Flüchtling Ahmad Zia Ziaee verfasst seine Lebenserinnerungen...
Vor vier Jahren flüchtet Ahmad Zia Ziaee aus seiner Heimat Iran nach Deutschland. Seither lebt er in Mengerskirchen und hat damit begonnen, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben.
MENGERSKIRCHEN. "Mein Name ist Ahmad Zia Ziaee, afghanischer Staatsangehöriger, dem Volk der Tadschiken und sunnitisch-islamischer Religion zugehörig. Ich bin im Dorf Qalache Zaiudin in der Provinz Logar geboren. Im Alter von zwei Jahren hatten meine Eltern mit meinen drei älteren Geschwistern und mir das Land Afghanistan verlassen müssen."
So beginnen die Aufzeichnungen von Ahmad Zia Ziaee, der vor vier Jahren als Asylsuchender nach Deutschland kam. Der heute 20-Jährige spricht inzwischen nicht nur sehr gut Deutsch, er hält auch die Erinnerungen an sein noch junges, aber schon sehr bewegtes Leben schriftlich in deutscher Sprache fest. "Ich hatte schon länger die Idee, alles aufzuschreiben, bevor ich es vergesse", erklärt er.
Flucht und Beginn eines neuen Lebens erlebt Ahmad Zia Ziaee gleich zweimal. Als er zwei Jahre alt ist, flüchtet seine Familie von Afghanistan in den Iran. Sein Vater ist Lehrer und hat auch Mädchen unterrichtet. Das nehmen die Taliban zum Anlass, die Familie zu bedrohen, die keine andere Möglichkeit sieht, als ihre Heimat zu verlassen.
Mit 16 Jahren macht sich Ahmad Zia Ziaee ein zweites Mal auf den Weg in ein neues, unbekanntes Leben. Dieses Mal allein. In seinen schriftlichen Aufzeichnungen hält er die Gründe dafür fest. Sein älterer Bruder will im Iran die Universität besuchen, benötigt dafür aber Personaldokumente seines Heimatlandes. Er reist nach Afghanistan, gerät jedoch ins Visier der Taliban. Bevor diese ihn verschleppen, flüchtet er nach Kabul und reist zurück in den Iran. Aber auch im Iran wird die Situation für ihn und seinen Bruder mit jedem Tag bedrohlicher.
Eindrucksvoll beschreibt Ahmad Zia Ziaee in seinen Aufzeichnungen die religiösen Unterschiede des Landes. Die Schiiten bilden die größte Religion des Landes, er ist sunnitischen Glaubens. Neben der Schule hilft der gläubige junge Mann unter anderem als Koranlehrer in einer Moschee. "Die Moschee war eigentlich keine Moschee, wie man sie hier in Deutschland kennt, sondern nur ein einfaches Haus." Als Ahmad Zia Ziaee vor den Schulferien gerade Klausuren schreibt, führen sein Vater und sein Onkel eine Unterredung. Der Onkel soll dem Jungen Geld geben, damit er nach Europa reisen kann.
Als 16-Jähriger hat er tausend Gedanken im Kopf. "Ich habe immer gedacht, dass Europa wie ein Paradies ist und man alles machen kann, was man will", hält Ahmad Zia Ziaee Jahre später in seinen Aufzeichnungen fest, was er damals dachte. Inzwischen weiß er längst: Es ist zwar nicht das Paradies, aber man kann vieles erreichen. "Man muss seinen eigenen Weg gehen und am allerwichtigsten: Man muss ein Ziel haben", schreibt er.
Nachdem der 16-Jährige sein Schulzeugnis erhalten hat, steht fest, dass er wenige Tage später das Land verlassen wird. "Das war das geilste Gefühl, das ich jemals hatte", beschreibt der junge Mann seinen Gemütszustand. Doch während seine Eltern aus eigener Erfahrung wissen, wie gefährlich so eine Reise sein kann, hat Ahmed Zia Ziaee keine Ahnung, was ihn erwartet. Vor ihm liegt eine Flucht, die 40 Tage dauern wird.
An dieser Stelle enden vorerst die schriftlichen Aufzeichnungen des jungen Mannes, der heute in Mengerskirchen lebt. Die weitere Geschichte seiner Flucht schildert Ahmad Zia Ziaee in bildhafter Sprache.
Allein, ohne Familie, macht sich der 16-Jährige im Sommer 2015 auf den Weg. "Vom Iran bin ich zu Fuß bis in die Türkei gegangen", sagt er. In Istanbul hat er zwei Wochen Aufenthalt und plant gemeinsam mit einem Freund die Weiterreise in die bulgarische Hauptstadt Sofia. Zwei Mal werden sie an der Grenze zurückgeschickt, beim dritten Mal sind sie erfolgreich. "Anfangs hatte ich nur Europa als Ziel", erinnert sich Ahmed Zia Ziaee. Durch Informationen, die er entlang der Flüchtlingsroute aufschnappt, werden seine Pläne konkreter: Er möchte nach Deutschland.
Von Bulgarien geht es zu Fuß über Serbien nach Ungarn. Ein Kleintransporter bringt ihn schließlich nach Salzburg. Von Österreich aus erreicht der minderjährige Flüchtling am 5. August 2015 Deutschland und wird in Freilassing in ein Camp gebracht. Doch an diesem Ort hält es ihn nicht lange. "Ich wollte unbedingt weiter nach Frankfurt am Main", sagt er und nimmt auf eigene Faust den Zug nach Hessen. Dort meldet er sich bei der Polizei, die ihn in eine Unterkunft nach Sachsenhausen bringt.
Ende November 2015 entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dass Ahmad Zia Ziaee nach Waldernbach in den Hildegardishof kommen soll, eine Gemeinschaftsunterkunft für minderjährige Flüchtlinge. "Bei meiner Ankunft in Deutschland konnte ich kein einziges Wort Deutsch", gesteht der junge Mann, der die Sprache schnell lernen will. Er besucht in Weilburg einen Deutschkurs, schneidet bei einem Test mit "Sehr gut" ab und kann schon bald den Fortgeschrittenenkurs besuchen.
Parallel legt er im Juni 2016 die Prüfungen für den Hauptschulabschluss ab. Für den qualifizierten Hauptschulabschluss stehen Tests in Mathe, Deutsch und Englisch an. "Mathe und Englisch waren für mich einfach, aber bei Deutsch hätte ich nie gedacht, dass ich es schaffe", gesteht Ahmad Zia Ziaee und ist seinen Lehrern und Betreuern dankbar für die tolle Unterstützung. Parallel schnuppert der Schüler ins Berufsleben und absolviert mehrere Praktika. Bei einem Unternehmen in Mengerskirchen ist der Chef überzeugt von den Fähigkeiten des jungen Mannes, will ihn fördern und nimmt ihn sogar als Pflegesohn in seiner Familie auf.
Schüler schnuppert parallel ins Berufsleben
Ahmad Zia Ziaee besucht die Wilhelm-Knapp-Schule und lernt eifrig. Um sich ganz auf die Schule konzentrieren zu können, gibt er sogar das Fußballspielen auf, sein einziges Hobby. 2018 schließt er die 12. Klasse ab, stellt jedoch fest, dass die 13. Klasse und damit das Abitur zu schwer für ihn werden könnten. "Ein Abschluss mit Note 4 kam für mich nicht in Frage", betont der Schüler. Stattdessen will er lieber Fachabitur machen und absolviert ein einjähriges Praktikum bei einem Fensterbauer in Mengerskirchen.
Mittlerweile hat der 20-Jährige neben dem Führerschein und einem kleinen Auto auch ein eigenes Zimmer mit Bad. Ermöglicht hat ihm das eine Lehrerin, die im Jugendhaus in Mengerskirchen Englisch und Mathematik unterrichtet und ihn dort kennengelernt hat. Sie freut sich, als Ahmad Zia Ziaee im Sommer das Fachabitur schafft. Weil er als Flüchtling aber noch nicht anerkannt ist, wird er vorerst nicht studieren. Vielleicht mache er eine Berufsausbildung, erklärt der Fachabiturient.
Erst will er aber einmal arbeiten und Geld verdienen. Seit einigen Wochen hat er einen Job bei einer Firma in Waldernbach. "Mal sehen, wie es dann weitergeht", sagt er und klingt positiv. Schließlich ist es immer irgendwie weitergegangen in seinem noch jungen und doch schon so ereignisreichen Leben.