Biedenkopfer Autor kritisiert Eingriffe in Dahl-Klassiker

Andreas Steinhöfel - hier bei einer Lesung im November 2022 in Biedenkopf - ist ein großer Fan der berühmten Kinderbücher Roald Dahls. Gerade hat er einige dieser Klassiker - daruner "Matilda" und "Der fantastische Mr. Fox" - neu ins Deutsche übersetzt. Auch in Großbritannien ist gerade eine Neuausgabe der Dahl-Bücher erschienen. Dahls Texte wurde darin allerdings stark verändert: Vermeintliche anstößige Ausdrücke wurden entfernt. Steinhöfel hält von einer solchen nachträglichen Bereinigung literarischer Texte nichts. Er findet sie sogar gefährlich.

Ein englischer Verlag hat vermeintlich anstößige Inhalte aus Büchern von Roald Dahl entfernt. Andreas Steinhöfel hat einige Werke übersetzt – und hält Änderungen für gefährlich.

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Herr Steinhöfel, als Sie den Übersetzungsauftrag für die Roald-Dahl-Bücher angenommen haben, wussten Sie da, dass die Briten eine so stark veränderte englischsprachige Neuausgabe planen?

Nein. Das ist für mich auch neu. Und wenn man mir die Übersetzung mit solchen Vorgaben angeboten hätte, hätte ich abgelehnt. Die englischen Texte, die ich als Grundlage für meine Übersetzung hatte, waren die alten Texte.

Anders als der Puffin-Verlag sehen Sie also keinen Veränderungsbedarf in Dahls Kinderbüchern?

Ich bin generell kein Fan der Vorstellung, dass man irgendwelche Kunstwerke – und wir reden hier von Literatur als Kunst – verbessern oder verändern sollte. Kunstwerke stehen für sich. Und gerade die Klassiker macht es ja aus, dass sie in der Regel schon einige zeitgeistige Stürme überstanden haben. Da sehe ich nicht, warum man – wenn auf einmal in einer Kultur ein Verbesserungsbedarf aufploppt – dem nachgeben sollte.  

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In der englischen Neuausgabe der Dahl-Bücher ist aber genau das passiert. Der Verlag will junge Leser vor kulturellen, ethnischen und geschlechtsspezifischen Stereotypen schützen und hat deshalb Wörter wie „fett“ oder „hässlich“ durch freundlichere Adjektive ersetzt. Frauen, die bei Dahl als „Kassiererin“ und „Sekretärin“ arbeiteten, sind nun „Topwissenschaftlerinnen“ und „Geschäftsführerinnen“. Die schwarzen brutalen Monstermaschinen aus „Der fantastische Mister Fox“ sind nicht mehr schwarz. An anderen Stellen wurden ganze Passagen verändert. Hat es solche Eingriffe in das Werk eines Autors auch früher schon gegeben?

Nicht das ich wüsste. Nicht auf diese Weise. Was es gegeben hat, sind Bücherverbrennungen. Das ist auch das, worauf – so befürchte ich – solche Eingriffe letztlich hinauslaufen. Denn Leute, die einen Job daraus machen, solche vermeintlichen Anstößigkeiten zu finden, werden sich nicht mit dem zufrieden geben, was sie jetzt erreichen. Das wird immer weitergedreht. Und so etwas läuft am Schluss auf eine Vernichtung des Wortes oder des physischen Mediums oder – wenn es ganz schlimm kommt – der Verfasser dieser Medien hinaus. Deswegen bin ich ultra-empfindlich bei dieser Debatte. Ich sehe darin wirklich totalitäre Eingriffe in Kunst und Kultur, die ja nicht umsonst unter besonderem Schutz des Grundgesetzes stehen. Auf einmal wird dieser Schutz aufgeweicht und viele machen fröhlich mit. Ich halte das für mehr als bedenklich.

Ihre deutsche Übersetzung enthält die Veränderungen der englischen Neuausgabe nicht. Sie halten offenbar Ausdrücke wie „fett” oder „dickbäuchiger Zwerg” weiterhin in Kinderbüchern für vertretbar?

Natürlich muss das Kind das lesen dürfen. Wenn das Kind im Buch liest, „jemand ist fett“ und das dem Kind aufstößt, dann kann es einen Erwachsenen oder – falls er noch lebt – auch den Autor befragen: Ist das okay, dass das so da steht? Andererseits: Warum zieht man das Ganze nicht von der anderen Seite auf? Ich könnte als erwachsener Autor doch genauso gut fordern: Bitteschön Leute, legt euch doch einfach mal wieder ein dickeres Fell zu!

Aber wäre es denn eine große Sache, in Kinderbüchern auf ein Adjektiv wie „fett“ zu verzichten?

Wenn im Text steht „jemand ist fett“, dann habe ich da eine bildhafte Vorstellung. Das ist anders als „dick“. Da ist ein qualitativer Unterschied. Damit ist in keiner Weise gesagt, wie die Figur ansonsten beschrieben ist. Ob das eine freundliche Figur ist, eine bekloppte Figur, ob die gut oder böse ist. Das ergibt sich aus dem Kontext. In der Regel sind ja gerade die Nerds, die Dicken, die Abgehängten heute oft die Helden. Auch in meinen Büchern. Rico in „Rico & Oskar“ zum Beispiel. Von den Lesern geliebt werden immer die, die einen kleinen Sockenschuss haben, weil die Leser sich darin selbst erkennen: Vielleicht bin ich hässlich, vielleicht bin ich fett – aber das sagt doch nichts über den Menschen aus, der ich bin.

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Dennoch können Kinder sich verletzt fühlen, wenn eine Buchfigur als „hässlich“ oder „fett“ beschrieben wird...

Wenn ich Kinder in einer Welt groß werden lasse, die bereinigt ist von solchen Wertungen, dann meine ich es zwar gut. Aber ich erziehe damit Kinder, die noch empfindlicher sind als die Generation, die die Bücher schon mal bereinigt hat. Die brechen zusammen, sobald jemand „fett“ sagt. Die haben keinerlei Abwehrmechanismen gegen die Unbilden des Lebens, wenn sie mal wirklich in eine Situation kommen, in der sie aufs Übelste beschimpft werden. Die sind dann einfach nur schockiert. Wollen wir das? Wollen wir, dass Kinder sich sprachlich nicht wehren können? Und selbst wenn ich als Autor sage: Okay, ich streiche alles, was ein Kind jetzt irgendwie unangenehm berühren könnte – wo soll ich denn da aufhören? Wenn ich anfange, danach zu suchen, kann ich jedes Werk der Weltliteratur auf 20 Seiten zusammenkürzen. Und das sind dann nur noch Konjunktionen. Diese ganze Debatte führt also relativ zügig ins Absurde. Es gibt kein Halten, weil es eben zu viele Befindlichkeiten gibt. Wenn du allen nachgibst, dann bleibt am Schluss nichts mehr übrig, über das man reden kann. Es ist eine Kultur der Empfindlichkeit und Befindlichkeiten, eine humorlose Betroffenheitskultur entstanden.

Sie sehen also die Gefahr, dass Menschen gar nicht mehr ins Gespräch kommen, aus Sorge, sich falsch auszudrücken?

Ich sehe die Gefahr einer Diskurslosigkeit. Wir müssen von dieser angstbesetzten Befindlichkeitskultur wegkommen, den Leuten einfach wieder zumuten, dass sie ein bisschen was ertragen müssen. Und ganz ehrlich: Wer ein Buch nicht erträgt, der kann es ja einfach zuklappen. Der muss es nicht lesen. Aber er kann doch nicht seine emotionale Beeinträchtigung zum Maß aller Dinge machen und sagen: Weil es mir hiermit nicht gut geht, dürfen es alle anderen auch nicht sehen. Davon nehme ich – und das sage ich ganz deutlich – absichtlich diskriminierend benutzte und rassistische Begriffe aus. Rassistische und antisemitische Diskriminierung gehört definitiv nicht zu dem, was ich als Befindlichkeiten beschreibe.

Darum, rassistische Ausdrücke zu entfernen, ging es dem Puffin-Verlag aber doch auch...

Ich kann aber doch den Kanon dessen, was man als rassistische und antisemitische Diskriminierung begreifen soll, nicht tagtäglich einfach erweitern. Damit entwerte ich ja letztlich auch die eigentlich diskriminierenden Begriffe. Vermeintlich tue ich was Gutes, weil ich immer mehr Begriffe hinzufüge. Aber am Schluss habe ich eine Inflation. Wenn auf einmal alles Diskriminierung, Rassismus oder auch Sexismus ist, dann kommen wir damit nicht weiter. Dann wird es schnell verlogen. Unter der Hand werden die Begriffe doch trotzdem benutzt. Damit muss man sich auseinandersetzen. Das löst sich nicht dadurch auf, dass wir in Kinderbüchern so tun, als gäbe es diese Begriffe nicht. Das Problem hatte ich ähnlich neulich in einer Fernsehserie. Da ging es um Antisemitismus. Aber wie stelle ich den dar? Ich kann ja nicht erwarten, dass ein Kind oder sonst ein Zuschauer versteht, wie es einer Hauptfigur geht, die von Antisemitismus betroffen ist, wenn sowas wie „Du kleine Judensau!“ nie zu hören sein darf. Das klingt ultra-hart. Aber das ist das, was diese Menschen erfahren. Und wenn ich dieses Problem darstellen will, dann muss ich es auch aussprechen dürfen. Da führt überhaupt kein Weg dran vorbei. Alles andere ist verlogener Schwachsinn. Es tut mir leid. Da finde ich kein besseres Wort für.

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Wenn wir noch mal auf Roald Dahls Bücher schauen, dann stolpert mancher Leser in Ihrer „Matilda”-Übersetzung sicher über das „Fräulein Honig”. Heute spricht kein Mensch eine Lehrerin noch als „Fräulein” an. Hätte das „Fräulein“ in der neuen deutschen Ausgabe nicht eine „Frau Honig“ sein können?

Als Übersetzer passt man das zeitgemäße Sprachgefühl an. Da schaue ich schon, dass das nicht zu altertümlich rüberkommt. Da sind wir natürlich auch bei „Fräulein“ und „Frau“. Aber es ist bei „Matilda“ unabdingbar, dass die Lehrerin als „Fräulein Honig“ durchgeht, weil es ihr Alleinsein deutlich macht. Das „Fräulein“ untermauert, dass sie allein geblieben ist, weil sie als Kind durch ihre Pflegemutter deformiert wurde, und dass sie ein Leben, wie es zu der Zeit in dieser Geschichte üblich gewesen wäre – nämlich mit einem Mann an ihrer Seite – gar nicht führen konnte. Im Kontext dieses Buches ist sie ein „Fräulein“. Auch im Original ist sie eine „Miss“. Und ich wüsste nicht, warum ich das in der Übersetzung ändern soll. Das macht man nicht. Original ist Original. Punkt. Damit sind wir auch bei einem weiteren wichtigen Kritikpunkt: Was mir aufstößt, ist, dass dieses wohlmeinende „Wir schreiben jetzt mal um“ letztlich die Geschichte verfälscht. Da werden den zu Frauen mutierten Fräuleins mal eben auch noch neue Jobs verpasst. „Kassiererinnen“ oder „Sekretärinnen“ sind auf einmal „Topwissenschaftlerinnen” und „Vorstandsvorsitzende“. Dann sage ich erstens: Was ist denn an Kassiererinnen schlimm? Und zweitens: Wie soll ich mit einem Jugendlichen über Frauenrechte diskutieren, wenn der mir dann sagt: Na guck doch mal, das Buch ist von 1980. Da gab es doch schon massenweise Frauen als Topwissenschaftlerinnen und Vorstandsvorsitzende. Wo war denn da früher das Problem mit den Frauenrechten? Wenn man die Literatur bereinigt, entsteht der Eindruck, als hätte es das nie gegeben. Das ist Geschichtsverfälschung.

Aber wie reagieren Sie, wenn Leser Sie ganz konkret ansprechen und sagen, dass sie sich zum Beispiel durch den Ausdruck „fett” oder den Ausdruck „dickbäuchiger Zwerg” diskriminiert fühlen?

Das geschieht nicht häufig. Aber ja: Es geschieht. Dann sage ich dem Leser, dass es mir leid tut, dass ich ihn in seiner Sensibilität verletzt habe. Dass das für mich geläufige Wörter oder Redewendungen sind, die ich auch weiter benutzen werde. Dass ich seine Kritik zur Kenntnis nehme und ihm davon abrate, zukünftig weiter meine Bücher zu lesen. Es gibt jedes Jahr allein bei Kinderbüchern 9000 Neuerscheinungen. Da wird sicher was dabei sein, was für ihn passt. Meine Erfahrung ist aber auch, dass ich viele Menschen kennenlerne, die persönlich überhaupt noch keine Erfahrung mit diesen Ungerechtigkeiten gemacht haben. Die sprechen für andere. Das kenne ich noch gut aus der Zeit nach meinem Coming Out. Ich war da schon manchmal ein bisschen verwirrt, wer sich alles mein Schwul-Sein auf die Fahnen geschrieben hat, um mir in meinem Leben weiterzuhelfen. Das ist eine Unterstützung, die ich nie eingefordert habe.

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Andreas Steinhöfel hat Roald Dahls berühmten Kinderroman "Matilda" neu übersetzt.  Cover: Penguin Junior Verlag
Roald Dahls "Der fantastische Mister Fox" ist in neuer Übersetzung von Andreas Steinhöfel im Verlag "Penguin Junior" erschienen. ISBN 978-3-328-30167-7, 16 Euro.
„Der fantastische Mister Fox” ist einer der Kinderbuch-Klassiker von Roald Dahl, die Andreas Steinhöfel gerade neu ins Deutsche übersetzt hat.

Trotzdem haben Kinderbuchverlage sicher eine besondere Verantwortung. Und der Ansatz, Kinder mit schwierigen Textstellen nicht allein zu lassen, ist nachvollziehbar. Kinder mit acht, neun Jahren lesen aber schon allein, ohne dass die Eltern daneben sitzen. Wie kann man dieses Problem lösen, wenn man in Kinderbuch-Klassiker, die aus heutiger Sicht an einigen Stellen schwierig erscheinen, nicht eingreifen will?

Dann macht man, wenn man das denn will, vorne im Buch einen Warnhinweis. Fertig. Und dann bleibt der Text, so wie er ist. Ich muss doch dem Kind, das mit acht, neun Jahren ein Buch allein liest und über eine Stelle stolpert, die es merkwürdig findet, zutrauen, dass es wahlweise die Eltern oder gleichaltrige Freundinnen und Freunde oder auch das Internet befragt. Ich muss nicht als Sprachpolizei dauernd neben meinem Kind stehen. Ich muss dem Kind zutrauen, dass es auch allein die Welt erfährt.

In Großbritannien war die Kritik an der bereinigten Neuausgabe am Ende so massiv, dass der Puffin-Verlag inzwischen zurückgerudert ist und nun auch noch eine zweite Fassung mit den Original-Texten Roald Dahls auf den Markt bringt...

Spannend wird jetzt, wie die Leser sich entscheiden und wie sich die beiden Fassungen im Vergleich verkaufen.