Kirchhain: Ausgesetzter Mann aus Wetzlar weiß nichts mehr

Vorsicht an den Gleisen: Im Mai 2021 landet ein Betrunkener am Kirchhainer Bahnhof im Gleisbett. Der Vorfall beschäftigt nun das Amtsgericht. © Thorsten Richter

Kuriose Verhandlung vor dem Kirchhainer Amtsgericht nach Sturz ins Gleis. Zugführer bringt sich in Bredouille.

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KIRCHHAIN/WETZLAR. "Ich habe im Zug geschlafen, bin aufgewacht, aber weiß nicht genau wo. Dann kam die Polizei und nahm mich mit." So schildert ein 40 Jahre alter Mann aus Wetzlar, was ihm am 9. Mai 2021 widerfahren war. Wäre das aber tatsächlich alles gewesen, dann hätte zum einen der Zimmermann wahrscheinlich nicht als Zeuge vor dem Kirchhainer Amtsgericht erscheinen müssen, und zum anderen wären eine Zugbegleiterin und ein ehemaliger Security-Mitarbeiter wohl nicht der "Aussetzung" angeklagt worden.

Nicht mehr in der Lage, den Heimweg anzutreten

Laut Staatsanwaltschaft hatte sich der 40-Jährige in einem Zug der Hessischen Landesbahn laut, auffällig und aggressiv gegenüber Mitreisenden und der Zugbegleiterin verhalten. In Kirchhain soll die Frau den Betrunkenen dann gemeinsam mit ihrem Helfer aus dem Zug gebracht und auf eine Bank am Gleis gesetzt haben.

Das Problem: Hilfe sollen sie nicht gerufen haben. Laut Staatsanwaltschaft war der Mann desorientiert und nicht mehr in der Lage, den Heimweg anzutreten. Letztendlich landete er im Gleisbett - was rund 20 Minuten später der Triebfahrzeugführer eines anderen Zuges bei einem Betriebshalt in Kirchhain bemerkte und meldete, woraufhin alle Gleise für den Verkehr gesperrt wurden.

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Bei der Untersuchung des Betrunkenen wurde ein Promillewert von 2,97 festgestellt. Der Tatvorwurf: Die Zugbegleiterin und ein Mann sollen sich schuldig gemacht haben, weil sie den Mann in eine hilflose Lage versetzt beziehungsweise in einer hilflosen Lage im Stich gelassen haben, obwohl sie ihm beizustehen verpflichtet waren.

Eigentlich hätte sich auf der Anklagebank noch eine dritte Person wiederfinden müssen, wie Richterin Andrea Hülshorst am Ende der Verhandlung befand. Ohne, dass sie es genauer spezifizierte, war klar: Damit meinte sie den Zugführer, der als Zeuge aussagte.

Dieser berichtete, dass der Betrunkene schon weit vor Kirchhain auffällig geworden sei, wie ihm ein Mitfahrer und die Zugbegleiterin berichtet hätten. Der Zugführer erzählte, dass er am Kirchhainer Bahnhof mit dem Mann sogar gesprochen habe.

Warum dieser dort abgesetzt worden sei, wollte Hülshorst wissen und bekam zwei Gründe genannt: Weil dieser sich im Zug nicht benommen habe - und außerdem ja eigentlich in Marburg habe aussteigen wollen.

Wer die Entscheidung treffe, wenn jemand des Zuges verwiesen werden solle, hakte die Richterin nach. "Das Zugpersonal", entgegnete der Fahrer - der sich zuvor noch als "der Chef auf dem Zug" bezeichnet hatte, der selbst nachschauen wollte, warum der Mitfahrende aussteigen solle.

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Nach dieser zwischenzeitlich etwas hitzigeren Befragung traten vier Polizisten als Zeugen auf, die vornehmlich darüber berichteten, wie betrunken der 40-Jährige gewesen sei, als sie ihn am Gleisbett antrafen - aus dem er sich mehrfach herausarbeitete, um gleich wieder hineinzufallen. Er sei unkooperativ, aggressiv und so betrunken gewesen, dass er auf dem Weg Richtung Ausnüchterungszelle gestützt werden musste. "Ja, klar", antwortete der 40-Jährige vor Gericht - und zwar sowohl auf die Frage, ob er Alkohol getrunken habe als auch auf die Frage, ob er Drogen genommen hatte. Gras habe er geraucht - was ihm aber abgenommen worden sei. Warum es dazu kein Sicherstellungsprotokoll gebe, fragte Hülshorst nur in die Leere, erwartete aber keine Antwort.

Mit Alkohol und Gras im Blut

Auf die Frage eines Verteidigers, ob er überhaupt ein Interesse an der Strafverfolgung und einer möglichen Verurteilung der Angeklagten habe, antwortete der 40-Jährige mit einem Schulterzucken und den Worten: "Ist mir egal."

Letztendlich wurde das Verfahren gegen den ehemaligen Security-Mitarbeiter wegen Geringfügigkeit der Schuld gemäß Paragraf 153 der Strafprozessordnung eingestellt. Bei der angeklagten Frau kam Paragraf 153a zum Tragen: Sie muss 300 Euro an den Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr zahlen, dann wird von einer weiteren Verfolgung der Angelegenheit abgesehen.

Von Florian Lerchbacher