Verfassungsschutz informiert in Weilburg über „Neue Rechte”

Eine Gruppierung, die der "Neuen Rechten" zuzuordnen ist: die rechtsextreme "Identitäre Bewegung".
© Paul Zinken/dpa

Rechtsextreme sind Nazis mit Glatze und Springerstiefeln? Schon lange nicht mehr. Ein Verfassungsschützer informierte in Weilburg über alte Botschaften, die neu verpackt werden.

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Weilburg. Der Rechtsextremismus ist eine der größten Gefahren für die Demokratie – mitverantwortlich dafür die „Neue Rechte“. Damit ist gemeint: Nicht alle Rechtsextremen sind Nazis, kommen mit Glatze und Springerstiefeln daher – im Gegenteil versuchen sie mittlerweile, ihre alten Botschaften neu zu verpacken. Diese Erkenntnis nahmen die Besucher der Veranstaltung „Neue Rechte – Gefahr für die Demokratie?“ mit, zu der der Kreisverband Oberlahn der Bildungsgewerkschaft GEW in den Komödienbau eingeladen hatte.

„Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal einen Verfassungsschützer vor sich hatten“, fragte Sven Daniel. Der Leiter des Kompetenzzentrums Rechtsextremismus beim hessischen Landesverfassungsschutzes erklärte, dass der Nachrichtendienst mittlerweile sich auch in diesen Formaten an die Öffentlichkeit wende. Prävention sei eine wichtige Aufgabe, Lehrer als Multiplikatoren wichtig. „Deshalb ist es uns ganz wichtig, auch in diesem öffentlichen Rahmen zu sprechen“, sagte Daniel.

Der Experte erläuterte zunächst die historischen Wurzeln der „Neuen Rechten“. „Die Neue Rechte orientiert sich nicht am historischen Nationalsozialismus“, erläuterte Daniel. Die Wurzeln habe diese Bewegung in der Konservativen Revolution, rechte Vordenker wie Carl Schmitt, Ernst Jünger oder Oswald Spengler aus der Zeit der Weimarer Republik, Demokratiefeinde, die aber nicht zwangsläufig auch Nazis waren.

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Vortrag im Komödienbau (von links): Antje Barth, Sven Daniel, Julia Hiepel und Martin Engelmann.
Vortrag im Komödienbau (von links): Antje Barth, Sven Daniel, Julia Hiepel und Martin Engelmann.

Die „Neue Rechte“ aber führe nicht den Kampf um das Parlament oder die Straße, sondern strebe an, den „vor-politischen Raum“ zu beeinflussen. Vor allem publizistisch. Allein gemein: Die Ablehnung des Liberalismus, Werte wie Menschenwürde, Individualrechte – „damit können die nichts anfangen“, erklärte Daniel. Während wie heute Vielfalt, Pluralismus und Minderheitenschutz mit dem Parlamentarismus verbinden, sehe die neue Rechte darin vor allem Schwäche und Dekadenz, die überwunden werden müsse. „Der Staat soll möglichst homogen sein, da braucht man kein Parlament, sondern einen starken Führer“, so Daniel.

Ein gemeinsamer Nenner der teils unterschiedlichen Strömungen sei der politische Antisemitismus. Irgendwann komme das Narrativ einer angeblichen „jüdischen Weltverschwörung“.

Während Corona bröckelt gesellschaftlicher Konsens

Dabei gingen die Köpfe der neuen Rechten anders vor, als dies mancher glaube. Das Motto: „popkulturell statt subkulturell“. Man möchte attraktiv sein, auch für junge Menschen. Deutsch-Rap, Hip-Hop, Gaming, Musik – und das bisweilen im freundlichen, sogar sympathischen Ton.

Die Akteure seien sehr unterschiedlich, es gebe den Begriff der „Mosaikrechten“. Die Aussagen widersprächen sich teilweise, vereint sei man im gemeinsamen Feind. Als Beispiele wurde die „Identitäre Bewegung“ genannt.

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In der Corona-Pandemie sei zudem zu beobachten gewesen, dass ein gesellschaftlicher Konsens gebröckelt sei. „Es gab lange Zeit eine Abgrenzung nach Rechts“.

Dass etwa bei Corona-Demos rechtsradikale und -extreme Teilnehmer mitgelaufen seien, wäre vor zehn Jahren nicht denkbar gewesen. „Bei bestimmten Themen, bei gemeinsamen Feindbildern, duldet man es, wenn Extremisten mitlaufen“.

Die Ideologie des „Ethnopluralismus“ erläuterte Julia Hiepel vom Kompetenzzentrum des Verfassungsschutzes. „Im Prinzip geht es um das Abstreiten eines extremistischen Gehalts“.

Rezepte für den ländlichen Raum?

Kern sei die Aussage, dass jede Kultur geografisch verwurzelt sei, es keine Vermischung geben dürfe. „Wenn die an der Macht wären, hätte das katastrophale Konsequenzen“, sagte Hiepel. Die Umsetzung dieser Ideologie würde die Deportation von Millionen Menschen bedeuten. Dabei gebe es in der Ideologie ungeklärte Fragen – „wie etwa umgehen mit Weißen in Nordamerika oder Südafrika?“.

Hartmut Bock stellte die Frage, ob der Verfassungsschutz auf Rezepte habe – gerade der ländliche Raum sei oft abgehängt, das könne ein typischer Nährboden für Extremisten werden. Daniel sagte, dass dies eine komplexe Frage sei – es gelte, auf vielen Ebenen Strategien zu entwickeln. Demokratieförderprojekte seien dabei ein wichtiger Baustein.

Die Weinbacher Bürgermeisterin Britta Löhr (parteilos) stellte als Besucherin die Frage, wie man politische Diskussionen über Geflüchtete bestreiten könne – ohne dass es extremistische Ausfälle gibt. Daniel antwortete: „Es ist wichtig, dass man eine Kontroverse zulässt, Menschen dürfen Kritisches sagen. Aber sobald extremistische Narrative bedient werden, sollte man einschreiten“.

Antje Barth und Martin Engelmann von der GEW Oberlahn bedankten sich bei den Referenten – zu dem etwa 50 Besucher in den Komödienbau gekommen waren.