"Zeitbombe": Dillenburger Brandstifter muss in Haft

Auf 25.000 Euro taxiert die Polizei den Schaden, den der angeklagte und verurteilte Flüchtling am 10. August 2020 durch die Brandstiftung in seiner Asylunterkunft in Eibelshausen anrichtet. Die Scheune mit der nicht wieder sanierten Wohnung fällt am 4. August dieses Jahres einem Vollbrand zum Opfer. Foto: Jörg Fritsch

Ein 37-Jähriger hat sich unter anderem wegen Brandstiftung und eines Messerangriffs verantworten müssen. Er wurde noch im Gerichtssaal mit Hand- und Fußfesseln gesichert.

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DILLENBURG/ESCHENBURG/ SINN. Zu einer Haftstrafe in Höhe von drei Jahren und acht Monaten hat das Dillenburger Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Matthias Gampe einen 37-jährigen Flüchtling verurteilt, der kein Deutsch spricht und deshalb von einem Dolmetscher begleitet wurde. Von den sieben Anklagepunkten waren drei so gewichtig, dass sie mit Haftstrafen belegt wurden. Der Anklagevertreter, Amtsanwalt Christian Messerschmidt, hatte glatte vier Jahre gefordert, Verteidigerin Monika Trapp hielt eine dreijährige Haftstrafe für angemessen.

Dass es für den Flüchtling nach dem Urteil nicht mehr in die Asylunterkunft im Karl-Kellner-Ring in Wetzlar gehen sollte, deutete sich am Freitag schon vor Prozessbeginn an, als der erste Justizhauptwachtmeister des Amtsgerichts die Fenster zum Hofgarten hin auf den ordnungsgemäßen Verschluss hin überprüfte.

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Und spätestens, als 29 Minuten nach Verhandlungsbeginn Richter Gampe nach einem kurzen Abnicken der beiden Schöffen einen Haftbefehl wegen Fluchtgefahr erließ, musste dem Angeklagten klar sein, dass er nicht mit einer Bewährungsstrafe davonkommen würde.

Das wurde dadurch untermauert, dass zwei Polizisten dem 37-Jährigen Handschellen und Fußfesseln anlegten. Die beiden Beamten wurden wenig später durch zwei Wachpolizisten abgelöst. Vorausgegangen war ein entsprechender Antrag von Messerschmidt, der von einer Fluchtgefahr ausging, die fehlende Bindung und deutsche Sprache anführte und sich sicher war: "Sie hält hier nichts."

Angeklagter entschuldigt sich vor den Plädoyers

Dies unterstrich der Richter später in seiner Urteilsbegründung mit Blick auf "Ausflüge" des Angeklagten in die Schweiz, nach Frankreich und nach Holland. "Er würde nicht bis zur Berufungsverhandlung warten, er wäre einfach weg", sagte Gampe. Der Angeklagte ergriff am zweiten Verhandlungstag vor den Plädoyers das Wort, entschuldigte sich, begründete seine Fehler mit dem Einfluss von Alkohol und Drogen ("Ich war dafür nicht verantwortlich") und versprach, solches werde nicht mehr passieren.

Er nannte als Gründe für sein Fehlverhalten seine Abhängigkeit ("Ich trinke eine Flasche Wodka pro Tag und zwei bis drei Dosen Bier am Tag") und die Tatsache, dass er seine bei der Ex-Ehefrau in Deutschland lebenden Kinder nach der bereits in seinem Heimatland vollzogenen Scheidung nicht sehen darf. Messerschmidt sollte später von einer "halb garen Entschuldigung" sprechen.

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Der Anklagevertreter sah in den Zeugenaussagen am ersten Verhandlungstag die "Vorwürfe vollumfänglich bestätigt". Der Angeklagte sei "in der Gesamtheit überführt worden". Als er am 3. September 2019 im Erstaufnahmelager in Gießen nach einer Selbstverletzung mit einer Rasierklinge später zusätzliche Medikamente mit einem Messer gefordert habe, "war es dem Zufall geschuldet, dass nicht mehr passiert ist".

Messerstecherei in Sinn "passt ins Bild"

Die Messerstecherei am 12. Januar in Sinn "passt ins Bild", der 37-Jährige hätte auch ein weiteres Mal zugestochen. Und bei der Brandstiftung am 10. August 2020 in seiner Asylunterkunft in Eibelshausen könne man anhand des in dieser Zeitung veröffentlichen Außenfotos der Scheune erkennen, wie nah das nebenstehende Wohnhaus entfernt war. Weil es einen Streit mit den dortigen Bewohnern gegeben habe, stand damit auch die Möglichkeit im Raum, dass der Angeklagte mehr als nur seine Wohnung in der Scheune habe zerstören wollen. Messerschmidt sprach von einer "vernichtenden Beurteilung", der Angeklagte sei "auch heute noch eine tickende Zeitbombe".

Während Christian Messerschmidt zwei Diebstähle, eine Beleidigung und eine Bedrohung mit jeweils 60 Tagessätzen bestraft haben wollte (im Urteil wurden aus den 240 160 Tagessätze), forderte er für Gießen zwei Jahre, für Sinn ein Jahr und sechs Monate sowie für Eibelshausen zwei Jahre und zwei Monate. Diese Einzelstrafen von insgesamt fünf Jahren und acht Monaten summierte er dann auf glatte vier Jahre.

Verteidigerin Monika Tropp sagte, ihr Mandant habe "kapiert, dass er großen Mist gebaut hat". Sie sprach von einem positiven Entwicklungsprozess ihres Mandanten: "Er kommt langsam in Deutschland an." Auch müsse man berücksichtigen, "dass er letzte und diese Woche zur Verhandlung gekommen ist". Sie ging nicht auf die einzelnen Anklagepunkte ein, hielt eine dreijährige Gesamtstrafe für angemessen.

Die Anwältin machte zudem den Versuch, ihren Mandanten an der Justizvollzugsanstalt (JVA) vorbei in eine Entziehungseinrichtung "umzuleiten". Diese Möglichkeit sieht das Strafgesetzbuch im Paragrafen 64 vor. Er könne den Entzug schaffen, außerdem sei eine JVA nicht dienlich und hilfreich. Tropp meldete Bedenken über die Rechtmäßigkeit des Haftbefehls an, wollte die Haft gerne dazu nutzen, dass sich der Angeklagte unter professioneller Betreuung von seiner Sucht befreien kann.

Nicht politisch Verfolgter, sondern Kriegsflüchtling

Hier konterte Amtsanwalt Messerschmidt noch vor der Pause für die Urteilsberatung des Schöffengerichts. Er sehe keine Erfolgsaussichten, weil die Betreuung auf Sprachtherapie basiere. "Die Plätze, die es gibt, sollte man denen vorbehalten, bei den es Erfolgsaussichten gibt", nannte er als Gründe für seine Ablehnung.

Ähnlich äußerte sich auch Richter Gampe: "Den '64-er' verneinen wir." Ohne die deutsche Sprache sei kein erfolgreicher Entzug zu erwarten, auch seien die Entziehungsanstalten völlig überlastet. Der Richter ist sich sicher, dass sein Asylantrag abgelehnt wird, denn der 37-Jährige sei kein politisch Verfolgter, sondern ein Kriegsflüchtling. Die Aufenthaltsgestattung des im Jahr 2017 Geflohenen läuft am 25. Januar 2023 ab. Gampe rechnet damit, dass es im Frühjahr in Limburg vor dem Landgericht eine Berufungsverhandlung geben wird.