Ehringshausen: Kita-Leiterin hat Generationen betreut

Umgeben von Kindern: Für Marina Sirvend (links, oben) ist das seit 40 Jahren Alltag.  Foto: Sebastian Reh

Seit 1986 hat Marina Sirvend die Katzenfurter Kita "Gestiefelter Kater" geleitet. Sie hat die Kinder der Kinder bereut. Vieles hat sich verändert, die Liebe zum Beruf jedoch nicht.

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EHRINGSHAUSEN/GREIFENSTEIN. "Nanu, den Namen kenne ich doch": Wenn die Kita-Leiterin Marina Sirvend ihre Unterlagen durchgewühlt hat, war ein Déjà-vu keine Seltenheit. Die Greifensteinerin hat knapp 40 Jahre die Kita "Gestiefelter Kater" in Ehringshausen-Katzenfurt geleitet. Sie hat die Kinder der Kinder betreut. Nun ist damit Schluss. Die 62-Jährige geht in Rente - und blickt auf ihre Zeit als Erzieherin zurück.

Mit den Jahren kamen viele Verwaltungsaufgaben dazu

Es war eine Zeit mit vielen Veränderungen. Ob Eltern, Kinder, Erziehung oder die Kita selbst, nichts ist noch so, wie es Anfang der 80er-Jahre war. Eine Konstante gibt es aber: Sirvends Liebe zum Beruf. "Ich habe mich hier immer sehr wohl gefühlt. Ich hatte immer ein sehr nettes Team, es war fast wie eine Familie."

Ihr sei schon früh klar gewesen, dass sie mit Kindern arbeiten will. 1983, ein Jahr, nachdem sie ihre Ausbildung abgeschlossen hatte, begann sie in der Katzenfurter Kita zu arbeiten. "Ich wollte nicht mit Akten arbeiten, sondern mit Menschen", sagt sie. Das hat aber nicht ganz geklappt.

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Bereits 1986 hat Sirvend die Leitung übernommen. Zu ihren erzieherischen Aufgaben kamen administrative hinzu. Am Ende war das nur halb so schlimm. "Im Nachhinein bin ich froh, dass ich die Stelle angenommen habe. Das war ein guter Ausgleich", erklärt die 62-Jährige. Doch der Verwaltungsaufwand sei über die Jahre gestiegen.

Wo es in der Vergangenheit vor allem um Organisation von Elternabenden und Festen gegangen sei, müsse sich die Kita heute auch um Bestellungen und Abrechnungen, etwa von Getränken, Essen, Toilettenpapier, um An- und Abmeldung der Kinder kümmern.

Klassische Großfamilie existiert kaum noch

Allein konnte Sirvend das nicht mehr bewältigen. Sie musste eine echte Chefin werden. Sie musste lernen, zu delegieren. Schließlich hatte sie einen Wunsch. Sie wollte mit Menschen arbeiten, nicht mit Akten. Und sie ist stolz, das geschafft zu haben: "Ich bin froh, dass ich als Leiterin nie freigestellt war."

Das Berufsbild habe sich aber nicht nur in puncto Bürokratie verändert. "Die Arbeit von Erzieherinnen wird wichtiger und anstrengender", findet Sirvend. Das lasse sich bereits an den Öffnungszeiten der Katzenfurter Kita ablesen. Damals war sie von 8 bis 12 Uhr geöffnet. Von 13.30 bis 16 Uhr gab es noch eine Betreuungszeit. Diese sei jedoch eher selten in Anspruch genommen worden, teilweise so wenig, dass sie erst gar nicht stattfand. Heute hat die Kita von 7 bis 16.30 Uhr geöffnet.

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"Berufstätigkeit hat sich verändert. Mütter haben damals für gewöhnlich nicht gearbeitet", erklärt die Fachfrau. Auch die Großeltern fielen als Unterstützung zunehmend weg. Die klassische Großfamilie, das Mehrgenerationenhaus, existiere kaum noch.

Früher, so Sirvend, war es üblich, dass Kindern Fähigkeiten wie das Schuhebinden oder Lesen der Uhr zu Hause beigebracht wurden. Heute seien das meist Aufgaben der Kita. Sie beobachte auch, dass Sprachauffälligkeiten zunehmen. Sie führt das darauf zurück, dass in Familien weniger vorgelesen werde.

"Das Soziale ist auch wichtig. Dass man das Selbstbewusstsein hat, etwas zu sagen, wenn man ein Problem hat."

Marina Sirvend, Erzieherin

Sirvend will das jedoch nicht als Vorwurf verstehen. "Die Eltern sind heute selber mehr gefordert", sagt sie. Heute sei es normal, dass beide Elternteile für den Lebensunterhalt arbeiten müssen. Da fehle oft die Zeit oder Kraft, den Kindern vorzulesen.

Zwar habe sich der Personalschlüssel der Kita verbessert, heute stünden pro Kind mehr Erzieher zur Verfügung. Der Anspruch sei aber auch gestiegen. So hat die Kita "Gestiefelter Kater" heute einen Bauraum, ein Atelier und einen Rollenspielraum.

Damit die Kinder ihr Leben meistern können, reiche es allerdings nicht aus, nur die kognitiven und motorischen Fähigkeiten zu fördern. "Das Soziale ist auch wichtig. Dass man das Selbstbewusstsein hat, etwas zu sagen, wenn man ein Problem hat", findet Sirvend. Dafür gibt es in der Kita etwa einen Kinderbeirat.

Das Ziel der 62-Jährigen war es, jedes Kind auf das Leben vorzubereiten. Sie habe aber nie die Persönlichkeit der Kinder verändern wollen. "Man sollte jedes Kind annehmen, wie es ist", meint sie und fügt hinzu: "Ein Erzieher sollte seine Macht nie ausspielen."

Ein Erzieher sollte seine Macht nie ausspielen

Diese respektvolle Art scheint auch bei den Kindern gut angekommen zu sein. Die Jungen und Mädchen, die sie vor Jahrzehnten betreut hat, sind heute erwachsen. Einige haben selbst Kinder - und sie in ihre alte Kita gebracht. "Es ist ein schönes Gefühl, alte Kita-Kinder wieder zu sehen. Alle, die bisher da waren, haben sich auch gefreut, mich zu sehen."

Beruflich wird sie so etwas nicht mehr erleben. "Ich bin auch traurig, dass es vorbei ist", sagt sie. Doch bei vier Enkelkindern im Alter zwischen fünf und zehn Jahren dürfte ihr auch in der Rente nicht langweilig werden. "Ich bin ein Familienmensch", stellt Marina Sirvend klar. Aber erst einmal sei Erholung angesagt.