Jahrhunderte altes Arbeitsbuch im Grünberger Stadtarchiv
Das von einem Frankfurter Kupferstechers angefertigte Dokument landete einst in Grünberg - und bietet nun der Forschung reichhaltige Einblicke in eine lange vergangene Zeit.
Von hgs
Einblicke in die Frankfurter Stadtgeschichte: Holger Th. Gräf, Frank Ide, Mareike Söhngen-Haffer und Ekart Rittmannsperger mit dem Geschäftsbuch von Johann Philipp Thelott (von links). Foto: Schuette
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
GRÜNBERG - Die Stadt Frankfurt entwickelte sich im 17. Jahrhundert zu einem bedeutenden Verlagsstandort. Nun wurde im Grünberger Stadtarchiv ein bedeutendes zeitgeschichtliches Dokument vorgestellt, dass der Forschung zahlreiche Erkenntnisse aus der nahen Metropole vermittelt und zudem ein bedeutendes Stück Lokalgeschichte erzählt.
Geschäftsunterlagen von Druckern, Künstlern und Verlegern aus dem 17. Jahrhundert sind äußerst selten. Selbst für die bekanntesten damaligen Vertreter der Frankfurter Verlags- und Kunstszene, den Merians, ist im Nachgang zum Dreißigjährigen Krieg so gut wie nichts überliefert. So galt das 17. als das "tote Jahrhundert" der deutschen Malerei.
Anders stellt sich die Situation in der Grafik dar, denn mit Ulrich Franckh, Rudolf Meyer und vor allem mit Matthäus Merian d. Ä. erlebte sie in der Stadt am Main eine Blütezeit. Dieser Aufschwung war nicht zuletzt den großen druckgrafischen Werken Merians und seiner Erben zu verdanken. Die Bedeutung Frankfurts als Buchhandels- und Verlagsstadt des 16. und 17. Jahrhunderts korrespondierte mit seiner zentralen Rolle in den Netzwerken der Kupferstecher, der Gold- und Silberschmiede sowie der Drucker, Buchhändler und Verleger. Im Gegensatz zu vielen anderen Städten erholte sich Frankfurt durch den Zuzug fremder Verleger und Drucker vergleichsweise rasch von den verheerenden Kriegsfolgen und wurde bald die erste deutsche Buchhandels- und Druckerstadt.
Nun ist ein historisches Dokument in den Fokus der Forschung geraten, wie es vielleicht kein zweites Mal erhalten geblieben ist: das fragmentarisch überlieferte Arbeitsbuch des von 1664 bis zu seinem Tod in Frankfurt lebenden Kupferstechers Johann Philipp Thelott (1639-1671). Die Forschung zur Buchhandelsgeschichte musste sich bislang nicht nur für Frankfurt in erster Linie auf Erlasse und Verordnungen der kaiserlichen Institutionen stützen. Private Dokumente und Geschäftsunterlagen sind hingegen kaum überliefert. Thelotts Geschäftsbuch kam nach dessen Tod auf bislang unbekanntem Weg nach Grünberg und wurde von 1675 bis 1762 als Zunftbuch der Bäcker weitergeführt, weil darin rund 200 kostbare Seiten leer geblieben waren. Als solches blieb es im Stadtarchiv bis auf den heutigen Tag erhalten und wurde für die Grünberger Geschichte auch bereits mehrfach genutzt. Der Wert des Fragmentes für die kunst- und kulturgeschichtliche Forschung im weitesten Sinne blieb jedoch unerkannt.
Ekart Rittmannsperger, ein ausgewiesener Kenner der Geschichte Grünbergs, ist es zu verdanken, dass er das Buch Prof. Holger Th. Gräf vom Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde zur Begutachtung vorgelegt hat, der seine Bedeutung erkannte und es nun der Öffentlichkeit vorstellte. Das Arbeitsbuch umfasst ein Register mit 91 Namen von Buchhändlern und Verlegern aus der Reichsstadt, aber auch von Gold- und Silberschmieden, Patriziern, Adligen und Kaufleuten, für die Thelott Porträtstiche und Buchillustrationen anfertigte. Sie waren meist in Frankfurt, aber auch in Kopenhagen, Jena, Genf, München und Straßburg ansässig. Es folgen einige Seiten mit tabellarischen Aufzeichnungen zu den einzelnen "Kundenkonten". Notiert wurden neben dem Datum des Auftrags das Werk selber, dessen Preis sowie das Datum und die Art der Bezahlung. Bei einer Laufzeit von der Ostermesse 1666 bis zum 19. Februar 1670 werden darin 28 Aufträge genannt, die insgesamt 67 Porträtstiche, aber auch eine "Zeichnung von der Stadt Cantia" (heute Heraklion auf Kreta), zwei Landkarten, das Straßburger Münster und anderes mehr umfassen.
Geklärt wurde bereits die Identität des Autors. Johann Philipp Thelott entstammte einer in den 1560ern aus den Niederlanden zugewanderten Exilantenfamilie, die zahlreiche Goldschmiede und Künstler hervorbrachte. Bedeutsam war die erste Ehe von Thelotts Vater mit Veronica Stenglin (1604-1674). Sie war die Schwester des nachmaligen Frankfurter Syndicusses Dr. Zacharias Stenglin (1604-1674), der auch als ein Pate Johann Philipps fungierte. Dieser dürfte für sein Patenkind die Türen in Frankfurt geöffnet haben, stand er doch mit führenden Kreisen in Kontakt. Dort rekrutierten sich die meisten Auftraggeber Thelotts für die mittlerweile recherchierten rund 50 Porträtstiche. Sie reichen von dem englischen Residenten Wilhelm Curtis über den Frankfurter Patrizier Uffstainer bis hin zum Kieler Theologen Christian Kortholt. Zudem lieferte Thelott unter anderem zahlreiche Illustrationen für theologische, naturwissenschaftliche und literarische Werke, unter deren Namen Matthäus Merian d. J. auftaucht. Wie von anderen Kupferstechern bekannt, arbeitete Thelott zudem als Silber- und Goldschmied, stach Wappen auf silberne Becher und Kalendereinbände, fertigte kostbare Knöpfe und Namensschilder für Kirchenstühle und dergleichen mehr.
Historiker Gräf bereitet gegenwärtig eine Edition dieser außergewöhnlichen Quelle vor uns stellte im Grünberger Stadtarchiv im Beisein der Stadtarchivarin Mareike Söhngen-Haffer und Bürgermeister Frank Ide das Geschäftsbuch Thelotts sowie weitere historische Quellenunterlagen vor. Die Edition werde eine große Bereicherung für die Kenntnisse über die Geschichte des Buchhandels und des Verlagswesens im 17. Jahrhundert darstellen, freut sich der Historiker. Darüber hinaus kann daran die Rolle Frankfurts als künstlerisches und intellektuelles Zentrum nach dem Dreißigjährigen Krieg deutlich gemacht werden.