Der 38-Jährige wurde in Wetzlar zu 18 Monate Haft verurteilt und gut ein Jahr später per Haftbefehl einkassiert. Was am 1. Oktober 2021 in Herborn passierte.
DILLENBURG/HERBORN. Ein 38-Jähriger hat vom Schöffengericht Dillenburg unter Vorsitz von Richter Matthias Gampe wegen schwerer Körperverletzung und räuberischer Erpressung einen zweijährigen Nachschlag zu einer bereits 18-monatigen Haft erhalten. Der Wohnungslose mit starken Alkohol- und Drogenproblemen legte ein Teilgeständnis ein, was ihm aber bei der Strafzumessung nur bedingt geholfen hat. Der Richter sprach in seiner Urteilsbegründung bei dem aus der Justizvollzugsanstalt Dieburg transportierten Mann von einem Bewährungsversager.
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Die angeklagte Tat spielte sich am 1. Oktober 2021 in Herborn ab. Früh, gegen 1.30 Uhr, suchte er zusammen mit seiner damaligen Freundin einen Bekannten auf. Beide hatten zwischenzeitlich dort gewohnt. Angeblich ging es um den verschwundenen Laptop der Frau, die als Zeugin geladen war.
Richter bezeichnete Wohnung als "Drogenhöhle"
Sie erschien aber nicht, wobei hier auch eine Wohnungslosigkeit bei der Zustellung der Ladung eine Rolle gespielt haben könnte. Richter Gampe nannte die Wohnung später eine "Drogenhöhle" und vermutet, dass das inzwischen auch obdachlose Opfer den Laptop zur Drogenfinanzierung verkaufte.
Auf jeden Fall muss der Angeklagte sofort mit einem Rohr oder einem ähnlichen Gegenstand auf den heute 28-Jährigen, dessen suchtbedingte Verwirrtheit bei seiner Aussage vor Gericht offenkundig war, eingeschlagen haben. Dieser flüchtete ins Nachbarhaus zu seiner Mutter, nannte dabei den Namen der Angeklagten. Die Frau rannte vor ihre ehemalige Wohnung, die sie ihrem Sohn zur Verfügung gestellt hatte. Dort traf sie zunächst die junge Frau, anschließend den damals 37-Jährigen. Ihm habe sie den auf dem Boden stehenden Fernseher weggenommen, dann aber auf den Zugriff einer schwarzen Reisetasche mit mehreren Elektrogeräten verzichtet ("Bevor ich einen drüber gebrezelt bekomme"), als der Gegenüber die Hand gehoben habe.
"Sorgenkind" nennt als Beruf "Hartz 4"
Die Mutter nannte ihren Sohn, der später aus der Mietwohnung geflogen ist, ein "Sorgenkind", sprach von kaum Kontakt und von Beschaffungskriminalität und sagte: "Der macht sich ja alles kaputt." Der 28-Jährige gab vor Gericht als Beruf "Hartz 4" an. Der Diebstahl einer X-Box und eines Geldbeutels wurde gegenstandslos, weil das Opfer auf einem ihm nicht bekannten Weg das Gerät zurückbekommen und sich der Geldbeutel unter dem Bett wiedergefunden hatte.
Der Angeklagte sagte im Anschluss an die Zeugenvernehmungen zwar über seine Rechtsanwältin Christiane Menne aus, doch es blieben Lücken, die mit dem langjährigen und in letzter Zeit zunehmenden Alkohol- und Drogenkonsum begründet wurden.
Angeklagter sprach von mittleren bis schweren Alkoholisierung
Er sprach von "mal mehr, mal weniger - aber täglich". Er räumte aber den Schlag mit einem Gegenstand aus der Wohnung ein, sagte, er habe die Hand nicht bewusst gehoben und ihm sei klar gewesen, dass seine Freundin mehr in die Tasche eingepackt hatte, als ihr gehörte. Er sprach von einer mittleren bis schweren Alkoholisierung in dieser Nacht, zudem habe er am Abend gekifft gehabt. Richter Gampe dagegen nannte das "Selbstjustiz".
Der 38-Jährige hat eine Ausbildung gemacht und auch erfolgreich abgeschlossen, doch ein Jahr nach seiner Lehre endete die Beschäftigung in seinem Ausbildungsbetrieb. Mit seiner Sucht fehlte es an Zuverlässigkeit, sodass seine Tätigkeiten über eine Zeitarbeiterfirma zumeist schnell wieder ein Ende fanden. Dazu kam zuletzt eine Obdachlosigkeit, die es ihm nach eigener Aussage schwer machte, "den Job zu händeln". Inzwischen haben sich bei ihm geschätzte 30.000 bis 40.000 Euro Schulden angehäuft.
Zahlreiche Verfehlungen vor Amtsgericht Wetzlar verhandelt
Dass er aus der Justizvollzugsanstalt nach Dillenburg gebracht wurde, lag an seinen umfangreichen Vorbelastungen. Diese drehten sich oft um sein Fahrzeug. Nach diversen Verurteilungen, in einem Fall aus dem Frühjahr 2020 wegen Fischwilderei am Aartalsee, wurden die unzähligen Verfehlungen am 8. April 2021 am Amtsgericht Wetzlar verhandelt. Trotz Fahrverbots war er im Wetzlarer Raum immer wieder mit seinem Auto unterwegs gewesen, dabei spielten sowohl gefälschte Plaketten an unterschiedlichen Kennzeichen als auch das Fahren unter Alkohol- und Drogeneinfluss eine Rolle. Weil er sich damals therapiewillig gezeigt hatte, war die 18-monatige Strafe auf Bewährung ausgesetzt worden. Weil er aber auch seine 200 Arbeitsstunden nicht ableistete, wurde die Bewährung widerrufen und er am 2. Mai dieses Jahres inhaftiert. Außerdem muss der 38-Jährige wegen einer nicht bezahlten Geldstrafe aus dem November 2019 als Ersatz noch 70 Tage absitzen.
Staatsanwältin Alena Fuhrmann sah keine mildernden Umstände. Weil der Angeklagte "seine Chance verpasst hat", forderte sie in ihrem Plädoyer zwei Jahre ohne Bewährung, dazu einen Haftbefehl wegen Fluchtgefahr, sollte sich die Vollstreckung des Urteils über mehrere Instanzen so lange hinziehen, dass die jetzige Haftstrafe abgesessen ist. Die Pflichtverteidigerin Christiane Menne sieht die erhebliche multitoxische Einwirkung ihres Mandanten als Minderungsgrund für die zu verhängende Strafe. Sie bat um eine zweite Chance, plädierte auf ein Jahr Haft mit Bewährung und die Vorgabe, eine Therapie zu machen. Nach dem Urteil verzichteten beide Seiten auf Rechtsmittel.
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Richter Gampe stellte dem Verurteilten in Aussicht, nach Verbüßung der 18 Monate Haft relativ zeitnah in eine Therapie wechseln zu können. Durch den harten Entzug in Dieburg sei hier schon eine Basis gelegt. Der Jurist mahnte aber auch: "Schließen Sie sich nicht denen an, die schon planen, was sie machen, wenn sie wieder draußen sind."