Stephanie Theiss (Grüne) hat Landrätin Kirsten Fründt (SPD) vorgeworfen, ihr sei die Frauenpolitik in Marburg-Biedenkopf gleichgültig.
STADTALLENDORF. Stephanie Theiss (Grüne) hat Landrätin Kirsten Fründt (SPD) vorgeworfen, sich nicht für Frauenrechte einzusetzen. Auslöser war ein gemeinsamer Antrag von Linken, Grünen und Klimaliste, die Arbeit zur sogenannten Istanbul-Konvention im Kreis zu stärken.
Die zweite Kreistagssitzung der neuen Wahlperiode war zugleich die erste, in der auch Sachthemen behandelt wurden. Mit dem Antrag deutet sich zugleich die Zusammenarbeit der drei linken Oppositionsparteien an. Der Kreisausschuss solle "für eine angemessene und ausreichende Finanzierung dieser so wichtigen Arbeit" der Organisationen und Träger Sorge tragen, die sich im Landkreis mit Gewaltprävention und Gewaltschutz von Frauen befassen. Zudem sollen die Organisationen im Sozialausschuss von ihrer Arbeit berichten. Als Beispiel werden Frauenhaus und Frauennotruf genannt.
Die Fraktionen beziehen sich auf die Istanbul-Konvention, das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.
Stephanie Theiss nannte die Frauenpolitik des Landkreises in der Sitzung in der Stadtallendorfer Stadthalle "eine Katastrophe". Der zuständige Fachdienst in der Kreisverwaltung sei unterbesetzt, die Leitung zwei Jahre vakant. "Sie, Frau Landrätin, tragen als Dezernentin die Verantwortung dafür, dass das Frauen- und Gleichstellungsbüro finanziell und personell in die Lage versetzt wird, seine Arbeit machen zu können. In diesem Punkt haben Sie schlichtweg versagt", sagte Theiss. "Von Frau zu Frau sage ich Ihnen: Ich bin enttäuscht und schockiert, wie gleichgültig Ihnen die Frauen- und Gleichstellungspolitik im Kreis ist." Der Kreisregierung sei der Fachdienst egal, und sie bemühe sich nicht, die Organisationen und Träger ausreichend zu unterstützen. Vom Land stünden Mittel bereit. "Das Geld ist da", sagte Theiss. "Es wird nicht abgeholt, weil personelle Ressourcen fehlen, um Anträge zu stellen."
Landrätin Fründt wies die Kritik zurück. "Als ich 2014 Landrätin wurde, gab es im Frauenbüro anderthalb Stellen", sagte sie. "Mittlerweile gibt es vier Stellen." Ein geringeres Engagements könne sie nicht erkennen.
Die Grünen wüssten, dass eine Mitarbeiterin "sehr langfristig" erkrankt sei. "Natürlich müssen an der Stelle Arbeiten liegen bleiben, weil wir keine personelle Decke haben." Inzwischen sei eine Mitarbeiterin von einem Nachbarlandkreis ausgeliehen worden, die die Stelle ausfüllt. "Ich finde das nicht wirklich redlich, auf Krankheit Versagen aufzubauen", kritisierte die Landrätin.
Häusliche und sexuelle Gewalt finde auch im Kreis statt, sagte Frauke Haselhorst (Klimaliste). Die Einrichtungen bräuchten dringend Unterstützung. "Wir wissen, dass es unter Corona eine Zunahme an Gewalt gegen Frauen gegeben hat." Man müsse "mit allen Mitteln alles tun", die Organisationen zu unterstützen, sagte Haselhorst.
1,1 Stellen für 300 Fälle plus 1000 Beratungen
Der Frauennotruf bearbeite mit 1,1 Stellen über 300 Fälle und über 1000 Beratungen im Jahr. "Hier muss etwas geschehen. Woher es kommt, ist für mich zweitrangig, aber ich sehe den Kreis in der Pflicht." Man könne nicht auf Gesetze warten.
Anna Hofmann (Linke) erklärte, es sei "kein gutes Signal", dass die Große Koalition nicht die Organisationen in den Ausschuss einladen wolle. "Das befremdet mich sehr." Die Linke habe schon vor drei Jahren gefordert, dass der Frauennotruf eine weitere halbe Stelle bekomme. Auch Hofmann kritisierte die ausbleibende Nachbesetzung der Stelle im zuständigen Fachdienst der Kreisverwaltung: "Wenn im Finanzbereich eine Stelle fehle und der Haushalt nicht aufgestellt werden: Natürlich würden sie nachbesetzen. Es kann doch nicht sein, dass dieser Bereich so wenig Wertschätzung erfährt."
Fründt wies auch diese Kritik zurück. "Natürlich ist es in einer Verwaltung schneller möglich, Verwaltungspersonal nachzubesetzen." Beim Frauengleichstellungsbüro würden Fachkenntnisse gebraucht. "Wenn wir dort keine Bewerbungen kriegen, kann man es nicht besetzen." Das habe tatsächlich zwei Jahre gedauert, "auch wenn mir das selber nicht gefällt", sagte die Landrätin.
Für die SPD sei es "sehr wichtig", die Arbeit der Organisationen gegen Gewalt an Frauen zu unterstützen, sagte Marianne Wölk (SPD). "Wir sind auch nicht gegen eine Ausstattung mit mehr Geld. Wir unterstützen die Forderung nach einer angemessenen Finanzierung."
Wölk verwies auf eine auf Bundesebene angestrebte Regelung, wonach Länder etwaige Mehrbelastungen der Kommunen ausgleichen müssten. Gerade das Land sei zuständig, die Mittel sicherzustellen. "Liebe Frau Theiss, die Frauenpolitik im Landkreis ist keine Katastrophe", sagte Wölk und kritisierte die verbalen Angriffe der Grünen-Sprecherin. "Natürlich" habe der Landkreis eine weitere Unterstützung zugesagt.
Letztlich lenkte die Kreiskoalition ein, Organisationen in eine Ausschusssitzung einzuladen. Rosemarie Lecher (CDU) begründete die vorherige Ablehnung mit formalen Mängeln. Die Kreiskoalition setzte aber die Ergänzung eines Satzes durch: Die "in Entstehung befindlichen Gesetze des Bundes und des Landes" sollten als Grundlage genommen werden. Bei Enthaltung der AfD-Abgeordneten wurde der Antrag einstimmig angenommen.