Lahnau einst und heute: die Alte Post in Atzbach

Die "Alte Post" in Atzbach zur Kirmeszeit ums Jahr 1935.
© Franz Ewert

Ein altes Haus wird abgerissen, weil ein neues entstehen soll. Nichts bleibt, wie es ist auf dieser Welt. Überall. So auch in Atzbach.

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Lahnau-Atzbach. Es gibt Häuser und Anwesen, deren Verschwinden nicht emotionslos von der Umwelt registriert wird. Das Verschwinden manch eines Gebäudes aus dem Dorfbild ruft doch Anteilnahme über den Bereich der unmittelbaren Nachbarschaft hinaus hervor. So war das im Falle des Gasthauses „Zur Alten Post“ in der Ortsmitte von Atzbach. Im Herbst 2016 dauerte es zwei Wochen – und die ehemalige Dorfwirtschaft war als Ergebnis eines Baggereinsatzes aus dem Bild der Ortsdurchfahrt verschwunden. Rund anderthalb Jahrhunderte lang hatte sie deren Gesicht mit geprägt.

Die "Alte Post" in Atzbach im Jahr 1995, so wie viele das Ensemble noch kennen.
Dieses Gebäude steht heute an der Stelle der "Alten Post" in Atzbach.

Die Geschichte der „Alten Post“ begann vor nun 191 Jahren. 1832 erbauten der aus Tiefenbach stammende Philipp Schneider und seine Atzbacher Ehefrau Anna Margarethe ihre Hofreite an der Nordseite der heutigen Gießener Straße. Diese war seinerzeit eine Art Ortsumgehung des kleinen Dorfes Atzbach mit damals knapp 600 Einwohnern. Mit diesem und weiteren Neubauten nahm die Ausdehnung des Dörfchens über den mittelalterlichen Kern rund um Kirche, Amtshaus, Rathaus und Landschreiberei hinaus Richtung Norden Fahrt auf. Das Anwesen erhielt die Hausnummer 48, später die Nummer 81, in den 1950er-Jahren dann die Anschrift Wetzlarer Straße 2. Und seit fast drei Jahrzehnten ist es die Gießener Straße 27.

Die sich anschließende Familien- und Generationengeschichte der Bewohner, Bewirtschafter und Betreiber von Landwirtschaft, Handwerks- und Gaststättenbetrieb haben die beiden Atzbacher Margot Reinstädtler und Werner Dörr erkundet und aufgeschrieben. Der erwähnte Erbauer Philipp Schneider aus Tiefenbach war als „Kopist“, also Schreiber, an dem in Atzbach ansässigen Justizamt beschäftigt. Seine Tochter Charlotte heiratete 1858 den aus dem benachbarten Dutenhofen stammenden Schreiner Friedrich Weber, der dann auf dem Anwesen seiner Schwiegereltern eine Schreinerwerkstatt einrichtete und betrieb. Auf diesen Schreiner Weber geht auch der Dorfname „Schreinersch“ zurück, der zu einem Synonym für die „Alte Post“ bis zu deren Ende wurde. Die Atzbacher gingen in „Schreinersch Wirtschaft“ und sie gingen in die „Alte Post“ – und in beiden Fällen handelte es sich um die identische Lokalität.

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  Schon 1866 erweiterte der Schreiner Friedrich Weber seinen Schaffensradius deutlich: Er eröffnete eine Gastwirtschaft, übernahm die Atzbacher Postagentur in seine Räumlichkeiten – daher auch der Wirtshausname – und betrieb zudem in einem vom Hof her zugänglichen Raum einen Krämerladen. Über der Hofeinfahrt befand sich der Saal des Wirtshauses, später „Kriegerstub“ genannt, da in dieser die Zusammenkünfte der Atzbacher Veteranen des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 stattfanden. Da der Platz in dem Sälchen über der Gaststube für die mannigfache Nutzung durch die Atzbacher aber nicht mehr ausreichte, beschloss Friedrich Weber, im hinteren Teil seines Anwesens über der Schreinerwerkstatt und dem Anspannstall der Poststation einen zusätzlichen kleinen Saal zu errichten.

Friedrich Weber war aber nicht nur in beruflichen Dingen multipel aktiv und erfolgreich, sondern auch in familiären. Seine Ehefrau Charlotte hatte ihm bereits fünf Kinder geboren, als sie 1865, jung an Jahren, verstarb. Schon im Jahr darauf schloss er seine zweite Ehe mit der Atzbacherin Elisabeth Knortz, aus der dann sage und schreibe weitere zehn Kinder hervorgingen. Darunter im Juni 1871 Tochter Katharina, die, 23 Jahre alt, Johannes Keller ehelichte. Sechs Jahre später, das 20. Jahrhundert hatte gerade begonnen, übernahmen die Eheleute Johannes und Katharina Keller, damals im Ort schon „Schreinersch Katrin“ genannt, die Gastwirtschaft und die Kolonialwarenhandlung von Vater Friedrich Weber.

1907 stirbt Johannes Keller. Seine Witwe Katharina heiratet den Bauunternehmer Müller und zieht mit diesem nach Wetzlar um. Haus und Gastwirtschaft werden verpachtet. Zunächst an die Familie Stamm, danach an Friedrich Dörr. Mit Katharina Müllers (zuvor Keller) Ehe lief es aber offenbar nicht lange gut, denn schon 1910 kehrt sich in ihr Heimatdorf Atzbach zurück und managt bald ihr ehemaliges Geschäft wieder selbst.

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Ihre Tochter Maria heiratet dann 1923 den Landwirt Heinrich Weber, mit dem sie die Gastwirtschaft führt. Beide erbauen 1928 den wirklich großen Saal im hinteren Bereich des Anwesens und führen den gastronomischen Betrieb „Alte Post“ bis 1952. Das Paar hat zwei Kinder: Lieselotte und Werner. Letzerer, verheiratet mit Meta Weber aus Kinzenbach, übernimmt 1952 nach dem Tod des Vaters die Wirtschaft und betreibt sie bis 1983. In diesem Jahr kommt es zu entscheidenden Veränderungen. Denn das Anwesen, seit 1832 in Familienbesitz, wechselt den Eigentümer. Die Familie Brück aus Dorlar. Sie hat andere Pläne, die dann auch im Laufe der nächsten gut drei Jahrzehnte, in denen letztlich die Bebauung des Grundstücks eine völlig andere wird, zur Umsetzung kommen.  

Relativ zügig weicht der große Saal von 1928 einem Gebäude mit mehreren Wohneinheiten. Derweil wird die Gaststätte „Zur Alten Post“ auf Pachtbasis weiter bewirtschaftet. Nach der Familie Heppert ist von 1985 bis 2012 Karin Horn die letzte Pächterin. Danach steht die „Alte Post“ vier Jahre lang leer. Im Herbst 2016 fällt das Gebäude dem Bagger zum Opfer. Der Wohnhaus-Neubau entsteht auf jenem Teil des Geländes, das sich als Garten dem Gebäude der „Alten Post“ östlich anschloss. Der ehemalige Standort des Atzbacher Traditionsgasthauses dient heute, dem Neubau an der Gießener Straße vorgelagert, als Parkfläche und ist mit einem Nebengebäude bebaut.