Nach tödlichen Badeunfällen waren die Seen Mittelhessens in aller Munde. Selten wird über die ehrenamtlichen Helfer gesprochen. Was erleben sie an der Krombachtalsperre? Mit Video!
DRIEDORF-MADEMÜHLEN. Die Sonne spiegelt sich auf der Wasseroberfläche - in der Ferne ist das Brummen des Motorbootes zu hören. Kurz knackt es, als das Funkgerät anspringt. "Wir müssen uns etwas anschauen." Funk Ende.
Drei Minuten dauert es. Dann wird es lauter, und das rote Boot mit den drei rot gekleideten Personen rauscht wieder heran. Leichte Wellen schlagen. Karoline Schmitt hebt den Daumen hoch. Entwarnung, alles gut, kein Notfall. "Lieber einmal mehr als einmal zu spät", sagt die Ehrenamtliche der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). Auf dem Wasser der Krombachtalsperre sei weit entfernt etwas zu sehen gewesen. Ein Segel? Ein Surfbrett?
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"Dort hätte auch ein Mensch in Schwierigkeiten sein können", erklärt Valentin Schmitt. Am Ende ist es bloß eine große Pflanze. Der Dritte im Bunde, Phil Grove, ergänzt: Man entwickle zwar einen Blick für das Geschehen auf dem See, gehe aber auf Nummer sicher.
Von Mai bis September jedes Wochenende im Einsatz
Eigentlich ist das Trio an diesem Abend gar nicht im Dienst. Am Strand und auf der Talsperre ist nicht viel los. Besetzt ist die Wasserrettungsstation, die sich in der Nähe des Driedorfer Ortsteils Mademühlen befindet, am Wochenende und an Feiertagen. Von Mai bis September und von 10 bis 17 Uhr. Bis zu acht Aktive der DLRG sind vor Ort: Sie beobachten den See und eilen im Notfall zur Hilfe. Auch der Wachturm am Strand ist besetzt, wenn Betrieb ist. Mindestens zu zweit. "Wer auf dem Turm ist, wird regelmäßig abgelöst, damit niemand den ganzen Tag aufs Wasser schaut", sagt Phil Grove.
Rückblick, 16. Juni, acht Kilometer entfernt: Mitten im Heisterberger Weiher geht ein 22-Jähriger nachts baden - und ertrinkt. Nur 15 Stunden später stirbt ein 79-Jähriger im Waldsee Probbach. Die Gefahren von Badeseen sind seitdem in aller Munde. Selten wird über die Helfer gesprochen, die in ihrer Freizeit etliche Stunden damit verbringen, die Seen sicherer zu machen.
An der Krombachtalsperre sitzen die drei Rettungsschwimmer an einer Feuerstelle - im Hintergrund die Wachstation. Acht Schlafplätze gibt es dort. Daneben steht der Bootsschuppen. Ein Bootssteg führt in den See. Rund 850 Meter liegen zwischen der Station und der anderen Seite der Talsperre. Der Bereich, den die DLRG beaufsichtigt, ist groß. "Gerade, wenn es hier voll ist, ist das schon eine Herausforderung", gibt Valentin Schmitt zu.
Klar verteilte Aufgaben, damit es schnell geht
Umso wichtiger ist es, die Aufgaben zu verteilen - und sich abzuwechseln. Zur achtköpfigen Standardbesetzung zählen ein "Wachführer" und ein "Bootsführer." Die anderen sind "Wachgänger", also Rettungsschwimmer, die auch in Sanitätsfragen geschult sind. Eine Person steht stets mit dem Fernglas an der Station und sucht das Wasser im Schwenk ab. Etwa 70 Prozent der Talsperre lassen sich von dort aus einsehen. Auch dieser Dienst wechselt regelmäßig. Meist ist außerdem ein Boot auf dem Wasser unterwegs. Alle sind eingebunden, damit alles möglichst sicher ist. 30 Einsätze gab es im vergangenen Jahr, bei acht ging es um Erste Hilfe am Strand.
Entdecken die Rettungsschwimmer etwas, geht es ganz schnell. In der Regel erreichen die Helfer mit dem Motorboot alle Punkte an der Talsperre innerhalb von zwei Minuten. Jede und jeder weiß, was zu tun ist und hat eigene Aufgaben. Neben dem "Bootsführer" bedient eine Person das Funkgerät, eine andere hält sich bereit, ins Wasser zu springen, wenn das nötig ist. Zeit, die vielleicht entscheidend ist, um Leben zu retten.
Die drei DLRG-Aktiven räumen auch mit Klischees auf: Man müsse sich von der Vorstellung lösen, dass irgendwer beide Arme hebe und laut rufe "Hilfe, ich ertrinke!". "Wir kennen das aus ,Baywatch': Jemand winkt, dann rennt der Rettungsschwimmer los und zieht ihn an Land. In echt ist das höchstgefährlich", hält Valentin Schmitt fest.
Er erinnert sich auch an einen Einsatz an der Ostsee: Vom Turm aus beobachtete er eine Gruppe Jugendlicher. Ein Junge habe zwar Schwimmbewegungen gemacht, sei aber nicht mehr vorwärtsgekommen. Kein Hilferuf, kein anderes Zeichen. "Auf einmal war er weg. Hätten wir nicht zufällig hingeschaut, hätte es vielleicht niemand gesehen."
Die "Patienten" - so werden die Betroffenen konsequent genannt - hätten mit Krämpfen und Panik zu tun. Und damit, sich über Wasser zu halten. Es bestehe die Gefahr, dass sie sich an den Rettern festhalten und sie unter Wasser drücken. Deshalb springen diese nur im Notfall in den See. Sie nähern sich, sichern die Person und ziehen sie ins Boot. An Bord befindet sich kaum noch die klassische Rettungsboje, sondern ein "Gurtretter", der aus einem Brust-Schulter-Gurt, einer Verbindungsleine und einem Auftriebskörper besteht.
Niemand ist alleine: Über Einsätze wird gesprochen
Gerufen wird die DLRG auch, wenn die Wachstation nicht regulär besetzt ist. Zunächst werden Rettungsdienst und Feuerwehr alarmiert. Spielt sich ein Notfall auf dem Wasser ab, sind aber stets auch die Rettungsschwimmer gefragt. Seit einem Jahr gibt es an der Krombachtalsperre eine Notrufsäule - mit einem direkten Draht zur Leitstelle in Wetzlar. Eine große Hilfe.
Und was machen die Ausnahmesituationen mit den Rettern? "Jeder Einsatz ist prägend. Man lernt, damit umzugehen, es zu verarbeiten - im Team. Jeder reagiert anders, niemand bleibt alleine. Wir sprechen über alle Einsätze", betont Valentin Schmitt. Bei Bedarf könne man auch die psychosoziale Notfallversorgung des Kreises nutzen.
Auch bei der Entenfamilie geht Sicherheit ganz klar vor
Nach zwei Stunden ist die Sonne immer noch da. Als das DLRG-Trio am Bootssteg steht, ist es in seinem Element. Doch es gibt einen kleinen Wermutstropfen. "Vielen ist nicht bewusst, dass wir das alle ehrenamtlich machen", sagt Karoline Schmitt. Es gebe zwar Zuspruch, aber auch schon mal Pöbeleien. Alles werde als selbstverständlich angesehen. Dienste, Ausbildung, Training. Der Aufwand ist riesig. "Trotzdem macht es großen Spaß."
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Kurz darauf schwimmt eine Entenfamilie zögerlich am Bootssteg vorbei. Alle in einer Linie. Die Luft ist rein. Sicherheit geht vor. So wie an der Wachstation der DLRG.