Lehrergewerkschaft kritisiert fehlendes Wechselmodell ab erster Klasse
Den Infektionsschutz hochhalten, aber gleichzeitig nicht die Eltern überlasten, das will der Landkreis erreichen. Kritik an fehlenden mobilen Endgeräten wehrt man indes ab.
Sollten auch jüngere Schüler wieder teilweise in den Distanzunterricht? Der Landkreis spricht dagegen. Symbolbild: dpa
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KREIS GIESSEN - Kreis Gießen (red/jem). Die Gießener Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) begrüßt in einer Pressemitteilung die Entscheidung von Landrätin Anita Schneider, in den Wechselbetrieb überzugehen und somit das Risiko der Übertragung des Coronavirus in Schulen zu reduzieren. "Schüler, Eltern und Lehrkräfte können auf diese Weise besser geschützt werden. Es kann hoffentlich noch vermieden werden, dass weitere Schulen ganz schließen müssen. Dass der Landkreis die Einführung des Wechselmodells für die Jahrgangsstufen eins bis sechs verpasst hat, kritisieren wir scharf", erklären Susanne Arends, Nina Heidt-Sommer und Oliver Klein als Vorsitzende im Team der Gießener GEW.
Stück Sicherheit
"Wir sind nicht in den Wechselbetrieb übergegangen", sagt dazu Schuldezernentin Dr. Christiane Schmahl. In der Allgemeinverfügung des Landkreises wird ein Abstandsgebot ab der siebten Klasse eingeführt. Wenn Schulen dies nicht erfüllen können, geht diese in den digitalen Distanzunterricht. Kinder bis zur sechsten Klasse müssen allerdings beaufsichtigt werden. "Hier ist zwischen unterschiedlichen Interessen abzuwägen: dem Interesse, den Infektionsschutz zu vergrößern, und dem Interesse der Eltern, Ihrer Arbeit nachzugehen." Schon jetzt seien Eltern sehr belastet. Nicht jeder könne von zuhause arbeiten.
"Weiter gibt es ein Interesse der Kinder und hier gerade der jüngeren, Bildungsverluste zu vermeiden. Es ist eben nicht so einfach, ohne Lehrer am PC lesen und schreiben zu lernen." Das Kultusministerium treffe hier eine ähnliche Abwägung wie der Landkreis und fordert dazu auf, bei den Jahrgängen eins bis sechs besonders streng zu urteilen, ob ein Wechselmodell gefahren werden soll, so Schmahl weiter. Hinzu komme, dass es deutlich weniger nachgewiesene Infektionen in den Klassen eins bis sechs an Schulen gebe als in den späteren Jahrgängen.
Auch der Kreisschulrat Gießen hat eine geteilte Meinung zum Wechselbetrieb. In einer Pressemitteilung heißt es, dass es schon in der Vergangenheit ein sehr heikles Thema war. Einige Schüler hatten noch keinen Account im Server ihrer Schule, andere hatten keinen Computer, auf dem längere Texte geschrieben werden konnten, so Kreisschulsprecher Christoph Bonarius. Nach den neuesten Entwicklungen im Infektionsgeschehen gingen aber einige Schüler nur noch mit einem sehr schlechten Gefühl und teilweise Angst, ihre Familie zu infizieren, in die Schule. "Wir begrüßen grundsätzlich die Umstellung zum Wechselbetrieb, da das die einzige Möglichkeit ist in der aktuellen Infektionslage, den Schülern ein Stück mehr Sicherheit zu gewähren und trotzdem weiterhin beschult zu werden."
Wichtig sei es, dass seitens der Schulen klargestellt werde, wie es ablaufen wird. Jeder muss mitgenommen werden und keiner darf sich überfordert oder alleingelassen fühlen. Wenn jemand mit dem selbstständigen Arbeiten von zu Hause nicht gut klarkomme, müsse diesem eine Hilfestellung geboten werden. Nicht außer Acht lassen dürfe man die Benotung, die auch im Homeschooling stattfinden soll, so Bonarius.
Eine wichtige Voraussetzung dafür ist für die Gießener GEW, dass jeder Schüler ein mobiles Endgerät hat, um online zu lernen. "Viele Kollegen kontaktieren uns und sind fassungslos, weil sie sehen, dass ohnehin schon benachteiligte Kinder bei einer absehbaren zumindest teilweisen Schließung der Schulen noch weiter abgehängt werden."
Unbürokratische Hilfe
Der Landkreis erklärt dazu auf Nachfrage, dass er alle seine Schulen abgefragt hat, wie viel mobile Endgeräte benötigt werden. "Wir haben 1000 iPads und 750 Laptops angeschafft. Den Schulen wurde ein Vertrag geschickt, der den Schülern mitgegeben werden kann. Dieser ist von den Eltern zu unterschreiben und dem Kind wieder mitzugeben. Die Schule sammelt die Verträge, schickt sie an uns und wir machen einen Termin zur Verteilung der Geräte aus." Es müssen keine Verdienstbescheinigungen vorgelegt werden, da man beim Landkreis davon ausgehe, dass Lehrer wissen, welche Kinder in ihrer Klasse bedürftig sind.
"Leider mussten wir feststellen, dass lang nicht so viel Geräte abgeholt wurden, wie vorher gemeldet. Nach einem Mahnschreiben unsererseits meldeten sich einzelne Schulen. Seit die Infektionszahlen angestiegen sind, noch einige. Es kommt immer noch vor, dass das Jobcenter bei uns anruft, weil Eltern im Leistungsbezug nicht wissen, wie sie an die Geräte kommen. Wir helfen dann unbürokratisch weiter. Wir haben noch mehrere hundert Geräte und würden uns wünschen, dass die Lehrer, die hier bezweifeln, dass alle Schüler mit Endgeräten ausgestattet sind, sich darum kümmern würden, dass sie endlich ein Gerät erhalten."
Dass das gut funktionieren kann, würden die Schulen zeigen, die sofort gehandelt haben, wie etwa die Anne-Frank-Schule in Linden, die schon vor den Sommerferien einen großen Ausgabetermin organisierte. "Natürlich weiß ich, dass Lehrer in diesen Zeiten mehr zu tun haben als sonst. Trotzdem müsste es nicht sein, dass auch nur ein Kind im Landkreis wegen eines fehlenden Endgerätes abgehängt wird", so Schmahl. "Wir haben allerdings den Eindruck, dass es auch Lehrer gibt, denen es zu viel ist, sich um das Thema wirklich zu kümmern."