Königsweg führt über ein Praktikum

Das Integrationsnetzwerk "Bleib in Hessen II" hofft auf Verlängerung seiner Arbeit bis Ende 2020.  50 Prozent der Finanzierung kommt vom Europäischen Sozialfonds aus Brüssel.  Foto: Regina Tauer
© Regina Tauer

Bawer Hussein ist seit 2018 Azubi bei der Sparkasse Marburg-Biedenkopf. Über ein Praktikum kam er in Kontakt mit dem Kreditinstitut. Das Beispiel des jungen Syrers zeigt:...

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MARBURG. Bawer Hussein ist seit 2018 Azubi bei der Sparkasse Marburg-Biedenkopf. Über ein Praktikum kam er in Kontakt mit dem Kreditinstitut. Das Beispiel des jungen Syrers zeigt: Arbeit und Ausbildung sind die Schlüssel zur Integration in die Gesellschaft. Auf seinem Weg hat das Flüchtlingsberatungsnetzwerk "Bleib in Hessen II" Hussein begleitet. Das Netzwerk versteht sich als Lotse für geflüchtete Menschen. In Marburg zog "Bleib in Hessen II" beim Mittelhessischen Bildungsverband Bilanz.

Rund 2300 Menschen wurden seit März 2016 in sieben hessischen Landkreisen beraten und begleitet. Knapp 30 Prozent wurden auf diesem Weg in Arbeit, Ausbildung, Studium oder Schule vermittelt, nannte Ralf Schick, Koordinator beim Mittelhessischen Bildungsverband, Zahlen. 333 der Ratsuchenden lebten im Landkreis Marburg-Biedenkopf, erläuterte Christoph Rettler von der Praxis GmbH Marburg. Auch hier liegt die Vermittlungsquote bei 30 Prozent.

Praktischer Teil macht meist kein Problem

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Schwerpunkte bilden der Bereich der Alten- und Krankenpflege, aber auch das verarbeitende Gewerbe. Rettler hob dabei Betriebe im Hinterland wie Elkamet, Christmann und Pfeiffer oder Buderus, aber auch das Handwerk hervor. Auch nach der Vermittlung bleiben die Berater Ansprechpartner, so Rettler. Ziel ist, dass der Einstieg in die Arbeit dauerhaft gelingt.

Als Königsweg erweist sich der Einstieg über ein Praktikum, dort können sich Unternehmen und Bewerber kennenlernen. Flüchtlinge haben die Chance, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Denn die Erfahrung zeigt: "Der praktische Teil der Ausbildung läuft oft gut, doch dann scheitert die Versetzung an den schulischen Noten", nannte Rettler Gründe, die zum Abbruch führen können.

In vielen Bundesländen stellen die Syrer die stärkste Gruppe unter den Flüchtlingen und Asylsuchenden. In Hessen liegt Afghanistan in der Liste der Herkunftsländer mit 749 Zugewanderten vorn (Syrien 553). Die meisten Flüchtlinge und Asylbewerber sind zwischen 25 und 54 Jahre alt, gefolgt von den 18- bis 24-Jährigen mit 813. Unter den Geflüchteten sind Hochqualifizierte und Menschen, die kaum Lesen und Schreiben können. "Der Mittelbauch an Qualifikationen fehlt", sagte Schick. Je älter ein Flüchtling ist, desto schwieriger gestaltet sich der Wiedereinstieg ins Berufsleben. "Die Menschen erleben die Flucht auch als sozialen Abstieg", erklärte Schick.

"Bleib in Hessen II" berät in sieben hessischen Landkreisen. Und in allen zeigt sich: Geflüchtete Frauen sind schwerer zu erreichen. 1840 der von "Bleib in Hessen II"-Beteiligten sind männlich, nur 420 weiblich. Auch im Landkreis Marburg-Biedenkopf liegt die Quote bei nur 27 Prozent. Das Problem fängt bereits bei den Deutschkursen an. An den Frauen hängt die Kinderbetreuung, oft scheitert daran schon die Teilnahme an einem Deutschkurs. "Die Frauen verschwinden in den Aufnahmeeinrichtungen. Wir müssen sie dort, in ihren Unterkünften, gezielt ansprechen und niedrigschwellige Angebote machen", sagte Geschäftsführerin Gerlind Jäckle von der Praxis GmbH.

Dazu kommen finanzielle Probleme, wie etwa Fahrtkosten - "das ist ein ganz großes Thema", sagt Rettler. Im Landkreis Marburg-Biedenkopf wendet sich das Projekt "Nahtstelle" in Stadtallendorf direkt an Frauen. Dort werden Deutschkurse und kreative Tätigkeiten wie Nähen angeboten. Es ist in dieser Form im Kreis - auch wenn es hier schon Deutschkurse mit Kinderbetreuung gibt - noch einmalig.

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Sprachliche Hürden nehmen

Sind die Hürden beim Erlernen der Sprache erst einmal genommen und sogar ein Realschulabschluss geschafft, heißt dies aber nicht, dass es dann endlich vorangeht. Als zweiter Faktor kommt das Thema Geld ins Spiel. Wenn die Azubi-Vergütung zu niedrig und die Altersgrenze beim BAföG überschritten ist, kann die Ausbildung auch am Geld scheitern. Rettler nannte gegenüber dieser Zeitung den Fall einer 31-jährigen Frau, die gerne Erzieherin werden möchte. An mangelnder finanzieller Absicherung könnte dieser Traum noch scheitern.