Schriftsteller Feridun Zaimoglu stellte auf Einladung des LZG sein neues Buch im Laubacher Rathaussaal vor.
Von Heiner Schultz
"Es würde mich erschüttern, über meine langweilige Existenz zu schreiben", sagte Ferudin Zaimoglu im Gespräch mit LZG-Moderatorin Anna-Lena Heidt. Foto: Schultz
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LAUBACH - Bestseller-Autor Feridun Zaimoglu kam am Mittwochabend als Gast des Literarischen Zentrums Gießen (LZG) zur Lesung in den Rathaussaal nach Laubach. Mitgebracht hatte er sein aktuelles Buch "Die Geschichte der Frau". Und die Lesung entpuppte sich als hochspannende Angelegenheit, der Autor als positiv schillernde Person.
"Es kommen zehn mehr oder weniger bekannte Frauen zu Wort, vom Zeitalter der Heroen bis zur Gegenwart, von der Fabrikantentochter bis zur Küchenmagd, eine Trümmerfrau im zerbombten Kiel und die Frau, die in 1968 einen Mordversuch an Andy Warhol verübte, Valerie Solanas" leitete Moderatorin Anna-Lena Heidt ein. "Die Zeitspanne der Ich-Erzählungen ist ja ungeheuer, können Sie ein bisschen dazu erzählen?", forderte die LZG-Geschäftsführerin den Gast auf.
"Ich dachte immer, dass man mit der deutschen Sprachmacht mit seinem Geschlecht brechen kann - auf dem Papier. Das ist überhaupt der Grund für mich, Bücher zu schreiben. Es würde mich erschüttern, über meine langweilige Existenz zu schreiben." Er schreibe auch keine "Viagra-Literatur", Marke "junge Frau liebt älteren Mann" - "diese Lächerlichkeit möchte ich mir ersparen. Und so habe er sich diesmal auf Frauen der Fantasie und kulturstiftende Frauen konzentriert, "die einen Einfluss auf die westliche Denkart hatten." Sein Prinzip sei es, "nicht, die Geschichte der Frau zu erzählen, sondern sie selbst erzählen zu lassen." Dazu habe er "hart recherchiert" und etwa für "Loreley" eine Kunstsprache "für die düstere deutsche Romantik" geschaffen, in der die Küchenmagd berichtet.
Das klang anschließend sehr beeindruckend, denn Zaimoglu sprach nicht nur mit perfektem Timing, er vermochte auch den Dialogen verschiedene Stimmen und Stimmungen zu verleihen. Das schuf ein lebhaftes Szenarium und verdeutlichte die spezielle, unvertraute Sprache, die er verwandte.
Ein für den in Kiel lebenden Zaimoglu wichtiger Aspekt ist das Selbstbewusstsein der Frau: "Der Herr soll selbst denken, bevor er spricht", denkt sich Loreley, und "An seinen Zähnen bleiben Lügen haften". Deutlicher sah man einen Lügner selten vor dem geistigen Auge. Zaimoglu wolle Geschichten schreiben, auch parteiisch, in denen die, über die sonst geschrieben werde, selbst sprechen. Das habe zu "harscher Kritik und mehr geführt, weil ich es wagte, über die Demütigungen zu schreiben: Das waren Hinrichtungen", sagte er über seine Rezensenten. "Aber mich freut es, wenn ich sie ärgere."
Zu seiner Identifizierung mit der Figur des Abschlusskapitels sagte er: "Ich will Valerie Solanas sein". Die verübte 1968 einen Mordanschlag auf Andy Warhol, den er überlebte. Sie begegnet im Buch einem kranken alten Mann auf einer Bank im New Yorker Park, dem sie für sechs Dollar eine Stunde riskanter Gesellschaft anbietet: "Ich bin die Frau der hundert Krisen." Auch hier spielen paradoxe Sprüche eine große Rolle, Valerie beurteilt den Alten sehr hart. Überhaupt fühlt sie sich von der Welt belästigt, von der "Müllmusik und dem Maulmüll". Cool fragt sie den Alten am Ende: "Schreckt Sie meine Horrorstory?" Für die Feministin ist "der Mann das Luder der Natur, ein bekleidetes Nichts". Man kann sich Solanas nach diesen intensiven Zeilen Zaimoglus gut vorstellen, möchte aber dennoch nicht einfach ihre Bekanntschaft machen.
Warum keine aktuelleren Themen ins Buch fanden, ob die modernen Frauen sich wohl selbst schon geäußert hätten, fragte Moderatorin Heidt. "Stimmt, so sei es", sagte Zaimoglu. "Ich wollte mit einem Tusch aufhören." Riesenbeifall für eine exquisite, inspirierende und in jeder Hinsicht überraschende Lesung.