Beim Besuch von Hessens Kultusminister Alexander Lorz in Dillenburg und Herborn wird deutlich, mit welchen Problemen auch die Gymnasien zu kämpfen haben.
Dillenburg/Herborn. Auch wenn Corona im Schulalltag kaum noch eine Rolle zu spielen scheint und die Zeit des Homeschoolings fast vergessen ist – die Nachwehen der Pandemie sind an den Schulen weiter deutlich spürbar. Auch an den Gymnasien, wie Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) beim Besuch der Wilhelm-von-Oranien-Schule in Dillenburg eindrucksvoll geschildert wurde.
Emotional-soziale Stabilisierung von Schülern heißt, was Sozialpädagoge Dominik Schnurr und Förderschullehrerin Jördis Herr in Dillenburg zu stemmen versuchen. Als eine Welle nach der Corona-Welle beschreibt Schnurr den deutlichen Anstieg an Beratungsbedarf bei Angst- und Essstörungen, Identitätskonflikten, depressiven Störungen und selbstverletzendem Verhalten, den es an der Schule gibt. Und der kein Einzelfall ist, wie Lorz bestätigt.
Minister verspricht zusätzliche Stellen
„Es fängt mit Bauchweh und Übelkeit am Morgen an“, schilderte Jördis Herr den anonymisierten Fall des Fünftklässlers „Max“. Dessen Angst vor dem Gang in die Schule bereite schon zu Hause den Eltern Stress. Der setze sich fort, wenn später nicht klar sei, ob Max aus dem Auto aussteige und das Schulgebäude betrete, als seine Mutter ihn zum Gymnasium gefahren hat. Im Unterricht weint Max dann und lässt sich wieder abholen. Die Folge sind Gespräche mit dem Schüler und seinen Eltern. „Es ist besser, er kommt für drei Stunden als gar nicht“, sagt Herr.
Noch dramatischer ist der Fall von „Irina“, einer Oberstufenschülerin, die in der Pandemie eine Depression entwickelt habe. „Sie hält es schließlich nicht mehr aus und denkt an Suizid“, schildert Schnurr ihre Situation, die zu einem Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie geführt habe.
Auch in ihrem Fall hätten die Beschränkungen, die mit der Corona-Pandemie verbunden waren, die Probleme verstärkt. Die Unterstützung durch professionelle Hilfe werde allerdings durch die langen Wartezeiten von bis zu einem halben Jahr erschwert.
„Wir wären ohne Jördis Herr und Dominik Schnurr überfordert“, unterstrich Schulleiter Martin Hinterlang die Dringlichkeit, zumal die Stundenzuweisung für die Betreuung abgesenkt worden seien.
Weil man die Probleme an vielen Schulen beobachte, habe die Landesregierung schon 15 zusätzliche Psychologen eingestellt. „Ich sehe auch, dass das noch lange nicht genug ist“, erklärte Lorz und kündigte an, die Stellen weiter aufzustocken und zusätzliche Kräfte auszubilden.
Johanneum führt humanoide Roboter vor
Und während die Folgen der Corona-Pandemie noch nicht überwunden sind, ist mit den Flüchtlingen aus der Ukraine eine zusätzliche Herausforderung zu bewältigen. Das Dillenburger Gymnasium hat derzeit drei sogenannte Intensivklassen, in denen ausschließlich ukrainische Schüler unterrichtet werden.
Glücklicherweise könne man auf die Unterstützung von vier Lehrkräften aus der Ukraine zurückgreifen, was besonders in den ersten Unterrichtswochen eine enorme Hilfe sei, berichtete Fachbereichsleiter Markus Hoffmann.
Die Wilhelm-von-Oranien-Schule ist seit 2014 eine sogenannte „Selbstständige Schule“ und kann deshalb viele Dinge selbst entscheiden. Noch mehr Befugnisse wünsche die Schule sich bei der Umwandlung von Zeitverträgen in Planstellen, gab Hinterlang dem Minister mit auf den Weg nach Wiesbaden.
Diesen Wunsch unterstrich auch die Personalratsvorsitzende Kerstin Weber, die darum bat, früher als bislang vor den Sommerferien zu klären, ob Zeitverträge verlängert würden. Das verringere die Unsicherheit der betroffenen Kollegen und ihrer Familien.
Zuvor hatte der Kultusminister sich einen kurzen Einblick in den Physikunterricht einer iPad-Klasse verschafft. In der hatte Lehrer Tim Rußmann der 10b ein Experiment zur Erzeugung elektrischer Spannung als Aufgabe gestellt.
Die Digitalisierung des Unterrichts war ein Schwerpunktthema beim anschließenden Besuch des Ministers am Herborner Johanneum. In diesem Bereich ist die Schule führend in Hessen. Im Labor für künstliche Intelligenz, von dem es im Bundesland nur zwei gibt, durfte Lorz auch humanoide Roboter kennenlernen.
Wie in Dillenburg gibt es auch am Johanneum drei Intensivklassen mit ukrainischen Schülern. Schulleiter Christian Betz informierte den Minister über die Probleme und Gewinne, die mit dem Unterricht der Geflüchteten verbunden seien.
Der Kultusminister versprach, dass die Rahmenbedingungen für den Unterricht in den Intensivklassen verbessert werden.