Das Apothekerehepaar Martin aus Ehringshausen-Katzenfurt bangt um die Versorgung der Patienten. Denn immer mehr Medikamente sind Mangelware.
Ehringshausen-Katzenfurt. Die Stimmung von Stephanie Martin liegt irgendwo zwischen Empörung und Verzweiflung. Denn sie und ihr Mann Andreas, Inhaber der Elch-Apotheke im ländlichen Katzenfurt, haben Sorgen, was die Verfügbarkeit von Medikamenten angeht.
Zu ihnen kommen Kunden aus Katzenfurt und Daubhausen, Greifenthal und Edingen. Überwiegend im Alter von 60 plus, aber in letzter Zeit auch Jüngere, die die Lädchen vor Ort entdecken, sagt der 51-Jährige. Aber die meisten seien Stammkunden, viele, die nicht mehr sehr mobil seien.
Dass es so umfassend ist, macht mir Angst.
Seit etwa fünf Monaten verzeichnet die kleine Apotheke einen „desaströsen Medikamentenengpass“, der sich auf keine speziellen Arzneimittelgruppen beschränkt, berichtet die 49-Jährige, sondern durch das gesamte Sortiment gehe, von Fiebersaft bis Krebsmedikament, Antibiotika, Blutdruckmittel, Antidepressiva, Antiepileptika, Schmerzmittel für die Palliativmedizin, sogar Insuline. Stephanie Martin stellt fest: „Dass es so umfassend ist, macht mir Angst.“
Kritik an den Rabattverträgen
Die „Mängelliste“ – sie ist beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, www.bfarm.de, zu finden – umfasst aktuell offiziell 280 Medikamente. Das sei aber die Spitze des Eisbergs, weil nur absolut „versorgungsrelevante“ Arzneimittel gemeldet werden müssen. Frei verkäufliche, nicht verschreibungspflichtige Medikamente, wie Fieber- und Hustensäfte, seien zum Beispiel nicht dabei.
Allein Martins „Defektliste“, also von Medikamenten, die normalerweise im Lager, aber jetzt nicht lieferbar sind, weist 150 Positionen auf, 150 leere Stellen in der Schublade, die sie, wenn möglich, mit Ersatzprodukten füllen.
Woher kommt dieser Mangel? Stephanie Martin kann nicht den Finger in die Wunde legen und sagen: Daran liegt es. Die Ursachen seien vielfältig: Globalisierung und Zentralisierung der Produktionsstätten für Arzneimittel vor allem in Indien und China (mittelfristig müssten Medikamente wieder verstärkt in Europa produziert werden), fehlende Hilfsstoffe. Und: die niedrigen Preise durch die Rabattverträge der Pharmaindustrie mit den Krankenkassen.
Diese „unseligen Rabattverträge“ der Kassen sorgten speziell in Deutschland für ein Preisdumping, sodass Pharmafirmen lieber in andere europäische Länder liefern, wo sie ihre Waren teurer verkaufen könnten. Hinzu komme, dass Firmen die Produktion von Medikamenten, die nicht mehr gewinnbringend herzustellen seien, einstellen.
Obendrauf kämen für die Pharmaindustrie steigende Energiepreise, Lohnerhöhungen, Mangel und Verteuerung von Verpackungsmaterial.
Spielen Online-Apotheken eine Rolle? Beide winken ab, obwohl: Manchmal wundere man sich schon, dass man dort etwas bestellen kann, was sie nicht mehr haben, aber manches gebe es auch online nicht mehr. Ihre Sorgen haben Martins auch in einem Brief an die Bundestagsabgeordnete Dagmar Schmidt (SPD) formuliert, mit der Bitte, den Gesundheitsausschuss des Bundestages und Minister Karl Lauterbach (SPD) auf die Dringlichkeit der Lage aufmerksam zu machen.
Stephanie Martin befürchtet, dass die Situation, die noch durch die Arbeit der Apotheken handhabbar sei, sich im Winter verschlimmern wird.
Und ja, es gebe Unmut bei Kunden. Andreas Martin: „Wir sagen aber nicht, das geht nicht, sondern suchen erst einmal nach einer Lösung, was könnte man tun, meist in Zusammenarbeit mit dem Arzt.“ Es sei zeitaufwendig, gemeinsam mit der Praxis eine Lösung auszuknobeln, die dem Patienten möglichst gut hilft. Der sei aber nicht immer glücklich, wenn er nicht sein gewohntes Präparat bekomme, da müsse man Überzeugungsarbeit leisten. „Meistens geht es gut, können wir den Betreffenden versorgen, aber in jüngster Zeit ist es schwieriger geworden.“
Alternativen für die Patienten ausknobeln
Stephanie Martin: „Als Apothekerin möchte ich mir nicht irgendwann vorwerfen lassen müssen, wir hätten die Situation nicht rechtzeitig oder dringlich genug kommuniziert.“ Und ihr Mann skizziert ihre Lage so: Die Marge der Apotheken sinkt, die Kosten steigen, Ärzte gehen in Ruhestand, es fehlen Nachfolger. Seine Angst ist, dass es ihnen ergeht wie den Tante-Emma-Läden – dass „Apotheken wie diese in absehbarer Zeit verschwunden sein werden“.