vielfalt und Respekt einstehen.

Landrätin Anita Schneider (SPD), die neben der Bundestagsabgeordneten Dagmar Schmidt (SPD) ebenfalls an der Verlegung und der Gedenkfeier teilnahm, lobte die von der Gemeinde ausgearbeitete Charta. "Besser kann man einen solchen bewegenden Moment nicht begleiten", fügte sie an. Aus ihrer Sicht dienen die Stolpersteine nicht nur der Erinnerung, sondern sie sind auch ein "Appell an die Verantwortung", so die Landrätin. Es sei wichtig, dass an die Millionen von Menschen, die durch die Diktatur des Nationalsozialismus ums Leben gekommen sind, gedacht wird und dass ihre Namen nicht in Vergessenheit geraten, denn "ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist", erläuterte Schneider.

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Gemeindevertreter Sebastian Kleist (SPD) hatte gemeinsam mit seiner Fraktion 2019 den Antrag zur Verlegung der beiden Stolpersteine gestellt. Seiner Meinung nach dienen die Steine dazu, sich gegen das Vergessen zu wehren und sich für das Erinnern stark zu machen. "Vor allem Jüngeren geben die Stolpersteine die Chance, sich damit auseinanderzusetzen und Verantwortung zu übernehmen", sagte Kleist.

Die abschließenden Worte gehörten dem Künstler Gunter Demnig, der die Stolpersteine herstellte und sie vor den Häusern verlegte. Nach eigener Aussage hat er seit 1992 rund 80 000 Stolpersteine in 1200 deutschen Kommunen und in mittlerweile 27 Ländern verlegt. Für ihn sei der Stolperstein in seiner Symbolik immer noch sehr wichtig, um vor allem auch das Interesse der Jugend auf sich zu ziehen. "Manchmal reicht ein Stein aus, damit etwas handfest und deutlich wird. Er führt einem vor Augen, dass die Verbrechen nicht in der Ferne, sondern unmittelbar vor der eigenen Haustür oder in der Nachbarschaft passierten."

Musikalisch verlieh Cordula Poos an ihrer Harfe und mit ihrem Gesang der Gedenkfeier, an der rund 40 Bürger teilnahmen, einen würdigen Rahmen.