Vorklassen in Limburg-Weilburg: Was Kinder dort lernen

"Sp" schreiben - das ist schon was für Fortgeschrittene. "Sp" steht für Spaß. Vielleicht aber auch für Spannung. Schon die ersten Jahre in der Grundschule können die Kindern richtig stressen, wenn sie nicht die Reife haben. In solchen Fällen greift die Vorschule mit eigenen Konzepten.  Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Kleine Klassen, kein Leistungsdruck: Immer mehr Kinder brauchen den besonderen Einstieg in die Schule. Und damit eine eigene Pädagogik.

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LIMBURG-WEILBURG. Manchmal fehlen vor allem die Deutschkenntnisse. Manchmal ist das Kind insgesamt in seiner Entwicklung verzögert. So verzögert, dass die erste Klasse eine große Herausforderung wäre. Für diese Kinder gibt es in Hessen Vorklassen, im Landkreis Limburg-Weilburg sind es insgesamt zehn. Eine davon unterrichtet Miriam König an der Atzelschule in Bad Camberg.

Kleine Klassen, kein Leistungsdruck, genug Zeit für jedes einzelne Kind und eine Lehrerin, die sagt, Schule sei ein Ort, an dem Kinder spielen, lachen und lernen können. Das klingt nach Traumschule. Ist es manchmal auch, aber manchmal sei es eine Herausforderung, sagt Miriam König. Auch für die Lehrerin. Zu ihr kommen die Kinder, die zwar schulpflichtig, aber noch nicht schulreif sind. Besondere Kinder, die "ein Päckchen zu tragen haben", entwicklungsverzögert sind oder schlicht und einfach nicht genug Deutsch können, um den Schulalltag in der ersten Klasse meistern zu können. Vorklassen-Kinder. Seit fünf Jahren ist Miriam König Vorklassen-Lehrerin an der Atzelschule in Bad Camberg.

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Zeit, die es in der Grundschule nicht gibt

Eigentlich ist sie gar keine Lehrerin, sie ist gelernte Erzieherin, hat dann Soziale Arbeit studiert und ist nun Fachlehrerin für ganz besondere Kinder. 15 sind es in diesem Jahr in ihrer Klasse, Jungs und Mädchen, die erstmal lernen müssen, wie die Wochentage heißen, wie sie einen Stift halten sollen, dass sie sich melden müssen, wenn sie etwas sagen wollen und dass sie nur in der Pause essen dürfen. 15 Kinder, die erst einmal lernen sollen, dass Schule ein sicherer Ort ist, an dem sie mit ihren Besonderheiten angenommen werden und nicht einfach funktionieren müssen. "Ziel ist, die Kinder mit ihren Entwicklungsproblemen aller Art im geschützten Raum so zu fördern, dass sie nach dem Schuljahr in der Regelklasse mitmachen können", sagt Miriam König. Manchmal klappt es, manchmal nicht.

Wichtig ist vor allem Struktur

Manche Kinder machen große Entwicklungssprünge und lernen den Schulalltag mit seinen Routinen schnell kennen, manche tun sich auch nach ein paar Monaten noch schwer mit den Regeln, der Schere oder den Buchstaben und Zahlen. Für manche Kinder ist schon das Händewaschen eine anspruchsvolle Aufgabe. Wichtig sei vor allem Struktur, sagt Miriam König. Deshalb gibt es in ihrer Klasse jede Menge Rituale. Das fängt schon morgens an, mit dem Begrüßungslied, Zebra Zorro, das den Kindern zeigt, welcher Wochentag heute ist und dem Blick aufs Wetter. Und natürlich den Wochentags-Rap nicht zu vergessen. Was gerade auf dem Stundenplan steht, zeigt auch Zebra Zorro - mit Bildkarten, auf denen es am Tisch malt, arbeitet oder Zeit zum Spielen hat.

In der Vorklasse gibt es noch jede Menge Zeit zum Spielen, dafür gibt es Lego, Bausteine, Puzzles, Knete oder Bügelperlen, aber auch Memory oder Mensch ärgere dich nicht und natürlich jede Menge Bewegung. Schließlich kann man auch im Spiel viel lernen. "Es ist wichtig, dass die Kinder alle Themen mit allen Sinnen handelnd erleben können", sagt Miriam König. Deshalb steht nicht einfach das A auf dem Plan, sondern auch der Apfel. Dazu gehören natürlich auch Arbeitsblätter, aber auch Experimente und Geschichten, das Fühlen, Schmecken, Schneiden und Backen mit Äpfeln und der Ausflug zu einem Apfelbaum.

Neun Buchstaben in einem Vorklassenjahr

Die Zeit dafür hat eine Grundschullehrerin meistens nicht, Miriam König kann sie sich nehmen. Sie muss nicht einen Buchstaben pro Woche durchnehmen und manchmal auch mal zwei, ihre Kinder müssen die Zahlen nicht innerhalb der ersten paar Wochen können. Ihre Kinder lernen in dem einen Vorklassenjahr etwa neun Buchstaben kennen, die wichtigsten. Da bleibt genug Raum, das A auch mal zu kneten, es ausgiebig nachzuspüren und in den Sand zu schreiben, den Buchstaben zu erfahren. Aber natürlich machen die Kinder auch Anlautübungen, schwingen Silben und schreiben erste Worte. Wer das schon kennt, kann schneller in der ersten Klasse ankommen, kann besser mitarbeiten. Und ist vielleicht nicht mehr so aufgeregt, wenn er in die neue Klasse kommt, mit mehr Kindern, einer anderen Lehrerin und vermutlich weniger Zeit. Wenn sich die Kinder auf die erste Klasse freuen und stolz sind, dass sie schon so viel können, sei das Ziel erreicht, sagt Miriam König.

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Jeder kommt mit seiner eigenen Voraussetzung

Die Kinder kämen alle mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und Kompetenzen in ihre Klasse. Einige haben Probleme im sozialen Bereich, einige im emotionalen, andere im kognitiven, manche in allen. Eines brauchen alle Mädchen und Jungen: Selbstbewusstsein. Aber dafür brauchen sie die Gelegenheit, ihre Stärken aufzubauen, ihre Kompetenzen auszubauen. Nicht nur beim Lernen, sondern auch bei der Übernahme von Aufgaben, zum Beispiel beim Besendienst.

Welche Unterstützung die Kinder noch brauchen, steht im Förderplan. Für jedes Kind schreiben Miriam König und eine Kollegin von einer Förderschule einen Förderplan, ganz individuell. Schließlich hat jedes Kind andere Bedürfnisse - nicht immer unbedingt das Lesen, Schreiben und Rechnen.

Wenn mal gar nichts mehr geht in der Klasse, dann kann Miriam König mit ihren Kindern einfach mal was anderes machen. Etwas aus Salzteig formen zum Beispiel oder kneten. "Wir haben die Zeit, auch mal was Schönes zu machen." Und trotzdem sei es eine Herausforderung, allen Kindern gerecht zu werden, schließlich haben alle einen ganz besonderen Bedarf.

Was ist, wenn ein Kind unbedingt mal raus muss, mal rennen, die anderen 14 aber nicht? In diesem Schuljahr ist das kein Problem, diesmal hat Miriam König Unterstützung von einer FSJlerin, wenigstens für ein paar Stunden. "Das ist ein Traum", sagt sie. Jetzt sei auch mal jemand da, der mit zum Händewaschen gehen kann oder beim Anziehen hilft. "Die Kinder brauchen eine Hand, die sie führt." Je mehr Hände, desto besser. "Die Kinder, die zu mir kommen, brauchen mehr", sagt Miriam König. Mehr Lob, mehr Zuwendung, mehr Förderung.

Von Sabine Rauch