Empfehlung: "Klartext reden!"

(ee). "Ich bewundere die moderne Technik. Auf der anderen Seite komme ich ja aus der analogen Welt und für mich geht nichts über Veranstaltungen live und in Farbe. Hier, so...

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LINDEN. "Ich bewundere die moderne Technik. Auf der anderen Seite komme ich ja aus der analogen Welt und für mich geht nichts über Veranstaltungen live und in Farbe. Hier, so online, frage ich mich, sind denn noch alle da? Sind welche eingeschlafen?" Mit diesen Worten begrüßte Wolfgang Bosbach jene 75 Teilnehmer des 28. Neujahrstreffs der Lindener CDU. Nicht wie bei den 27 vorausgegangenen Veranstaltungen der Sitzungssaal der Lindener Ratsstuben, sondern das Wohnzimmer des ehemaligen stellvertretenden CDU-Fraktionschefs im Deutschen Bundestag in Bergisch-Gladbach stand im Mittelpunkt des erstmals online durchgeführten Neujahrstreffs. Bereits zum dritten Mal war der wohl populärste CDU-Politik-Ruheständler bei der Lindener CDU zu Gast - und bot eine halbstündige Klartext-Ansprache mit anschließender Diskussion. Stadtverbandsvorsitzender Norbert Arnold und Fabian Wedemann als Spitzenkandidat für die anstehende Kommunalwahl hatten Bosbach begrüßt. Dieser stimmte sogleich zu Beginn ein Loblied auf die Kommunalpolitik an. "Politik beginnt auf kommunaler Ebene. Ich war 24 Jahre in der Kommunalpolitik und 23 Jahre im Bundestag. Die Kommunalpolitik ist dabei die beste Schule, die man haben kann. Deshalb drücke ich für ein gutes Wahlergebnis alle verfügbaren Daumen".

Auch wenn es derzeit nicht möglich sei, auf einem Marktplatz einen Sonnenschirm aufzuspannen und Kugelschreiber und Luftballons zu verteilen, so gehe doch das Wichtigste nicht verloren. Denn: "Das Beste was wir haben, ist ein gutes Argument", wandte sich Bosbach an die Teilnehmer. "Seit elf Monaten hat Corona unser Land und die politische Debatte fest im Griff. Für das, was gut läuft, sind immer alle verantwortlich. Für das, was schlecht läuft, sind es meistens die anderen.

Und dadurch verliert man Vertrauen in die Politik", beklagte Bosbach das Pandemie-und Impfstoff-Management in Deutschland und ging auf das bereits in den Jahren 2007 und 2013 in länderübergreifenden Übungen durchgeführte Bedrohungsszenario ein.

"Unabhängiger werden"

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"Was damals geschrieben wurde, ist sehr nah an der Realität. Was haben wir daraus gelernt? Wir müssen selbständiger und unabhängiger werden. Etwa von Lieferketten. Das gilt für medizinischen Bedarf, Brillen und Schutzkleidung. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Produkte irgendwo in der Welt hergestellt werden und nach Deutschland kommen, wenn wir sie brauchen".

Was zu tun sei, lieferte Bosbach umgehend: Das Land müsse sich insbesondere im Bereich der Gefahrenabwehr mehr auf sich selbst verlasen können und benötige eine Bevorratung.

Beispiel Schweinegrippe

Zur Entschuldigung des aktuellen Impfdesasters erinnerte Bosbach an die Schweinegrippe, als über 200 Millionen Euro Impfdosen gekauft und diese dann wieder vernichtet wurden und die Länder - nicht der Bund - seinerzeit die Kosten dafür tragen mußten. "Da haben einige wohl gedacht, weshalb sollen wir jetzt wieder die Zeche bezahlen". Wenn eine große Industrienation wie Deutschland beim Thema Impfen weit hinter USA, Großbritannien und dem Impf-Weltmeister Israel hinterherhinke, dann müsse zu Recht die Frage gestellt werden, ob es richtig war, sich auf die Beschaffung der EU zu verlassen.

Da werde monatelang über den Preis verhandelt, beklagte Bosbach, ohne dass die Kosten des Lockdowns gegenübergestellt würden. Diese seien mit Sicherheit höher "als das, was die Impfdosen nun gekostet haben".

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"Es gibt viele Menschen, die zweifeln nicht an Corona, die fragen nach Verhältnismäßigkeit, ob denn jede Maßnahme notwendig ist. Wie kann ich wirtschaftlich überleben? Es ist in der Wahrnehmung ein Unterschied, ob das Gehalt jeden Monat kommt oder ob ich wirtschaftlich am Abgrund stehe. Die Novemberhilfen heißen Novemberhilfen, weil sie im November ausgezahlt werden sollten und nicht im Februar und März", so der CDU-Politiker. Neben den boomenden Branchen wie Onlinehandel und Lebensmittelhandel gebe es da Bereiche wie Messebau, Gastronomie und Hotellerie, die nicht mehr wissen, ob sie den März erreichen.

"Politische Zahl 50"

"Wir werden uns Branche für Branche sehr genau ansehen müssen und brauchen einen Plan für danach, für den großen Bereich Kitas, Schulen und Universitäten. Vielleicht werden wir mit dem Virus leben müssen, nicht mit den hohen Inzidenzzahlen", ging Bosbach auf die "politische Zahl" eines Inzidenzwertes von 50 ein.

Zur Lage seiner Partei machte Bosbach deutlich: "Die CDU liegt bei 35 oder 36 Prozent. Ein relativ guter Wert. Vor einem Jahr lagen wir darunter. Krisenzeiten sind Zeiten der Exekutive. Es wird nicht nur Kritik, sondern auch Vertrauen entgegengebracht. Es wird aber auch schwierig, diese Werte zu halten in einer Zeit, wo über das Ende der Volkspartei fabuliert wird. Wenn Du 15 und 16 Prozent wie die SPD hast, dann kannst du dich nicht Volkspartei nennen." Doch auch die CDU werde keine absolute Mehrheit erhalten. "Also wird es Koalitionen geben. Da muss man Kompromisse machen. Die Menschen möchten nicht wissen, wo die CDU Koalitionen machen muss, sondern wofür die Union steht und was mit ihr nicht zu machen ist." Seine Empfehlung an die Kommunalpolitiker vor Ort: "Klartext reden!"

Zum von Hessens CDU-Generalsekretär Manfred Penz verwendeten Ausdruck "Merz-Dschihadisten", sagte Merz-Freund Bosbach: "Sollte das Zitat stimmen, so hätte ich dafür kein Verständnis. Es erfüllt den Tatbestand des groben Unfugs."

Malke Aydin (Pohlheim) fragte nach den versprochenen Wirtschaftshilfen, die bis heute nicht angekommen seien. "Wie wollen wir unsere Wirtschaft retten, wenn Betriebe geschlossen werden, aber versprochene Hilfen nicht ankommen?" Bosbach räumte ein, dass dies seit Monaten ein Dauerbrenner sei. Jedem einzelnen Antrag sollte nachgegangen werden. Weshalb man sich aber die Daten nicht über die Finanzverwaltung der Länder besorgt hätte, die über alle Daten verfügten, könne er nicht nachvollziehen.