Ein Gastbeitrag zum anstehenden Totensonntag im Kreis Gießen
Jürgen Jacob vom Verein Gedankenschiff Lich zeigt Alternativen der Trauerbegleitung in Pandemiezeiten auf.
Von Jürgen Jacob
Die Auseinandersetzung mit dem Verlust eines geliebten Menschen kann sich vielfältig manifestieren. Foto: Jacob
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KREIS GIESSEN - Der erste, für uns alle völlig fremde Lockdown hat manche Menschen mehr oder weniger getroffen. Bei meinen Gedanken als Trauerbegleiter, Trauerredner und Seelsorger möchte ich den Fokus auf die Menschen richten, welche ihre Angehörigen in Seniorenheimen, Krankenhäusern, Palliativ-Stationen, Hospizen von der Ferne her beim Sterben beobachten mussten - isoliert, alleine.
Das war aufgrund der Besuchsbeschränkungen für entsprechend nahe Personen fast ein traumatisches Ereignis. Ist der Abschied sowieso schon ein hoch emotionales Ereignis, kann dieses "Alleinlassen" von Mutter, Vater, Schwester, Kind in dieser Zeit zu etwas Unverzeihlichem werden.
Surreales Trauererlebnis
Diese Erlebnisse sind für uns in dieser Zeit des 21. Jahrhunderts total surreal. Die Gedanken können dieses Leid gar nicht aufnehmen und sortieren. Auf der einen Seite haben wir eine Zeit, wo es kaum noch nicht erfüllbare Wünsche gibt, und auf der anderen Seite kann man sich die fehlende Abschiedszeit nicht kaufen. Die Vorstellung, dass ein naher Familienangehöriger ohne Zuspruch, Trost und haltende Hand - ohne einen Kuss oder Umarmung von dieser Welt gehen muss, zerreißt einen innerlich und hinterlässt tiefe Spuren.
Die Auseinandersetzung mit dem Verlust eines geliebten Menschen kann sich vielfältig manifestieren. Foto: Jacob
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Nun war dieser Teil noch lange nicht das ganze Leid, was die Hinterbliebenen erfahren müssen. So standen nach dem Versterben auch die Trauerfeierlichkeiten an.
Gerade im Spätsommer oder Herbst, wo sich die Lage wieder angespannt hat, war eine rasche Beisetzung gefragt. Denn durch die Verschärfung war die Reduzierung bei den Trauerfeierlichkeiten im rasenden Fall zu beobachten. Beobachtete man noch inmitten des Septembers Beisetzungen aus dem Milieu in Berlin mit rund 700 Trauergästen, wäre es kurze Zeit später mit regionalem Unterschied nur noch 50 Trauergäste, dann 25, zehn und nun nur noch fünf Trauergäste.
Aus der diesjährigen Trauerbegleitung kann berichtet werden, dass bereits mit Ende des ersten Lockdowns viele Hinterbliebene es sehr bedauerten, dass keine ordentliche Trauerfeier stattgefunden hat. "Mein Vater war im ganzen Dorf beliebt und sehr geschätzt, und nun standen wir nur noch mit zehn Personen aus dem engsten Familienkreis da auf dem Friedhof. Das hatte Vater nicht verdient, so still wie ein Tier begraben zu werden." Ähnliche Aussagen fällten auch andere Trauernde, welche gerade Ende Oktober eine Menge Trauergäste eingeladen hatten und dann drastisch reduzieren mussten. Also wurden viele Angehörige wieder ausgeladen, vertröstet auf unbestimmte Zeit?.
HINTERGRUND
Der Totensonntag oder Ewigkeitssonntag, er fällt in diesem Jahr auf den 22. November, ist in den evangelischen Kirchen in Deutschland und der Schweiz ein Gedenktag für die Verstorbenen. Er ist der letzte Sonntag vor dem ersten Adventssonntag und damit der letzte Sonntag des Kirchenjahres, heißt es in Wikipedia. Der Totensonntag ist in allen deutschen Bundesländern besonders geschützt. (ww)
Für mich als Trauerbegleiter mit über zehn Jahren Berufserfahrung tragen alle Dinge rund um den Tod eines geliebten Menschen mit dazu bei, dass die Trauer eine gute oder auch andererseits traumatisch werden kann.
Nun möchten wir eine Anregung geben, die vielleicht auf Zuspruch stoßen und einen weiteren Trost auf dem Weg der individuellen Trauer werden kann:
Selbst, wenn wir in dieser Zeit sehr eingeschränkt Trauerfeiern durchführen müssen, heißt es nicht, dass sich die Zeiten nicht wieder ändern. So hoffen wir alle.
Ich ermuntere zur nächsten möglichen Gelegenheit eine entsprechende Lokation, wie zum Beispiel eine Halle, Kirche oder auch ein Platz an einem Bach, Fluss, Wasserfall, Berg, See oder Meer zu finden, wo man die Nähe zu dem lieben Verstorbenen gut finden kann. Hier könnte im Nachgang eine Abschiedsfeier im angemessenen Kontext geplant werden.
Die "Alte Kirche" in Pohlheim ist zum Beispiel so ein Geheimtipp, wo man die Kirche, welche der Stadt gehört, einfach für ein paar Stunden mieten kann.
Oder am Rheinufer einen Feuerkorb aufstellen, beschriftete Papierschiffe auf das Wasser setzen, Abschiedszeilen oder auch gute Wünsche darauf zu schreiben.
Wutsteine in den Rhein werfen, dem Menschen sagen, was er für einen bedeutet hat, und das Drama der dauerhaften Abwesenheit würdigen.
Diese Art von Gedenkfeiern scheinen auf den ersten Blick zu befremden. Jedoch ermuntern wir dazu, die Verstorbenen nicht zu vergessen, sondern bei verschiedenen Gelegenheiten eine solche Andacht zu planen. Als zusätzliche Trauerfeier im großen Kreis (nach der Pandemie), zum Todestag, zum Geburtstag, zum Namenstag, zum Hochzeitstag oder anderem.
Bei der Organisation einer entsprechenden Gedenkzeremonie können sich alle Hinterbliebene mit Kindern einbringen, in dem sie Bastelarbeiten vorbereiten und sich aktiv beteiligen. Jugendliche könnten passende Musik organisieren, Freunde könnten etwas aus der gemeinsamen Zeit vortragen, Geistliche einen Vers aus der Bibel vorlesen und einen Segen sprechen, Kollegen von den Projekten erzählen lassen oder von den allerlei Sprüchen beim Plausch am Kaffeeautomaten. So kann eine nachgezogene Trauerfeier wieder einiges an Verletzungen aus dem Versäumten kitten und zu einem guten Abschied führen.
Corona hat wie zuvor ausgeführt, viele Möglichkeiten eingeschränkt und Trauernden vieles genommen.
Haben Sie oder der Bestatter schon einmal daran gedacht, bei einer Trauerfeier mit starken Einschränkungen gezielt ihre Trauergesellschaft via Videoübertragung anzuschließen?
Neuer Blickwinkel
In den vergangenen Monaten habe ich die Hinterbliebenen - gerade auch die Jugendlichen - motiviert, dieses zu tun. Trauerfeiern lassen sich gut übertragen. Mit einem geeigneten Blickwinkel und Videosoftware (zum Beispiel Skype, Zoom und Webex ...) können Bild und Ton über die ganze Erde übertragen werden. Es braucht keiner außen vor zu bleiben. Alle, die möchten, können Anteil haben.
Selbst an einer Abschiedsfeier im Abschiedsraum auf dem neuen Friedhof mit offener Aufbahrung des Verstorbenen konnten enge Familienmitglieder teilhaben. Natürlich wurde zuvor klar kommuniziert, welche Bilder dort live gesendet werden. Es waren Bilder der Tränen und hochgradig emotionale intime Abschiedsmomente.
Jedoch konnte die Schwiegermutter vom Bodensee, der Bruder aus Hamburg und sogar der Neffe aus Hongkong bei diesem Abschied dabei sein. Die Konferenz ist selbstredend nicht öffentlich und nur mit personalisierter Einladung, Konferenzkennung und Passwort erreichbar.
Wie bei den Lebenden gilt: Die Ehre des Menschen, auch über den Tod hinaus, ist unantastbar.