Bei einer Veranstaltung des Georg-Büchner-Clubs hat der Wettenberger Lokalhistoriker Dieter Bender über seine Recherchen zu Zwangsarbeitern berichtet.
KREIS GIESSEN. Kreis Gießen (rsc). "Verschleppt, zugrunde gerichtet, ermordet. Die vergessenen Opfer der Zwangsarbeit" lautete der Titel einer Veranstaltung, zu der der Georg-Büchner-Club den Lokalhistoriker Dieter Bender aus Krofdorf-Gleiberg in den Hermann-Levi-Saal des Gießener Rathauses eingeladen hatte. Bender forscht seit zehn Jahren in seinem Heimatort zu der örtlichen Zwangsarbeiterschaft und seit einem Jahr über die im Landkreis Gießen. Ingo Berghöfer, Redakteur des Gießener Anzeigers, moderierte die Veranstaltung.
Seine einleitenden Worte hatte Berghöfer bewusst formuliert: "Wir wollen uns heute Abend nicht nur an die Verbrechen unserer Großväter und die Versäumnisse der Väter erinnern, sondern auch anregen, etwas gegen das Vergessen zu tun. Denn das ist die eine Aufgabe, die unserer Generation noch verblieben ist." Es sei eines der quantitativ größten nationalsozialistischen Verbrechen und eines der am wenigsten bekannten. Zwölf Millionen Zwangsarbeiter hätten im Deutschen Reich zumeist unter unwürdigen Bedingungen geschuftet, im deutschen Machtbereich seien es 20 Millionen gewesen. "Ein Verbrechen, das nun wirklich niemand mehr übersehen konnte." Berghöfer kritisierte dabei, dass der Schuld der Tat die Schuld der versäumten Sühne und verschleppte Wiedergutmachung gefolgt seien. Auch fehle eine bleibende Erinnerungsstätte an die Zwangsarbeit, die nicht selten einer Sklavenarbeit glich, und an deren Opfer. Er regte an, gegen das Vergessen aktiv zu werden. "Denn das ist das Einzige, was unserer Generation noch verbleibt."
Laut Bender waren die Zwangsarbeiter, darunter auch erst zehnjährige Kinder, mehrheitlich Sowjetbürger (rund 4,7 Millionen). Außerdem gab es Franzosen (rund 2,3 Millionen), Polen (rund 1,9 Millionen), Italiener (knapp 1,5 Millionen), Niederländer (475 000), Belgier (440 000), Tschechen (355 000) sowie Balten, Dänen, Kroaten, Ungarn, Serben und Slowaken. Eingesetzt wurden sie in der Rüstungsindustrie, der Landwirtschaft, in anderen kriegswichtigen Betrieben, als Dienstboten bei Nazibonzen, zu Gemeindearbeiten, in Straflagern und Konzentrationslagern sowie in NSDAP-Eigenbetrieben.
Herausgefunden habe er, dass es "keinen Ort in Deutschland gegeben hat, wo keine Zwangsarbeiter eingesetzt waren". Erinnerungsorte im Kreis seien der Kriegsopferfriedhof Kloster Arnsburg, auf dem Neuen Friedhof Gießen das Feld für Kriegstote, ein Gedenkstein in Großen-Buseck und auf dem ehemaligen Friedhof Heuchelheim. Bender forderte: "Die Erinnerung an alle Todesopfer der Zwangsarbeit muss zurückgeholt werden an die Orte, wo sie eingesetzt waren. Dies gilt auch für die Opfer der Tötungsanstalt Hadamar und des Lagers Pfaffenwald, das von 1942 bis zum Frühjahr 1945 als Durchgangs-, Sterbe-, Geburten- und Abtreibungslager für ausländische Zwangsarbeiter genutzt wurde. Ebenso die Franzosen, Italiener und alle anderen, die in ihre Heimat umgebettet wurden."
Berghöfer sagte, dass im Landkreis noch einige Orte vorhanden seien, "wo man sehen kann, wie die Leute damals gelebt haben". In Freienseen gebe es eine einzige verbliebene ehemalige Baracke. Er schlug vor, daraus einen Erinnerungsort zu machen. Zudem gebe es einen alten Eisenbahntunnel in Freienseen. In den 30er Jahren wurde zum bestehenden noch ein zweiter gebaut, der zwar zu Kriegsbeginn fertiggestellt war, jedoch nie in Betrieb genommen wurde. VDO, in den Nachkriegsjahren bekannt als Frankfurter Tachometerhersteller, wäre von den Nazis dorthin verlagert worden, um Armaturen für die V1- und V2-Raketen herzustellen. Die Tunnelanlagen stünden unter Denkmalschutz und seien dem Verfall preisgegeben. Wenn man das Kulturdenkmal erhalten wolle, sei es "höchste Eisenbahn".
In der anschließenden Diskussion regte Bender an, über Stolpersteine für Zwangsarbeiter, die ermordet wurden und für die es keine Grabstätte gibt, nachzudenken. Stadträtin Monika Graulich erklärte, dass Gunter Demnig, der Künstler hinter den Stolpersteinen, damit an Juden, Sinti und Roma sowie homosexuelle Opfer der Nazi-Herrschaft erinnern wolle. An anderen Orten Deutschlands werde dies jedoch offener gesehen.