Estische Sängerin überwältigt in Licher Bezalel-Synagoge
"Die Estin Kadri Voorand brillierte mit ihrer Mischung aus Jazz Pop, und Rock in der Reihe der "SommerMusikWelten".
Von Heiner Schultz
Glänzt auch an zwei Mikrofonen: Kadri Voorand. Foto: Schultz
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LICH. Zweiter amtlicher Höhepunkt der vierteiligen Licher Reihe "SommerMusikWelten" war das Konzert von Kadri Voorand und Mihkel Mälgand. Die Sängerin, Pianistin und Multiinstrumentalistin und ihr Bassist versetzten das Publikum im Kulturzentrum Bezalel-Synagoge mit einem wahren Klang-Tsunami in einhellige Begeisterung.
Die 33-jährige Estin reiste für dieses Konzert eigens aus Tallinn nach Lich. Sie ist auch in ihrer Heimat höchst erfolgreich und gewann kürzlich bei den "Estonian Music Awards" den Preis als bester weiblicher Künstler und für das beste Jazzalbum. Auch als Produzentin wurde sie ausgezeichnet. Komplettiert wird ihre Musik live von dem hochsensiblen Topbassisten Mihkel Mälgand. "Ich bin tierisch glücklich, heute hier zu sein", verkündet Voorand, und man glaubt es ihr sofort, so sehr strahlt sie dabei. Denn die Sängerin spielt nicht einfach ihre Musik, sondern lässt das Publikum einfach am gemeinsamen Abend teilhaben. Neben dem Flügel hat sie auf einem Tisch allerlei Elektronik und ein paar Requisiten aufgebaut, sie singt abwechselnd in zwei Mikrofone.
Alleine im Chor
Und gleich zu Beginn lässt sie mit ein paar satten Akkorden Jazz, Rock und Pop zu einem besonderen Klang verschwimmen. Zugleich fällt ihre quirlige Gesangsarbeit auf. Voorand hat einen enormen Stimmumfang, durch den sie mit blitzartiger Geschwindigkeit sausen kann. Allerlei elektronische Effekte ergänzen ihr Vokalspektrum. Ein Looper ermöglicht Doppelungen, mit denen sie im Nu - Voorand hat das perfekt drauf - attraktive Chöre einsingt, mit denen sie sich dann selbst begleitet. Sie singt, haucht oder atmet zuweilen in atemberaubender Geschwindigkeit ins Mikro. Zu den Chören fügt sie manchmal elektronische Effekte hinzu. Das ergibt dann einen aufregenden, schillernden Gesamtklang, der optimal zu ihrer Stimme passt. Es wirkt nicht künstlich, sondern nur passend. Voorand bedient die Geräte traumwandlerisch sicher, auch während sie singt. Es ist Teil ihrer Performance. Ihr Tontechniker lässt dieses Klanggebilde in der Synagoge kristallklar und naturrein aus den Lautsprechern kommen, ein Hochgenuss, bei dem man keine Ohrstöpsel braucht.
Typisch für die Estin ist die Mischung aus Moderation und Gesang, zuweilen erzählt sie auch beim Singen kleine Geschichten oder teilt ihre Gedanken mit. "Wenn die Musik spielt, können wir uns einfach verstecken und alles vergessen", sagt sie. Ihre Songs sind dabei ganz schön kompliziert. In einem Lied spielt sie drei verschiedene Personen, einen "schönen saftigen Apfel, einen dummen Mann und die andere Frau". Dabei fügt Mälgand mit dem gestrichenen Bass obertonartige, effektähnliche Sounds ein, wenn er nicht gerade das Spektrum nach unten kongenial abrundet oder Kontraste setzt. Er komplettiert das Klangphänomen Voorand auf eine vollkommen einleuchtende, eigenständige Weise. Der Apfel erschließt sich musikalisch nicht so ganz, der dumme Mann auch nicht, aber die andere Frau ist - nach Voorands Mienenspiel zu urteilen - eine sehr temperamentvolle bis hysterische Person. Zwischendurch wird Rock gespielt, wuchtig.
Ein erstes Glanzlicht des Konzerts ist "What if I did kill you". "Ein sehr positiver Song", sagt Voorand und nimmt auch die Geige zu Hand. Der Bass schmilzt hochtönend dazu - ein Genuss. Es gibt einen Riesenbeifall, schon vom ersten Titel an. Zwar hat sie kaum jemand schon mal gesehen, aber alle haben sie sofort verstanden. Einen tollen neuen Song stellt die Sängerin vor, "Le t me be me", noch ganz frisch. "Er ist noch nicht ganz fertig, glaube ich", sagte sie. Das nächste Glanzlicht ist ihre Bearbeitung eines Michael-Jackson-Titels: "They don't care about us". Im Intro ertönt ein eingängig rockiges Fundament, aber dann zerbröselt der Song schön jazzig und Voorand fügt hinreißende nicht-textliche Vokalpassagen hinzu. Der Saal groovt wohlig mit.
Witzig ist ihr Stück "I have to stop eating Chocolate" mit dem knackigen Zusatz "Ice cream ain't a friend". Für die Einführung sorgt ein effektvoller Stereochor, dann führt Kadri Voorand den Kampf um die schlanke Linie kontrastreich vor, dem Augenschein nach hat sie ihn aber gewonnen. Auch bei der Synthese, man möchte sagen, sämtlicher zur Verfügung stehender Mittel, die sie mit fröhlicher Leidenschaft stimmig bewerkstelligt, hat sie alles im Griff. Das ist also das Kadri-Voorand-Erlebnis.
Der allerstärkste Titel des Abends ist zugleich der ihres aktuellen Albums, "Armupurjus", gewidmet dem "größten lebenden Poeten" aus Estland. Kadri Voorand hüpft auf ihrem Hocker herum ("I'm drunk from love") und lässt einen druckvollen Song vom Stapel, der noch einmal all ihre Qualitäten zur Geltung bringt: eine rhythmische, unerhört schöne Synthese aus Jazz Pop, und Rock, der sich kein Zuhörer entziehen kann. Oder will. Diese Frau ist eine Naturgewalt.