
Ist der Verkauf von Viessmann unternehmerisch sinnvoll und nötig? Ja, sagt Geschäftsführer Max Viessmann. Und erläutert die Überlegungen der Unternehmerfamilie.
Allendorf/Eder. Von einem „sehr speziellen Tag für unser Familienunternehmen” spricht Max Viessmann, als er am Mittwochnachmittag in einer virtuellen Pressekonferenz vor die Medien tritt. Wenige Stunden vorher hat das Familienunternehmen in einer schriftlichen Mitteilung Berichte bestätigt, den größten Teil der Geschäfte nach 106 Jahren in andere Hände zu geben. Konkret geht um die Sparte „Climate Solutions”, also das boomende Geschäft mit den Wärmepumpen. 12 Milliarden Euro legt Carrier Global, teils in Aktien, dafür auf den Tisch.
Viessmann bezeichnet seine 14.500 Mitarbeiter als „Familienmitglieder”
Immer wieder schimmert in Viessmanns Worten das enge Verhältnis durch, das man in der Firma pflegt. Die 14.500 Mitarbeiter, die in 70 Ländern für Viessmann arbeiten, nennt er „Familienmitglieder”. Und er betont, dass die soziale Verantwortung seit vier Generationen fest zur DNA der Unternehmerfamilie gehöre. Letztere schlägt sich in seinen Augen deutlich in der Vereinbarung wieder, die mit Carrier getroffen wurde: Betriebsbedingte Kündigungen sind für drei Jahre ausgeschlossen. Für die Forschungs- und Entwicklungsstandorte gilt eine Bestandsgarantie von fünf Jahren, für den Hauptsitze in Allendorf eine von zehn Jahren. Kritische Überlegungen, das sei zu wenig, weist er zurück. „Solche weitgehenden Vereinbarungen sind sehr unüblich”, hält Max Viessmann dagegen.
An dieser Stelle seines Vortrags stellt er zudem heraus: Die Unternehmerfamilie trennt sich nicht vollständig von der Sparte, sondern bleibt im Spiel. Viessmann wird mit der Aktienbeteiligung einer der größten Anteilseigner von Carrier Global. Er selbst wird künftig im Verwaltungsrat des amerikanischen Unternehmens mitarbeiten - mit besonderem Blick auf das Wärmepumpengeschäft.
Aber warum hat sich Viessmann dann überhaupt von diesem zukunftsträchtigen Geschäftsbereich getrennt? Max Viessmann verweist auf die Rahmenbedingungen, die sich immer schneller verändern würden. Drei konkrete Punkte stellt er heraus. Da sei erstens die „beschleunigte Energiewende”. Innerhalb der nächsten Jahre verabschiedet sich Deutschland nach dem Willen der Bundesregierung von Gas- und Ölheizungen und setzt auf Wärmepumpen. Viessmann nennt zweitens die Lieferengpässe, mit denen die Firma zu kämpfen habe. Die überhöhte Nachfrage habe zur Folge, dass man gar nicht mehr hinterherkomme, das notwendige Material zu beschaffen.
Sein dritter Punkt: das Wettbewerbsumfeld. Schon jetzt zeichne sich ab, dass dies in den kommenden Jahren immer weniger europäisch geprägt sein werde. Für Viessmann hätte das bedeutet: Als mittelständisches Unternehmen hätte man sich den großen, vor allem in Asien beheimateten Weltkonzernen gegenüber gesehen. Schweren Herzens seien sein Vater und er nach einem „ehrlichen Blick auf die Gemengelage” zu dem Urteil gelangt: Die Unternehmerfamilie als alleiniger Gesellschafter ist in dieser Situation nicht die beste Wahl, um in Zukunft als Firma in der Sparte „Climate Solutions” erfolgreich sein zu können.
Viessmann steht vor großen Herausforderungen
Der Geschäftsführer der Allendorfer Firma geht in seiner Rede auch darauf ein, vor welchen Herausforderungen die Firma steht. Um am Markt erfolgreich zu sein, benötigt sie ein breiteres Produktportfolio. Zudem muss sie die Lieferfähigkeit erhöhen. Nicht zuletzt fällt das Wort „Skalierbarkeit”. Will sagen: Um Gewinne machen zu können, braucht es höhere Produktionskapazitäten. Um all das, wie gehabt, als Familienunternehmen zu bewerkstelligen, sagt Max Viessmann, hätte man in kurzer Zeit enorme finanzielle Mittel bereitstellen müssen. Nur dann hätte Aussicht bestanden, die notwendige Größe zu erreichen. Schweren Herzens sei seine Familie jedoch zu der Einschätzung gelangt, dass alle eigenen Bemühungen langfristig nicht reichen würden, der Verkauf an Carrier Global unternehmerisch betrachtet die bessere Wahl ist.
Und warum gerade Carrier Global, ein Unternehmen aus Florida, das mit 55.000 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 20 Milliarden Euro erwirtschaftet? Max Viessmann spricht von „Komplementarität”. Viessmann und Carrier seien in der gleichen Sparte unterwegs, bislang jedoch auf unterschiedlichen Feldern erfolgreich: Carrier in den USA und im Gewerbesegment in Europa, Viessmann auf dem Wohngebiet in Europa. Dadurch ergänzen die Firmen sich laut Viessmann, ohne dass damit Synergieeffekte zulasten der Mitarbeiter einhergehen.
Unternehmenskulturen passen zueinander
Viessmann profitiere durch die neue Partnerschaft in mehrfacher Hinsicht: Das bislang auf Deutschland und Europa fokussierte Unternehmen erhalte globalen Zugang. Zudem ergäben sich auf der Kostenseite durch die Größe der Firma in der industriellen Fertigung deutliche Vorteile. Viessmann werde einen viel besseren Zugang zu den benötigten Komponenten erhalten. Zudem verbessere sich der Zugang zum Kapitalmarkt.
Nicht zuletzt spricht der Geschäftsführer die ähnlichen Unternehmenskulturen an. Die Firmen hätten ähnliche Werte, das gleiche Zielbild und teilten das Bekenntnis zu Nachhaltigkeit. Das sehe man schon daran, dass Carrier in den USA den achten Rang der nachhaltigsten Unternehmen belege. Carrier Global sei, betont Max Viessmann, aus all diesen Gründen „der richtige Partner für alle Beteiligten”.