Dienstag,
03.12.2019 - 07:20
4 min
Genossen im Kreis Gießen pro GroKo
Von Volker Böhm

Das Mitgliedervotum ist vorbei, die Zukunft wird zeigen, ob das neue Vorsitzendenduo der SPD gut tut. Foto: dpa
KREIS GIESSEN - "Überraschend war das Ergebnis allemal", meinte ein prominenter SPD-Vertreter aus dem Landkreis, während sich ein anderer "nicht überrascht" zeigte. Nach einem langen Entscheidungsprozess hat die Bundes-SPD ein neues Vorsitzendenduo. Die Zustimmung beim Parteitag am kommenden Wochenende dürfte für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans nur noch Formsache sein. Aber was bedeutet das neue Spitzen-Team für die Partei? Und was wird aus der Großen Koalition? Der Anzeiger hat nachgefragt.
"Nicht überrascht" zeigte sich SPD-Unterbezirksvorsitzender Matthias Körner. Er sei eher darüber überrascht, dass die Kommentatoren der Hauptstadtpresse das Ergebnis überraschend finden. Auf diese Debatte über Qualifikationen und Kompetenzen dürfe sich die SPD nicht einlassen. Körner entschied sich für Esken/Walter-Borjans "aus dem Gefühl heraus, dass die Partei aus der Selbstbestätigungsschleife raus muss". Es funktioniere nicht zu glauben, wenn die SPD Politik für ihre Klientel machen, dass dies der Partei helfe. "Wenn man politisch etwas erreichen will, geht das nur in solchen Bündnissen", meinte er zur großen Koalition. Entscheidungen wie die Grundrente böten "wenig Anlass, um unglücklich zu sein". "Nur aus dem Gefühl heraus, dass die Opposition besser ist, sollte man die GroKo nicht beenden."
Zu dieser Frage zitierte der Staufenberger Bürgermeister Peter Gefeller den früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering: "Opposition ist Mist". Der Koalitionsvertrag müsste nachjustiert werden, insbesondere beim Klimapaket. In den zwei Jahren sei viel "mit SPD-Handschrift" erreicht worden, so das Gute-Kita-Gesetz oder die Regelung, dass das Schonvermögen von Kindern pflegebedürftiger Eltern auf 100 000 Euro angehoben wird. Gefeller wollte nicht sagen, wen er gewählt hat, hofft aber, dass es eine gute Wahl ist. "Das neue Führungsduo muss die Partei nach innen und außen einen. Dies gelingt am besten mit einem klaren Konzept, das Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft gibt, ohne die Werte der Sozialdemokratie zu vernachlässigen." Die Partei müsse "endlich wieder geschlossen hinter ihrer Führung stehen. Die öffentlichen Querschüsse müssen aufhören".
Der Fernwalder Bürgermeister Stefan Bechthold fand das Ergebnis "überraschend", den das Duo Scholz/Geywitz habe die Favoritenrolle gehabt. Und jetzt? "Unsere Partei braucht wieder Gesichter und Persönlichkeiten. Eine klare Konzentration auf unsere Kernthemen und diese klar und deutlich formulieren und kommunizieren", meinte Bechthold. Wichtig sei "ein Zeichen der Geschlossenheit". Die GroKo "sollte auf jeden Fall fortgesetzt werden, denn es gibt keinen erkennbaren Grund, sie zu beenden". Verbesserungen für die Bürger habe die SPD eingebracht.
"Ich hoffe, dass die neuen Vorsitzenden es schaffen, die Parteiarbeit mehr in den Vordergrund zu bringen", erklärte die SPD-Fraktionsvorsitzende im Kreistag, Dr. Melanie Haubrich. Es dürfe nicht der Koalitionskompromiss als eigene Meinung verkauft werden. "Ich erwarte vom neuen Führungsduo - unbeeindruckt von vermeintlichen Sachzwängen -, der Partei wieder ein sichtbares sozialdemokratisches Profil zu geben und dabei nicht immer die Große Koalition mitzudenken." Haubrich war gegen die GroKo, findet aber nicht, dass man sie jetzt beenden sollte, denn "die Bilanz ist eigentlich gut". Von der Führungsebene fordert sie, "das Störfeuer zu unterlassen und als Team zusammenzuarbeiten".
"Hartes Stück Arbeit"
Der Wettenberger Bürgermeister Thomas Brunner hatte für das neue Duo gestimmt und findet das Ergebnis "erstmal positiv". Der jetzt erforderliche Neustart sei ein "hartes Stück Arbeit". Mit der Entscheidung für eine "etwas linkere Ausrichtung" sollten auch Änderungen bei der GroKo angestoßen werden. Diese müsse nicht unbedingt beendet werden, zumal Kanzlerin Angela Merkel und die CDU daran auch kein Interesse hätten. "Aber an der einen oder anderen Stelle sind Korrekturen nötig und möglich."
Landrätin Anita Schneider erwartet von den neuen Vorsitzenden "eine hohe Integrationsleistung. Ein inhaltlicher Diskurs ist nötig, damit das neue Führungsduo die Akzeptanz der Basis hat." Die Neuaufstellung der Partei sollte nicht von Koalitionen abhängig gemacht werden. Parteiarbeit bedeute noch sehr viel mehr. Es müssten eigene Ziele erarbeitet werden, um den Menschen klar zu machen, für was die SPD steht. "Ich wünsche mir ein neues Narrativ, das deutlich macht, warum man die Sozialdemokratie für die Herausforderungen unserer Zeit und der Zukunft braucht."
"Ob das eine gute Wahl war, weiß man erst in ein paar Monaten oder Jahren", erklärte der Licher Bürgermeister Bernd Klein. Nun sei es wichtig, dass wieder Ruhe einkehre. "Wir brauchen Geschlossenheit." Die SPD müsse klären, was ihre gesellschaftspolitischen Ziele seien und wie man die umsetzen könne. Und die GroKo? "Was ist denn die Alternative? Für eine linke Mehrheit gibt es keine Mehrheit. Wenn man SPD-Werte umsetzen will, geht das nur in der GroKo und da geht nicht alles." Die Bilanz sei "nicht schlecht. Aber wir reden uns unsere eigenen Erfolge immer klein".