Gedankengänge auf der Liedzeile: Eminem

Lutz Hermann aus Marburg schreibt in dieser Kolumne regelmäßig über Musik. Diesmal geht es um das Album "The Eminem Show" von Eminem. © Hartmut Bünger

Der Poetry-Slammer und Autor Lutz Hermann (Marburg) schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Musik, heute über den Rapper Eminem.

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. "Have you ever been hated or discrimated against?", rappt Eminem in dem Lied Cleaning out my closet (Eminem Show, 2002). Er möchte von mir also wissen, ob ich jemals gehasst oder benachteiligt wurde. Er selbst beantwortet die Frage mit einem klaren "I have". Ich selbst muss da länger nachdenken. Und komme zu der Antwort: "Eher nicht." Ich habe als Jugendlicher Eminem also nicht gehört, weil ich mich selbst benachteiligt gefühlt habe, sondern wohl vor allem, um mich selbst abzusondern: Niemand sonst aus meiner Familie hörte Eminem. Mir war damals allerdings nicht bewusst oder ich wollte es mir nicht bewusst machen, dass Marshall Bruce Mathers, wie der Rapper mit richtigem Namen heißt, in seinen Texten selbst Hass verteilt und zwar gegen Homosexuelle und Frauen.

Zwanzig Jahre später höre ich Eminem nur noch sehr selten und unterrichte Jugendliche, die selbst mit Benachteiligung und Ausgrenzung zu kämpfen haben. Da ist zum Beispiel Jamal, der sich ständig über alles und jeden lustig macht und dabei auch vor Beleidigungen nicht zurückschreckt. Immer wieder rede ich mit ihm und nach einer Weile bekomme ich heraus, warum das so ist. "Ich werde oft genug selbst als Kanake beleidigt. Dann kann ich doch wohl auch andere beleidigen."

Jamal und Eminem leiten aus ihrer Diskriminierungserfahrung das Recht ab, andere beleidigen und ausgrenzen zu können.

Man müsste die Zeit anhalten und zurückdrehen können. So dass alles stillsteht und man selbst in der Zeit zurücklaufen und Dinge verändern kann. Und dann müsste man jedem, der Jamal beleidigt oder benachteiligt, ob aus Spaß, Unwissenheit oder Bösartigkeit, jedem seiner Mitschülerinnen und Mitschüler, jedem seiner Lehrerinnen und Lehrer, Nachbarinnen und Nachbarn, allen Menschen, die ihn gar nicht kennen, aber dennoch als "Kanaken" abstempeln oder gar beleidigen, all denen müsste man ganz schnell den Mund zukleben, bevor sie die Beleidigung aussprechen oder man müsste sie durch etwas Schönes ablenken, damit sie erst in Ruhe nachdenken und ihn nicht einfach (un)bewusst abstempeln.

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Ich bin mir sicher, würde man die Zeit dann wieder weiterlaufen lassen, Jamal wäre ein ganz anderer Mensch.

Lutz Hermann ist Lehrer, Poetry-Slammer und Autor. In Gladenbach aufgewachsen, lebt er heute mit seiner Familie in Marburg. An dieser Stelle schreibt er regelmäßig über Musik. Mehr von ihm findet sich auf www.hermann-schreibt.de.

Von Lutz Hermann