Mittelhessens Sanitäter fordern bessere Arbeitsbedingungen

Zur Verhandlung der DRK-Bundestarifkommission sind auch Mitarbeiter des Rettungsdiensts Mittelhessen in Wiesbaden angereist. Sie treten für bessere Arbeitsbedingungen und Perspektiven ein. 

In Wiesbaden finden Verhandlungen zum DRK-Tarif statt. Retter aus der Region zeigen mit Fahnen, Trillerpfeifen und Bengalos ihre Entschlossenheit. 

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Marburg-Biedenkopf. Zunehmende Arbeitsbelastung, steigende Einsatzzahlen, faktorisierte Arbeitszeiten. Der deutsche Rettungsdienst steht seit Jahren vor vielen Problemen. Kaum einer der Sanitäter bleibt bis zur Rente. Viele junge Sanitäter nutzen die Arbeit als berufliches Sprungbrett.

Im Landkreis-Marburg-Biedenkopf, im Kreis Gießen, dem Lahn-Dill-Kreis und im Vogelsberg ist der Rettungsdienst Mittelhessen (RDMH) für die Notfallversorgung zuständig. Mit rund 800 Einsatzdienst-Mitarbeitern zählt er zu den größten privaten Anbietern in ganz Deutschland.

Aus dem ganzen Unternehmen kamen jetzt rund 60 Einsatzkräfte nach Wiesbaden, um dort während der Verhandlung der Bundestarifkommission des Deutschen Roten Kreuzes für bessere Arbeitsbedingungen zu demonstrieren. Sie unterstützten Kollegen aus dem Rhein-Main-Gebiet.

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Verdi-Gewerkschaftssekretärin Katharina Lenuck ist zuständig für den Bereich Soziales und Gesundheit bei der Gewerkschaft. Sie hatte einen Bus für die Demonstranten organisiert. „Ich freue mich, dass wir so viele Leute zusammenbekommen haben“, sagte die Organisatorin sichtlich begeistert.

Während der Fahrt nach Wiesbaden tauschten sich die Sanitäter über die aktuelle Arbeitssituation aus. Die steigenden Einsatzzahlen, widrige Arbeitsbedingungen und der permanente Stress macht vielen zu schaffen. „Hinzu kommt die aktuelle Versorgungslage durch die Krankenhäuser“, sagte eine Retterin. Teilweise könnten die Krankenhäuser in einem Landkreis keine Patienten des Rettungsdienstes aufnehmen. Diese müssten dann in weiter entfernte Krankenhäuser gefahren werden. „Aus dem Hinterland fährt man auch schon mal nach Alsfeld oder Frankfurt“, berichtete ein Sanitäter.

Um ihre Forderungen zu unterstützen, zünden die Mitarbeiter des Rettungsdienstes Mittelhessen auch Bengalos. 
Um ihre Forderungen zu unterstützen, zünden die Mitarbeiter des Rettungsdienstes Mittelhessen auch Bengalos.  (© Patrick Stein)

Das Gros der Reisenden war über 30 Jahre alt. „Das ärgert mich ein bisschen. Eigentlich müssten die Jüngeren viel mehr Stimmung machen“, sagte eine Retterin aus Wetzlarer. Markus Belch vom Betriebsrat des RDMH fand es traurig, dass nicht mehr Kollegen mit zur Demo gekommen waren. „Für ein Unternehmen dieser Größe hätten wir eigentlich mit zwei bis drei Bussen anreisen können“, sagte der Gießener. Aber es sei eben so, dass viele Mitarbeiter in den vergangenen Jahren resigniert hätten.

Gegen Mittag begannen die Verhandlungen. Zuvor begrüßte Verdi-Vertreterin Saskia Jensch alle Mitstreiter vor dem Henry-Dunant-Haus in Wiesbaden. „Wir haben noch nie so ein großes Aufgebot zusammengebracht. Wir zeigen, dass es uns wichtig ist“, sagte Saskia Jensch.

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Während drinnen die Bundestarifkommission mit den Verhandlungen begann, machten die Demonstranten draußen mit Schildern, Fahnen und Trillerpfeifen auf sich aufmerksam. Bengalos hüllten die Szene in roten Rauch, und Sprechchöre „Wir sind es wert“ ertönten vor dem Gebäude. Nach rund einer Stunde der Verhandlungen stand die erste Pause an. Vonseiten der Arbeitgeber kam niemand nach draußen. Arne Sommerlad, Betriebsratsvorsitzender des Rettungsdiensts Mittelhessen und Mitglied der Tarifkommission, trat jedoch vor die Menge. „Ihr seid der Hammer. Damit hat niemand gerechnet. Die Arbeitgeber sind sichtlich nervös geworden“, sagte Sommerlad und fuhr fort: „Wir zeigen, dass es um etwas geht, um die Zukunft des Rettungsdienstes.“

Der Verhandlungsführer der Arbeitnehmer-Seite, Frank Hutmacher, war sichtlich begeistert vom Aufgebot der Demonstranten: „ Wenn wir hier zu keiner Einigung kommen, wird nichts daran vorbeiführen, den Manteltarif aufzukündigen. Dann müssen wir ganz andere Geschütze auffahren. Heute zeigt Ihr, dass Ihr dazu bereit seid.“

Vom Dach des Henry-Dunant-Hauses machten sich die Vertreter der Arbeitgeber ein Bild von dem, was vor dem Verhandlungssaal vor sich ging. Mehrere Versuche, sie dazu zu bewegen, vor die Menge zu treten und ihre Standpunkte zu erklären, blieben erfolglos.

„Trotzdem hat die Arbeitnehmerseite ihren Standpunkt klar gemacht. Es geht darum, den Rettungsdienst zukunftsfähig zu gestalten und die Arbeitszeit gegenwartsnah umzusetzen“, sagte Sommerlad.

Der offizielle Teil endete nach rund einer Stunde mit einem Bild der Demonstranten vor dem Henry-Dunant-Haus. „Wir werden gestärkt in die weiteren Verhandlungen gehen und sind gespannt, wie die Arbeitgeberseite auf euer Auftreten reagieren wird“, schloss Hutmacher. Bevor die Mittelhessen die Heimreise antraten, beklebten sie die Fenster des Verhandlungszimmers mit Flyern mit ihren Forderungen.

Von zwölf Stunden werden nur zehn angerechnet

Auch auf dem Heimweg tauschten sich die Rettungsdienstler noch über die Forderungen aus. „Wir leiden unter einem massiven Personalmangel. Aber unter den aktuellen Bedingungen ist es einfach schwer, Personal zu finden, das den Beruf auch auf lange Sicht ausüben möchte“, sagte Bernhard Dieckhoff, der seit über 20 Jahren in Biedenkopf arbeitet.

„Die Hauptprobleme sind die Perspektivlosigkeit und die Faktorisierung der Arbeitsstunden.“ Da müssen wir ran“, sagte Andre Hoß. Wenn man von zwölf Stunden nur zehn angerechnet bekomme, arbeite man alle fünf Wochen eine unentgeltlich. „Das ist alles andere als zeitgemäß“, sagte Hoß, der als Ausbilder im Ostkreis tätig ist.

Ob die Tarifkommission zu einer Einigung kommt oder der Manteltarif aufgelöst wird, entscheidet sich am 23. November. Dann findet die nächste und vorerst letzte Verhandlungsrunde in Berlin statt. Die Notfall- und Rettungssanitäter des Rettungsdiensts Mittelhessen sind auf jeden Fall bereit, für bessere Arbeitsbedingungen einzutreten.