Meinung

Kommentar zur Erinnerung an die Shoah: Mahn mal lokal!

Christian Hoge
Gedenkstunde zur Reichspogromnacht am Holocaust-Mahnmal in Herborn.

Redakteur Christian Hoge über die Ermordung von sechs Millionen Juden und warum wir keinen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit ziehen können.

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Die Zahlen sind schwer greifbar, weit weg. Vielleicht, weil das Grauen kaum zu fassen ist, die Vorstellungskraft sprengt. Die Shoah, die Ermordung von sechs Millionen Juden, ist aber Realität. Doch: Jeder zweite Deutsche will einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit ziehen. Das ist verheerend. Ein Ende der Erinnerung darf es nicht geben. Damit sich das Unfassbare nie wiederholt. In einer Zeit, in der Hass, Ausgrenzung und Antisemitismus wieder (oder immer noch) salonfähig sind. Erinnerung darf aber keine Worthülse sein. Sie muss greifbar werden, nahe gehen, im Kopf bleiben. Wir müssen zeigen: Das Grauen hat sich vor unserer Haustür abgespielt. Und es erzählt die Geschichten aller – vom Säugling bis zum Greis. So wie die der achtjährigen Silvia Salomon aus Herborn. 1942 wird das Mädchen ins Vernichtungslager Majdanek gebracht. Stellen Sie sich Ihre achtjährige Enkelin vor, das achtjährige Nachbarskind. Erinnerung erzählt auch die Geschichte von Leopold Hecht. Der beliebte Herborner hatte in seiner Heimat viele Freunde. Als er 79 Jahre alt ist, deportieren die Nazis ihn in den Tod. Denken Sie an den freundlichen alten Mann im Dorf, den alle mögen, die greise Frau, die jeder kennt. Dem, der Fußball liebt, geht vielleicht das Schicksal des Fußballers nahe, der in Auschwitz vergast wird. Für die Feuerwehrfrau mag es die Geschichte des Feuerwehrmanns sein. Erinnerung ist dann besonders wirksam, wenn sie aus unserem Alltag erzählt. Sechs Millionen sind eben mehr als eine Zahl.